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Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883.

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Zweites Buch. Vierter Abschnitt.
rerum 1). In scharfer Anspannung dieser Identität wird sogar
die Richtung der Abfolge in beiden Reihen als korrespondirend
aufgefaßt: effectus cognitio a cognitione causae dependet et
eandem involvit
2). Ein Zusammenhang von Axiomen und De-
finitionen wird entworfen, aus welchem der Weltzusammenhang
konstruirt werden kann. Dies geschieht durch auffällige Trug-
schlüsse; denn eine Vielheit selbständiger Wesenheiten kann aus
den Voraussetzungen Spinozas ebenso gut gefolgert werden, als
die Einheit in der göttlichen Substanz. Sind doch die Einheit
des Weltzusammenhangs und die Vielheit fester ihm zu Grunde
gelegter Ding-Atome nur die beiden Seiten desselben mechanischen
d. h. logischen Weltzusammenhangs. Spinoza mußte seinen Pan-
theismus also mitbringen, um ihn folgern zu können. Gleichviel,
in diesem Zusammenhange tritt die Konsequenz des metaphysischen
Satzes vom Grunde in einer Vollständigkeit heraus, die bei den
Alten sich noch nicht fand. Hatten diese den menschlichen Willen
als ein imperium in imperio gelten lassen, so hebt die Formel
des Panlogismus nun diese Souveränität des geistigen Lebens
auf. In rerum natura nullum datur contingens; sed omnia
ex necessitate divinae naturae determinata sunt ad certo
modo existendum et operandum
3).

Die Metaphysik hat durch Leibniz in dem Satz von
Grunde
eine Formel entworfen, welche den nothwendigen Zu-
sammenhang in der Natur als das Prinzip des Denkens aus-
spricht. In der Aufstellung dieses Prinzips hat die Metaphysik
ihren formalen Abschluß erreicht. Denn der Satz ist nicht ein
logisches sondern ein metaphysisches Prinzip d. h. er drückt nicht
ein bloßes Gesetz des Denkens, sondern zugleich ein Gesetz des
Zusammenhangs der Wirklichkeit und damit auch die Regel der
Beziehung zwischen Denken und Sein aus. Ist doch seine letzte
und vollkommenste Formel diejenige, welche in dem Briefwechsel mit

1) Spinoza Eth. II prop. 7.
2) ebds. I axiom. 4.
3) ebds. I prop. 29.

Zweites Buch. Vierter Abſchnitt.
rerum 1). In ſcharfer Anſpannung dieſer Identität wird ſogar
die Richtung der Abfolge in beiden Reihen als korreſpondirend
aufgefaßt: effectus cognitio a cognitione causae dependet et
eandem involvit
2). Ein Zuſammenhang von Axiomen und De-
finitionen wird entworfen, aus welchem der Weltzuſammenhang
konſtruirt werden kann. Dies geſchieht durch auffällige Trug-
ſchlüſſe; denn eine Vielheit ſelbſtändiger Weſenheiten kann aus
den Vorausſetzungen Spinozas ebenſo gut gefolgert werden, als
die Einheit in der göttlichen Subſtanz. Sind doch die Einheit
des Weltzuſammenhangs und die Vielheit feſter ihm zu Grunde
gelegter Ding-Atome nur die beiden Seiten deſſelben mechaniſchen
d. h. logiſchen Weltzuſammenhangs. Spinoza mußte ſeinen Pan-
theismus alſo mitbringen, um ihn folgern zu können. Gleichviel,
in dieſem Zuſammenhange tritt die Konſequenz des metaphyſiſchen
Satzes vom Grunde in einer Vollſtändigkeit heraus, die bei den
Alten ſich noch nicht fand. Hatten dieſe den menſchlichen Willen
als ein imperium in imperio gelten laſſen, ſo hebt die Formel
des Panlogismus nun dieſe Souveränität des geiſtigen Lebens
auf. In rerum natura nullum datur contingens; sed omnia
ex necessitate divinae naturae determinata sunt ad certo
modo existendum et operandum
3).

Die Metaphyſik hat durch Leibniz in dem Satz von
Grunde
eine Formel entworfen, welche den nothwendigen Zu-
ſammenhang in der Natur als das Prinzip des Denkens aus-
ſpricht. In der Aufſtellung dieſes Prinzips hat die Metaphyſik
ihren formalen Abſchluß erreicht. Denn der Satz iſt nicht ein
logiſches ſondern ein metaphyſiſches Prinzip d. h. er drückt nicht
ein bloßes Geſetz des Denkens, ſondern zugleich ein Geſetz des
Zuſammenhangs der Wirklichkeit und damit auch die Regel der
Beziehung zwiſchen Denken und Sein aus. Iſt doch ſeine letzte
und vollkommenſte Formel diejenige, welche in dem Briefwechſel mit

1) Spinoza Eth. II prop. 7.
2) ebdſ. I axiom. 4.
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[494/0517] Zweites Buch. Vierter Abſchnitt. rerum 1). In ſcharfer Anſpannung dieſer Identität wird ſogar die Richtung der Abfolge in beiden Reihen als korreſpondirend aufgefaßt: effectus cognitio a cognitione causae dependet et eandem involvit 2). Ein Zuſammenhang von Axiomen und De- finitionen wird entworfen, aus welchem der Weltzuſammenhang konſtruirt werden kann. Dies geſchieht durch auffällige Trug- ſchlüſſe; denn eine Vielheit ſelbſtändiger Weſenheiten kann aus den Vorausſetzungen Spinozas ebenſo gut gefolgert werden, als die Einheit in der göttlichen Subſtanz. Sind doch die Einheit des Weltzuſammenhangs und die Vielheit feſter ihm zu Grunde gelegter Ding-Atome nur die beiden Seiten deſſelben mechaniſchen d. h. logiſchen Weltzuſammenhangs. Spinoza mußte ſeinen Pan- theismus alſo mitbringen, um ihn folgern zu können. Gleichviel, in dieſem Zuſammenhange tritt die Konſequenz des metaphyſiſchen Satzes vom Grunde in einer Vollſtändigkeit heraus, die bei den Alten ſich noch nicht fand. Hatten dieſe den menſchlichen Willen als ein imperium in imperio gelten laſſen, ſo hebt die Formel des Panlogismus nun dieſe Souveränität des geiſtigen Lebens auf. In rerum natura nullum datur contingens; sed omnia ex necessitate divinae naturae determinata sunt ad certo modo existendum et operandum 3). Die Metaphyſik hat durch Leibniz in dem Satz von Grunde eine Formel entworfen, welche den nothwendigen Zu- ſammenhang in der Natur als das Prinzip des Denkens aus- ſpricht. In der Aufſtellung dieſes Prinzips hat die Metaphyſik ihren formalen Abſchluß erreicht. Denn der Satz iſt nicht ein logiſches ſondern ein metaphyſiſches Prinzip d. h. er drückt nicht ein bloßes Geſetz des Denkens, ſondern zugleich ein Geſetz des Zuſammenhangs der Wirklichkeit und damit auch die Regel der Beziehung zwiſchen Denken und Sein aus. Iſt doch ſeine letzte und vollkommenſte Formel diejenige, welche in dem Briefwechſel mit 1) Spinoza Eth. II prop. 7. 2) ebdſ. I axiom. 4. 3) ebdſ. I prop. 29.

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Zitationshilfe: Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883, S. 494. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dilthey_geisteswissenschaften_1883/517>, abgerufen am 21.11.2024.