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Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883.

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Wesen, aus denen sie besteht, wenn sonst er umfassend genug wäre,
um diese Angaben der Analysis zu unterwerfen, würde in der-
selben Formel die Bewegungen der größten Weltkörper und des
leichtesten Atoms begreifen" 1). Da die menschliche Intelligenz in
der astronomischen Wissenschaft ein "schwaches Abbild eines solchen
Geistes" ist, bezeichnet Du Bois-Reymond die von Laplace vorge-
stellte Kenntniß eines materiellen Systems als eine astronomische.
Von dieser Vorstellung aus gelangt man in der That zu einer
sehr deutlichen Auffassung der Grenzen, in welche die Tendenz des
naturwissenschaftlichen Geistes eingeschlossen ist.

Es sei gestattet eine Unterscheidung in Bezug auf den Begriff
der Grenze des Naturerkennens in diese Betrachtungsweise einzu-
führen. Da uns die Wirklichkeit, als das Correlat der Erfahrung,
in dem Zusammenwirken einer Gliederung unserer Sinne mit der
inneren Erfahrung gegeben ist, entspringt aus der hierdurch be-
dingten Verschiedenheit der Provenienz ihrer Bestandtheile eine
Unvergleichbarkeit innerhalb der Elemente unserer wissenschaftlichen
Rechnung. Sie schließt die Ableitung von Thatsächlichkeit einer
bestimmten Provenienz aus der einer anderen aus. So gelangen
wir von den Eigenschaften des Räumlichen doch nur vermittelst der
Fakticität der Tastempfindung, in welcher Widerstand erfahren
wird, zu der Vorstellung der Materie; ein jeder der Sinne ist
in einen ihm eigenen Qualitätenkreis eingeschlossen; und wir
müssen von der Sinnesempfindung zu dem Gewahren innerer Zu-
stände übergehen, sollen wir eine Bewußtseinslage in einem ge-
gebenen Moment auffassen. Wir können sonach die Data in der
Unvergleichlichkeit, in welcher sie in Folge ihrer verschiedenen Pro-
venienz auftreten, eben nur hinnehmen; ihre Thatsächlichkeit ist
für uns unergründlich; all unser Erkennen ist auf die Feststellung
der Gleichförmigkeiten in Aufeinanderfolge und Gleichzeitigkeit einge-
schränkt, gemäß denen sie nach unsrer Erfahrung in Beziehungen
zu einander stehen. Dies sind Grenzen, welche in den Bedingungen
unseres Erfahrens selber gelegen sind, Grenzen, die an jedem

1) Laplace, Essai sur les probabilites. Paris 1814. p. 3.

Erſtes einleitendes Buch.
Weſen, aus denen ſie beſteht, wenn ſonſt er umfaſſend genug wäre,
um dieſe Angaben der Analyſis zu unterwerfen, würde in der-
ſelben Formel die Bewegungen der größten Weltkörper und des
leichteſten Atoms begreifen“ 1). Da die menſchliche Intelligenz in
der aſtronomiſchen Wiſſenſchaft ein „ſchwaches Abbild eines ſolchen
Geiſtes“ iſt, bezeichnet Du Bois-Reymond die von Laplace vorge-
ſtellte Kenntniß eines materiellen Syſtems als eine aſtronomiſche.
Von dieſer Vorſtellung aus gelangt man in der That zu einer
ſehr deutlichen Auffaſſung der Grenzen, in welche die Tendenz des
naturwiſſenſchaftlichen Geiſtes eingeſchloſſen iſt.

