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Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883.

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Richtung a. d. Herstellung e. Deskription d. Kosmos i. Abendlande.
und seine mächtige Einbildungskraft eilte den Ergebnissen seiner
Arbeit voraus in seltsamen Anticipationen künftiger Entdeckungen.
Andrerseits traten im Abendlande allmälig die theils herüber-
gebrachten theils selbständig gemachten Erfindungen auf, welche
das Zeitalter der Entdeckungen vorbereiteten 1).



Sechstes Kapitel.
Zweiter Zeitraum des mittelalterlichen Denkens.

Von der Uebertragung des arabischen Naturwissens und der
aristotelischen Philosophie hebt das neue Stadium des mittelalter-
lichen Denkens an und dauert bis zum Ausgang des Mittelalters.
Der frühere Zeitraum hatte eine Dialektik als Grundlage der Theo-
logie geschaffen, den von den Vätern, insbesondere von Augustinus
entworfenen Beweis für das Dasein einer transscendenten Ord-
nung immaterieller Wesenheiten fortgebildet und die Aufgabe, einen
verstandesmäßigen Zusammenhang des Glaubensinhaltes zu ge-
winnen, in einer Theologie gelöst, welche jedoch das dem Denken
Erfaßbare noch nicht methodisch von dem Unerfaßlichen schied.
Schon diese Aufgaben selber empfingen nun unter den neuen Be-
dingungen eine reifere Fassung. Die Vergleichung von Christen-
thum, Islam und Judenthum verbreitete ihre Helle über das Ge-
biet der Theologie; die Vergleichung der Vernunftwissenschaft des
Aristoteles mit der Theologie der Religionen erleuchtete die Grenzen
des Beweisbaren und des religiösen Geheimnisses; die Verbindung
des Naturwissens mit der Theologie erweiterte den Horizont der
Vernunftwissenschaft. Wie wurden nun unter den neuen Be-
dingungen die Aufgaben, welche wir im vorigen Zeitraum son-
derten, gefaßt und zu lösen versucht?


1) Näheres in den grundlegenden Untersuchungen von Libri, Histoire
des sciencesmathematiques t. II.

Richtung a. d. Herſtellung e. Deſkription d. Kosmos i. Abendlande.
und ſeine mächtige Einbildungskraft eilte den Ergebniſſen ſeiner
Arbeit voraus in ſeltſamen Anticipationen künftiger Entdeckungen.
Andrerſeits traten im Abendlande allmälig die theils herüber-
gebrachten theils ſelbſtändig gemachten Erfindungen auf, welche
das Zeitalter der Entdeckungen vorbereiteten 1).



Sechſtes Kapitel.
Zweiter Zeitraum des mittelalterlichen Denkens.

Von der Uebertragung des arabiſchen Naturwiſſens und der
ariſtoteliſchen Philoſophie hebt das neue Stadium des mittelalter-
lichen Denkens an und dauert bis zum Ausgang des Mittelalters.
Der frühere Zeitraum hatte eine Dialektik als Grundlage der Theo-
logie geſchaffen, den von den Vätern, insbeſondere von Auguſtinus
entworfenen Beweis für das Daſein einer transſcendenten Ord-
nung immaterieller Weſenheiten fortgebildet und die Aufgabe, einen
verſtandesmäßigen Zuſammenhang des Glaubensinhaltes zu ge-
winnen, in einer Theologie gelöſt, welche jedoch das dem Denken
Erfaßbare noch nicht methodiſch von dem Unerfaßlichen ſchied.
Schon dieſe Aufgaben ſelber empfingen nun unter den neuen Be-
dingungen eine reifere Faſſung. Die Vergleichung von Chriſten-
thum, Islam und Judenthum verbreitete ihre Helle über das Ge-
biet der Theologie; die Vergleichung der Vernunftwiſſenſchaft des
Ariſtoteles mit der Theologie der Religionen erleuchtete die Grenzen
des Beweisbaren und des religiöſen Geheimniſſes; die Verbindung
des Naturwiſſens mit der Theologie erweiterte den Horizont der
Vernunftwiſſenſchaft. Wie wurden nun unter den neuen Be-
dingungen die Aufgaben, welche wir im vorigen Zeitraum ſon-
derten, gefaßt und zu löſen verſucht?


1) Näheres in den grundlegenden Unterſuchungen von Libri, Histoire
des sciencesmathématiques t. II.
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[381/0404] Richtung a. d. Herſtellung e. Deſkription d. Kosmos i. Abendlande. und ſeine mächtige Einbildungskraft eilte den Ergebniſſen ſeiner Arbeit voraus in ſeltſamen Anticipationen künftiger Entdeckungen. Andrerſeits traten im Abendlande allmälig die theils herüber- gebrachten theils ſelbſtändig gemachten Erfindungen auf, welche das Zeitalter der Entdeckungen vorbereiteten 1). Sechſtes Kapitel. Zweiter Zeitraum des mittelalterlichen Denkens. Von der Uebertragung des arabiſchen Naturwiſſens und der ariſtoteliſchen Philoſophie hebt das neue Stadium des mittelalter- lichen Denkens an und dauert bis zum Ausgang des Mittelalters. Der frühere Zeitraum hatte eine Dialektik als Grundlage der Theo- logie geſchaffen, den von den Vätern, insbeſondere von Auguſtinus entworfenen Beweis für das Daſein einer transſcendenten Ord- nung immaterieller Weſenheiten fortgebildet und die Aufgabe, einen verſtandesmäßigen Zuſammenhang des Glaubensinhaltes zu ge- winnen, in einer Theologie gelöſt, welche jedoch das dem Denken Erfaßbare noch nicht methodiſch von dem Unerfaßlichen ſchied. Schon dieſe Aufgaben ſelber empfingen nun unter den neuen Be- dingungen eine reifere Faſſung. Die Vergleichung von Chriſten- thum, Islam und Judenthum verbreitete ihre Helle über das Ge- biet der Theologie; die Vergleichung der Vernunftwiſſenſchaft des Ariſtoteles mit der Theologie der Religionen erleuchtete die Grenzen des Beweisbaren und des religiöſen Geheimniſſes; die Verbindung des Naturwiſſens mit der Theologie erweiterte den Horizont der Vernunftwiſſenſchaft. Wie wurden nun unter den neuen Be- dingungen die Aufgaben, welche wir im vorigen Zeitraum ſon- derten, gefaßt und zu löſen verſucht? 1) Näheres in den grundlegenden Unterſuchungen von Libri, Histoire des sciencesmathématiques t. II.

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Zitationshilfe: Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883, S. 381. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dilthey_geisteswissenschaften_1883/404>, abgerufen am 22.11.2024.