bildet, und die diesem objektiven Zusammenhang entsprechen- den Prinzipien sind in den von Gott geschaffenen Einzel- geist hineingelegt1).
So bildete sich auf der Höhe dieser Entwicklung folgende Theorie, die Thomas von Aquino feinsinnig entwickelt hat. Plato nahm nach ihm irrthümlich an, das Objekt der Erkennt- niß müsse in sich so existiren, wie in unserem Wissen, so- nach immateriell und unbeweglich. In Wirklichkeit vermag die Abstraktion das, was in dem Objekt ungesondert ist, zu sondern und einen Bestandtheil in ihm, absehend von den anderen, für sich zu betrachten. Der Bestandtheil, welchen unser Denken im Allgemeinbegriff am Gegenstande heraushebt, ist sonach real, aber er ist nur ein Theil der Realität desselben. Daher ist eine den Allgemeinbegriffen entsprechende Realität nur in den Einzeldingen gegeben; "die Universalia sind nicht für sich be- stehende Dinge, sondern haben ihr Sein allein in dem Ein- zelnen". Jedoch wird andrerseits in den Universalien etwas Wesenhaftes ausgesondert von dem menschlichen Intellekt, denn sie sind in dem göttlichen Intellekt enthalten und von ihm den Objekten eingebildet. So kann Thomas sich einer den Streit über die Universalien scheinbar beendenden Formel bedienen. Die Universalien sind vor den einzelnen Dingen, in ihnen und nach ihnen. Sie sind vor denselben im göttlichen, vorbildlichen Verstande; sie sind in den Dingen als Theilinhalte derselben, welche ihre allgemeine Wesenheit ausmachen; und sie sind nach den- selben als Begriffe, welche durch den abstrahirenden Verstand her- vorgebracht sind. Diese Formel kann alsdann leicht im Sinne der modernen Wissenschaft erweitert werden, und eine solche Erweiterung hat stattgefunden; sie ist schon im Mittelalter vorbereitet: in Gott sind nicht nur die allgemeinen Begriffe, sondern die allgemeinen Wahrheiten, die Gesetze der Veränderungen des Weltlaufs 2).
1) Vgl. S. 243 ff.
2) Ueber die Entstehung dieser Formel nach ihrer logischen Seite aus- führlich Prantl, Geschichte der Logik II, 305 f. 347 ff. III, 94 ff. -- Ueber die
Die abſchließende metaphyſiſche Formel.
bildet, und die dieſem objektiven Zuſammenhang entſprechen- den Prinzipien ſind in den von Gott geſchaffenen Einzel- geiſt hineingelegt1).
So bildete ſich auf der Höhe dieſer Entwicklung folgende Theorie, die Thomas von Aquino feinſinnig entwickelt hat. Plato nahm nach ihm irrthümlich an, das Objekt der Erkennt- niß müſſe in ſich ſo exiſtiren, wie in unſerem Wiſſen, ſo- nach immateriell und unbeweglich. In Wirklichkeit vermag die Abſtraktion das, was in dem Objekt ungeſondert iſt, zu ſondern und einen Beſtandtheil in ihm, abſehend von den anderen, für ſich zu betrachten. Der Beſtandtheil, welchen unſer Denken im Allgemeinbegriff am Gegenſtande heraushebt, iſt ſonach real, aber er iſt nur ein Theil der Realität deſſelben. Daher iſt eine den Allgemeinbegriffen entſprechende Realität nur in den Einzeldingen gegeben; „die Univerſalia ſind nicht für ſich be- ſtehende Dinge, ſondern haben ihr Sein allein in dem Ein- zelnen“. Jedoch wird andrerſeits in den Univerſalien etwas Weſenhaftes ausgeſondert von dem menſchlichen Intellekt, denn ſie ſind in dem göttlichen Intellekt enthalten und von ihm den Objekten eingebildet. So kann Thomas ſich einer den Streit über die Univerſalien ſcheinbar beendenden Formel bedienen. Die Univerſalien ſind vor den einzelnen Dingen, in ihnen und nach ihnen. Sie ſind vor denſelben im göttlichen, vorbildlichen Verſtande; ſie ſind in den Dingen als Theilinhalte derſelben, welche ihre allgemeine Weſenheit ausmachen; und ſie ſind nach den- ſelben als Begriffe, welche durch den abſtrahirenden Verſtand her- vorgebracht ſind. Dieſe Formel kann alsdann leicht im Sinne der modernen Wiſſenſchaft erweitert werden, und eine ſolche Erweiterung hat ſtattgefunden; ſie iſt ſchon im Mittelalter vorbereitet: in Gott ſind nicht nur die allgemeinen Begriffe, ſondern die allgemeinen Wahrheiten, die Geſetze der Veränderungen des Weltlaufs 2).
