schätzung des Staates, wie sie uns in Dante entgegentritt, führte in einem Kopfe wie Marsilius von Padua weiter dahin, gemäß dem Bedürfniß, solchen Dualismus zu überwinden, das sacerdotium als einen Bestandtheil und eine Funktion des Staates anzusehen. Marsilius zieht die Konsequenzen des antiken Staats- begriffs, er bekämpft im Grunde den Fortschritt, welcher in dem Ausspruch Christi über das Recht des Kaisers und das Recht Gottes enthalten war1).
Diese Vertheilung der Werthgebung zwischen geistlicher und weltlicher Macht hat ihren Ausdruck in den rechtsgeschicht- lichen Fabeln von der Uebertragung der göttlichen Macht, wie sie einen wichtigen Bestandtheil der geschichtlichen Metaphysik des Mittelalters ausmachen. Denn wo der Wille Gottes mit denen der Menschen zu der Verwirklichung eines von der Vorsehung überwachten Planes zusammenwirkt, entsteht der Begriff der In- stitution, welche in einem besonderen göttlichen Akte begründet ist und in der ein Theil der Aufgabe der Weltregierung einer irdischen Person als dem Stellvertreter Gottes übertragen wird. Die Hierarchie gründet ihre Befugnisse auf die Vollmacht des Statthalters Christi. Ebenso wird das Königthum vorherr- schend im Mittelalter als ein von Gott übertragenes Amt be- trachtet. Und die Frage entsteht dann, ob die Staatsgewalt ihre Vollmacht direkt von oben besitze oder durch eine Uebertragung, die von der geistlichen Gewalt ausgegangen ist. Aus den bekannten Erörterungen hierüber ragt Dantes Beweis des legitimen Ur- sprungs der römischen Weltmonarchie darum hervor, weil er einer historischen Begründung der Legitimität ganz besonders nahe kommt. Dieser Beweis findet die Legitimität in dem Willen Gottes gegründet, sucht aber diesen Willen nicht in theokratischen Einzelakten auf, sondern, wie der Wille eines Menschen von außen
1) Marsilius von Padua defensor pacis I c. 4: die Bestimmung der Aufgabe des Staates nach Aristoteles' Politik; dann c. 5. 6: Einfügung des sacerdotium nach christlicher Bestimmung in den Staat; dasselbe wird als eine pars eivitatis bezeichnet.
Zweites Buch. Dritter Abſchnitt.
ſchätzung des Staates, wie ſie uns in Dante entgegentritt, führte in einem Kopfe wie Marſilius von Padua weiter dahin, gemäß dem Bedürfniß, ſolchen Dualismus zu überwinden, das sacerdotium als einen Beſtandtheil und eine Funktion des Staates anzuſehen. Marſilius zieht die Konſequenzen des antiken Staats- begriffs, er bekämpft im Grunde den Fortſchritt, welcher in dem Ausſpruch Chriſti über das Recht des Kaiſers und das Recht Gottes enthalten war1).
Dieſe Vertheilung der Werthgebung zwiſchen geiſtlicher und weltlicher Macht hat ihren Ausdruck in den rechtsgeſchicht- lichen Fabeln von der Uebertragung der göttlichen Macht, wie ſie einen wichtigen Beſtandtheil der geſchichtlichen Metaphyſik des Mittelalters ausmachen. Denn wo der Wille Gottes mit denen der Menſchen zu der Verwirklichung eines von der Vorſehung überwachten Planes zuſammenwirkt, entſteht der Begriff der In- ſtitution, welche in einem beſonderen göttlichen Akte begründet iſt und in der ein Theil der Aufgabe der Weltregierung einer irdiſchen Perſon als dem Stellvertreter Gottes übertragen wird. Die Hierarchie gründet ihre Befugniſſe auf die Vollmacht des Statthalters Chriſti. Ebenſo wird das Königthum vorherr- ſchend im Mittelalter als ein von Gott übertragenes Amt be- trachtet. Und die Frage entſteht dann, ob die Staatsgewalt ihre Vollmacht direkt von oben beſitze oder durch eine Uebertragung, die von der geiſtlichen Gewalt ausgegangen iſt. Aus den bekannten Erörterungen hierüber ragt Dantes Beweis des legitimen Ur- ſprungs der römiſchen Weltmonarchie darum hervor, weil er einer hiſtoriſchen Begründung der Legitimität ganz beſonders nahe kommt. Dieſer Beweis findet die Legitimität in dem Willen Gottes gegründet, ſucht aber dieſen Willen nicht in theokratiſchen Einzelakten auf, ſondern, wie der Wille eines Menſchen von außen
1) Marſilius von Padua defensor pacis I c. 4: die Beſtimmung der Aufgabe des Staates nach Ariſtoteles’ Politik; dann c. 5. 6: Einfügung des sacerdotium nach chriſtlicher Beſtimmung in den Staat; daſſelbe wird als eine pars eivitatis bezeichnet.
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Zweites Buch. Dritter Abſchnitt.
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in einem Kopfe wie Marſilius von Padua weiter dahin,
gemäß dem Bedürfniß, ſolchen Dualismus zu überwinden, das
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anzuſehen. Marſilius zieht die Konſequenzen des antiken Staats-
begriffs, er bekämpft im Grunde den Fortſchritt, welcher in dem
Ausſpruch Chriſti über das Recht des Kaiſers und das Recht
Gottes enthalten war 1).
Dieſe Vertheilung der Werthgebung zwiſchen geiſtlicher und
weltlicher Macht hat ihren Ausdruck in den rechtsgeſchicht-
lichen Fabeln von der Uebertragung der göttlichen Macht, wie
ſie einen wichtigen Beſtandtheil der geſchichtlichen Metaphyſik des
Mittelalters ausmachen. Denn wo der Wille Gottes mit denen
der Menſchen zu der Verwirklichung eines von der Vorſehung
überwachten Planes zuſammenwirkt, entſteht der Begriff der In-
ſtitution, welche in einem beſonderen göttlichen Akte
begründet iſt und in der ein Theil der Aufgabe der Weltregierung
einer irdiſchen Perſon als dem Stellvertreter Gottes übertragen
wird. Die Hierarchie gründet ihre Befugniſſe auf die Vollmacht
des Statthalters Chriſti. Ebenſo wird das Königthum vorherr-
ſchend im Mittelalter als ein von Gott übertragenes Amt be-
trachtet. Und die Frage entſteht dann, ob die Staatsgewalt ihre
Vollmacht direkt von oben beſitze oder durch eine Uebertragung,
die von der geiſtlichen Gewalt ausgegangen iſt. Aus den bekannten
Erörterungen hierüber ragt Dantes Beweis des legitimen Ur-
ſprungs der römiſchen Weltmonarchie darum hervor, weil er
einer hiſtoriſchen Begründung der Legitimität ganz beſonders
nahe kommt. Dieſer Beweis findet die Legitimität in dem Willen
Gottes gegründet, ſucht aber dieſen Willen nicht in theokratiſchen
Einzelakten auf, ſondern, wie der Wille eines Menſchen von außen
1) Marſilius von Padua defensor pacis I c. 4: die Beſtimmung der
Aufgabe des Staates nach Ariſtoteles’ Politik; dann c. 5. 6: Einfügung des
sacerdotium nach chriſtlicher Beſtimmung in den Staat; daſſelbe wird als
eine pars eivitatis bezeichnet.
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Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883, S. 440. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dilthey_geisteswissenschaften_1883/463>, abgerufen am 26.06.2024.
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