eine Bewegung nur durch das Fortwirken der sie hervorbringenden Ursache sich forterhält, sonach den gleichförmig fortdauernden Be- wegungen eine gleichförmig wirkende Ursache zu Grunde gelegt werden mußte. Auf diese Theorie, welche der Sinnenschein von gestoßenen und in Ruhezustand zurückkehrenden Körpern empfahl, war die Annahme von psychischen Wesenheiten als Ursachen eines weiten Kreises von Veränderungen in der Natur einerseits be- gründet worden, wie sie andrerseits aus der Gedankenmäßigkeit der Bewegungen ihre mehr dauernde Kraft empfing. Nunmehr zeigte das Prinzip Galileis den Grund der Fortdauer einer Be- wegung in der Nothwendigkeit des Beharrens des Objektes selber in seinem Bewegungszustande; dieser Nothwendigkeit gemäß durch- läuft das Objekt jedes folgende Differential seiner Bahn, weil es das vorangehende durchlaufen hat. Die Grundlage der meta- physischen Naturbetrachtung war vernichtet.
Die erste Anwendung der Mechanik auf ein verwickeltes System von Thatsachen, zugleich die glänzendste und erhabenste, deren sie fähig ist, war die auf die großen Bewegungen der Massen im Weltraum. So entstand die Mechanik des Himmels. Sie wurde ermöglicht durch die Fortschritte der Mathematik in analytischer Geometrie und Differentialrechnung. Nun wurde das verwickelte Getriebe der im Weltraum kreisenden Gestirne durch die Theorie von der Gravitation, als dem unsichtbaren Bande der Sternen- welt, der mechanischen Betrachtungsweise untergeordnet. Damit sanken die Gestirngeister der metaphysischen Naturauffassung dahin und wurden zu Märchen einer verklungenen Zeit.
Die unermeßliche Veränderung der menschlichen Weltansicht, welche sich so vollzog, begann, indem Copernicus, anknüpfend an die Forschungen der Griechen, welche dasselbe versucht, die Sonne in die Mitte der Welt stellte. "Denn wer könnte wohl", so sagt er, "in dem herrlichen Naturtempel dieser Fackel einen anderen Ort anweisen wollen." Die drei Kepler'schen Gesetze entwarfen deskriptiv die Figuren und Zahlenverhältnisse der heliocentrischen Planetenbewegungen, in welchen Kepler, den Spuren der pytha- goreischen Schule nachgehend, die Harmonie des Himmels an-
Zweites Buch. Vierter Abſchnitt.
eine Bewegung nur durch das Fortwirken der ſie hervorbringenden Urſache ſich forterhält, ſonach den gleichförmig fortdauernden Be- wegungen eine gleichförmig wirkende Urſache zu Grunde gelegt werden mußte. Auf dieſe Theorie, welche der Sinnenſchein von geſtoßenen und in Ruhezuſtand zurückkehrenden Körpern empfahl, war die Annahme von pſychiſchen Weſenheiten als Urſachen eines weiten Kreiſes von Veränderungen in der Natur einerſeits be- gründet worden, wie ſie andrerſeits aus der Gedankenmäßigkeit der Bewegungen ihre mehr dauernde Kraft empfing. Nunmehr zeigte das Prinzip Galileis den Grund der Fortdauer einer Be- wegung in der Nothwendigkeit des Beharrens des Objektes ſelber in ſeinem Bewegungszuſtande; dieſer Nothwendigkeit gemäß durch- läuft das Objekt jedes folgende Differential ſeiner Bahn, weil es das vorangehende durchlaufen hat. Die Grundlage der meta- phyſiſchen Naturbetrachtung war vernichtet.