1) Vgl. S. 243 ff.
2) Ueber die Entſtehung dieſer Formel nach ihrer logiſchen Seite aus- führlich Prantl, Geſchichte der Logik II, 305 f. 347 ff. III, 94 ff. — Ueber die
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Die abſchließende metaphyſiſche Formel.
bildet, und die dieſem objektiven Zuſammenhang entſprechen-
den Prinzipien ſind in den von Gott geſchaffenen Einzel-
geiſt hineingelegt 1).
So bildete ſich auf der Höhe dieſer Entwicklung folgende
Theorie, die Thomas von Aquino feinſinnig entwickelt hat.
Plato nahm nach ihm irrthümlich an, das Objekt der Erkennt-
niß müſſe in ſich ſo exiſtiren, wie in unſerem Wiſſen, ſo-
nach immateriell und unbeweglich. In Wirklichkeit vermag die
Abſtraktion das, was in dem Objekt ungeſondert iſt, zu ſondern
und einen Beſtandtheil in ihm, abſehend von den anderen, für
ſich zu betrachten. Der Beſtandtheil, welchen unſer Denken im
Allgemeinbegriff am Gegenſtande heraushebt, iſt ſonach real,
aber er iſt nur ein Theil der Realität deſſelben. Daher iſt
eine den Allgemeinbegriffen entſprechende Realität nur in den
Einzeldingen gegeben; „die Univerſalia ſind nicht für ſich be-
ſtehende Dinge, ſondern haben ihr Sein allein in dem Ein-
zelnen“. Jedoch wird andrerſeits in den Univerſalien etwas
Weſenhaftes ausgeſondert von dem menſchlichen Intellekt, denn
ſie ſind in dem göttlichen Intellekt enthalten und von ihm
den Objekten eingebildet. So kann Thomas ſich einer den Streit
über die Univerſalien ſcheinbar beendenden Formel bedienen. Die
Univerſalien ſind vor den einzelnen Dingen, in ihnen und
nach ihnen. Sie ſind vor denſelben im göttlichen, vorbildlichen
Verſtande; ſie ſind in den Dingen als Theilinhalte derſelben, welche
ihre allgemeine Weſenheit ausmachen; und ſie ſind nach den-
ſelben als Begriffe, welche durch den abſtrahirenden Verſtand her-
vorgebracht ſind. Dieſe Formel kann alsdann leicht im Sinne der
modernen Wiſſenſchaft erweitert werden, und eine ſolche Erweiterung
hat ſtattgefunden; ſie iſt ſchon im Mittelalter vorbereitet: in Gott
ſind nicht nur die allgemeinen Begriffe, ſondern die allgemeinen
Wahrheiten, die Geſetze der Veränderungen des Weltlaufs 2).
1) Vgl. S. 243 ff.
2) Ueber die Entſtehung dieſer Formel nach ihrer logiſchen Seite aus-
führlich Prantl, Geſchichte der Logik II, 305 f. 347 ff. III, 94 ff. — Ueber die
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Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883, S. 383. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dilthey_geisteswissenschaften_1883/406>, abgerufen am 22.11.2024.
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