Es ſei geſtattet eine Unterſcheidung in Bezug auf den Begriff
der Grenze des Naturerkennens in dieſe Betrachtungsweiſe einzu-
führen. Da uns die Wirklichkeit, als das Correlat der Erfahrung,
in dem Zuſammenwirken einer Gliederung unſerer Sinne mit der
inneren Erfahrung gegeben iſt, entſpringt aus der hierdurch be-
dingten Verſchiedenheit der Provenienz ihrer Beſtandtheile eine
Unvergleichbarkeit innerhalb der Elemente unſerer wiſſenſchaftlichen
Rechnung. Sie ſchließt die Ableitung von Thatſächlichkeit einer
beſtimmten Provenienz aus der einer anderen aus. So gelangen
wir von den Eigenſchaften des Räumlichen doch nur vermittelſt der
Fakticität der Taſtempfindung, in welcher Widerſtand erfahren
wird, zu der Vorſtellung der Materie; ein jeder der Sinne iſt
in einen ihm eigenen Qualitätenkreis eingeſchloſſen; und wir
müſſen von der Sinnesempfindung zu dem Gewahren innerer Zu-
ſtände übergehen, ſollen wir eine Bewußtſeinslage in einem ge-
gebenen Moment auffaſſen. Wir können ſonach die Data in der
Unvergleichlichkeit, in welcher ſie in Folge ihrer verſchiedenen Pro-
venienz auftreten, eben nur hinnehmen; ihre Thatſächlichkeit iſt
für uns unergründlich; all unſer Erkennen iſt auf die Feſtſtellung
der Gleichförmigkeiten in Aufeinanderfolge und Gleichzeitigkeit einge-
ſchränkt, gemäß denen ſie nach unſrer Erfahrung in Beziehungen
zu einander ſtehen. Dies ſind Grenzen, welche in den Bedingungen
unſeres Erfahrens ſelber gelegen ſind, Grenzen, die an jedem

1) Laplace, Essai sur les probabilités. Paris 1814. p. 3.
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[12/0035] Erſtes einleitendes Buch. Weſen, aus denen ſie beſteht, wenn ſonſt er umfaſſend genug wäre, um dieſe Angaben der Analyſis zu unterwerfen, würde in der- ſelben Formel die Bewegungen der größten Weltkörper und des leichteſten Atoms begreifen“ 1). Da die menſchliche Intelligenz in der aſtronomiſchen Wiſſenſchaft ein „ſchwaches Abbild eines ſolchen Geiſtes“ iſt, bezeichnet Du Bois-Reymond die von Laplace vorge- ſtellte Kenntniß eines materiellen Syſtems als eine aſtronomiſche. Von dieſer Vorſtellung aus gelangt man in der That zu einer ſehr deutlichen Auffaſſung der Grenzen, in welche die Tendenz des naturwiſſenſchaftlichen Geiſtes eingeſchloſſen iſt. Es ſei geſtattet eine Unterſcheidung in Bezug auf den Begriff der Grenze des Naturerkennens in dieſe Betrachtungsweiſe einzu- führen. Da uns die Wirklichkeit, als das Correlat der Erfahrung, in dem Zuſammenwirken einer Gliederung unſerer Sinne mit der inneren Erfahrung gegeben iſt, entſpringt aus der hierdurch be- dingten Verſchiedenheit der Provenienz ihrer Beſtandtheile eine Unvergleichbarkeit innerhalb der Elemente unſerer wiſſenſchaftlichen Rechnung. Sie ſchließt die Ableitung von Thatſächlichkeit einer beſtimmten Provenienz aus der einer anderen aus. So gelangen wir von den Eigenſchaften des Räumlichen doch nur vermittelſt der Fakticität der Taſtempfindung, in welcher Widerſtand erfahren wird, zu der Vorſtellung der Materie; ein jeder der Sinne iſt in einen ihm eigenen Qualitätenkreis eingeſchloſſen; und wir müſſen von der Sinnesempfindung zu dem Gewahren innerer Zu- ſtände übergehen, ſollen wir eine Bewußtſeinslage in einem ge- gebenen Moment auffaſſen. Wir können ſonach die Data in der Unvergleichlichkeit, in welcher ſie in Folge ihrer verſchiedenen Pro- venienz auftreten, eben nur hinnehmen; ihre Thatſächlichkeit iſt für uns unergründlich; all unſer Erkennen iſt auf die Feſtſtellung der Gleichförmigkeiten in Aufeinanderfolge und Gleichzeitigkeit einge- ſchränkt, gemäß denen ſie nach unſrer Erfahrung in Beziehungen zu einander ſtehen. Dies ſind Grenzen, welche in den Bedingungen unſeres Erfahrens ſelber gelegen ſind, Grenzen, die an jedem 1) Laplace, Essai sur les probabilités. Paris 1814. p. 3.

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Zitationshilfe: Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dilthey_geisteswissenschaften_1883/35>, abgerufen am 21.11.2024.