Die erſte Anwendung der Mechanik auf ein verwickeltes Syſtem von Thatſachen, zugleich die glänzendſte und erhabenſte, deren ſie fähig iſt, war die auf die großen Bewegungen der Maſſen im Weltraum. So entſtand die Mechanik des Himmels. Sie wurde ermöglicht durch die Fortſchritte der Mathematik in analytiſcher Geometrie und Differentialrechnung. Nun wurde das verwickelte Getriebe der im Weltraum kreiſenden Geſtirne durch die Theorie von der Gravitation, als dem unſichtbaren Bande der Sternen- welt, der mechaniſchen Betrachtungsweiſe untergeordnet. Damit ſanken die Geſtirngeiſter der metaphyſiſchen Naturauffaſſung dahin und wurden zu Märchen einer verklungenen Zeit.
Die unermeßliche Veränderung der menſchlichen Weltanſicht, welche ſich ſo vollzog, begann, indem Copernicus, anknüpfend an die Forſchungen der Griechen, welche daſſelbe verſucht, die Sonne in die Mitte der Welt ſtellte. „Denn wer könnte wohl“, ſo ſagt er, „in dem herrlichen Naturtempel dieſer Fackel einen anderen Ort anweiſen wollen.“ Die drei Kepler’ſchen Geſetze entwarfen deſkriptiv die Figuren und Zahlenverhältniſſe der heliocentriſchen Planetenbewegungen, in welchen Kepler, den Spuren der pytha- goreiſchen Schule nachgehend, die Harmonie des Himmels an-
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Zweites Buch. Vierter Abſchnitt.
eine Bewegung nur durch das Fortwirken der ſie hervorbringenden
Urſache ſich forterhält, ſonach den gleichförmig fortdauernden Be-
wegungen eine gleichförmig wirkende Urſache zu Grunde gelegt
werden mußte. Auf dieſe Theorie, welche der Sinnenſchein von
geſtoßenen und in Ruhezuſtand zurückkehrenden Körpern empfahl,
war die Annahme von pſychiſchen Weſenheiten als Urſachen eines
weiten Kreiſes von Veränderungen in der Natur einerſeits be-
gründet worden, wie ſie andrerſeits aus der Gedankenmäßigkeit
der Bewegungen ihre mehr dauernde Kraft empfing. Nunmehr
zeigte das Prinzip Galileis den Grund der Fortdauer einer Be-
wegung in der Nothwendigkeit des Beharrens des Objektes ſelber
in ſeinem Bewegungszuſtande; dieſer Nothwendigkeit gemäß durch-
läuft das Objekt jedes folgende Differential ſeiner Bahn, weil es
das vorangehende durchlaufen hat. Die Grundlage der meta-
phyſiſchen Naturbetrachtung war vernichtet.
Die erſte Anwendung der Mechanik auf ein verwickeltes
Syſtem von Thatſachen, zugleich die glänzendſte und erhabenſte,
deren ſie fähig iſt, war die auf die großen Bewegungen der Maſſen
im Weltraum. So entſtand die Mechanik des Himmels. Sie wurde
ermöglicht durch die Fortſchritte der Mathematik in analytiſcher
Geometrie und Differentialrechnung. Nun wurde das verwickelte
Getriebe der im Weltraum kreiſenden Geſtirne durch die Theorie
von der Gravitation, als dem unſichtbaren Bande der Sternen-
welt, der mechaniſchen Betrachtungsweiſe untergeordnet. Damit
ſanken die Geſtirngeiſter der metaphyſiſchen Naturauffaſſung dahin
und wurden zu Märchen einer verklungenen Zeit.
Die unermeßliche Veränderung der menſchlichen Weltanſicht,
welche ſich ſo vollzog, begann, indem Copernicus, anknüpfend
an die Forſchungen der Griechen, welche daſſelbe verſucht, die
Sonne in die Mitte der Welt ſtellte. „Denn wer könnte wohl“,
ſo ſagt er, „in dem herrlichen Naturtempel dieſer Fackel einen anderen
Ort anweiſen wollen.“ Die drei Kepler’ſchen Geſetze entwarfen
deſkriptiv die Figuren und Zahlenverhältniſſe der heliocentriſchen
Planetenbewegungen, in welchen Kepler, den Spuren der pytha-
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Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883, S. 460. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dilthey_geisteswissenschaften_1883/483>, abgerufen am 26.06.2024.
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