hang vermissen ließ, aufzugeben. -- Und die Erfahrungen des täglichen Lebens bestätigen, was die Geschichte zeigte. Der mensch- liche Geist findet es nicht unerträglich, den logischen Zusammen- hang, vermittelst dessen er über das unmittelbar Gegebene hin- ausgeht, da unterbrochen zu sehen, wo er in lebendigem und un- mittelbarem Wissen freie Gestaltung und Willensmacht erfährt.
Wenn der Satz vom Grunde, in der Fassung von Leibniz, nicht die unbedingte Gültigkeit eines Denkgesetzes hat: wie ver- mögen wir seine Stelle im Zusammenhang des intellektuellen Lebens zu bestimmen? Indem wir seinen Ort aufsuchen, wird der Rechtsboden jeder wirklich folgerichtigen Metaphysik geprüft.
Unterscheiden wir den logischen Grund vom Realgrunde, den logischen Zusammenhang vom realen, so kann die Thatsache des logischen Zusammenhangs in unserem Denken, welches im Schließen sich darstellt, durch den Satz ausgedrückt werden: mit dem Grund ist die Folge gesetzt und mit der Folge ist der Grund aufgehoben. Diese Nothwendigkeit der Verknüpfung findet sich thatsächlich in jedem Syllogismus. Nun kann gezeigt werden, daß wir die Natur nur auffassen und vorstellen können, indem wir diesen Zu- sammenhang der Denknothwendigkeit in ihr auf- suchen. Wir können die Außenwelt nicht einmal vorstellen, es sei denn erkennen, ohne einen denknothwendigen Zusammhang schließend in ihr aufzusuchen. Denn wir können die einzelnen Ein- drücke, die einzelnen Bilder, die das Gegebene bilden, nicht für sich als objektive Wirklichkeit anerkennen. Sie sind in dem that- sächlichen Zusammenhang, in dem sie im Bewußtsein kraft seiner Einheit stehen, relativ, und können sonach nur in diesem Zu- sammenhang benutzt werden, um einen äußeren Thatbestand oder eine Naturursache festzustellen. Jedes Raumbild ist auf die Stellung des Auges wie der fassenden Hand bezogen, für welche es da ist. Jeder zeitliche Eindruck ist auf das Maß der Eindrücke in dem Auffassenden und den Zusammenhang derselben bezogen. Die Qualitäten der Empfindung sind durch die Beziehung bedingt, in welcher die Reize der Außenwelt zu unseren Sinnen stehen.
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Der Satz vom Grunde iſt kein Denkgeſetz.
hang vermiſſen ließ, aufzugeben. — Und die Erfahrungen des täglichen Lebens beſtätigen, was die Geſchichte zeigte. Der menſch- liche Geiſt findet es nicht unerträglich, den logiſchen Zuſammen- hang, vermittelſt deſſen er über das unmittelbar Gegebene hin- ausgeht, da unterbrochen zu ſehen, wo er in lebendigem und un- mittelbarem Wiſſen freie Geſtaltung und Willensmacht erfährt.
Wenn der Satz vom Grunde, in der Faſſung von Leibniz, nicht die unbedingte Gültigkeit eines Denkgeſetzes hat: wie ver- mögen wir ſeine Stelle im Zuſammenhang des intellektuellen Lebens zu beſtimmen? Indem wir ſeinen Ort aufſuchen, wird der Rechtsboden jeder wirklich folgerichtigen Metaphyſik geprüft.
Unterſcheiden wir den logiſchen Grund vom Realgrunde, den logiſchen Zuſammenhang vom realen, ſo kann die Thatſache des logiſchen Zuſammenhangs in unſerem Denken, welches im Schließen ſich darſtellt, durch den Satz ausgedrückt werden: mit dem Grund iſt die Folge geſetzt und mit der Folge iſt der Grund aufgehoben. Dieſe Nothwendigkeit der Verknüpfung findet ſich thatſächlich in jedem Syllogismus. Nun kann gezeigt werden, daß wir die Natur nur auffaſſen und vorſtellen können, indem wir dieſen Zu- ſammenhang der Denknothwendigkeit in ihr auf- ſuchen. Wir können die Außenwelt nicht einmal vorſtellen, es ſei denn erkennen, ohne einen denknothwendigen Zuſammhang ſchließend in ihr aufzuſuchen. Denn wir können die einzelnen Ein- drücke, die einzelnen Bilder, die das Gegebene bilden, nicht für ſich als objektive Wirklichkeit anerkennen. Sie ſind in dem that- ſächlichen Zuſammenhang, in dem ſie im Bewußtſein kraft ſeiner Einheit ſtehen, relativ, und können ſonach nur in dieſem Zu- ſammenhang benutzt werden, um einen äußeren Thatbeſtand oder eine Natururſache feſtzuſtellen. Jedes Raumbild iſt auf die Stellung des Auges wie der faſſenden Hand bezogen, für welche es da iſt. Jeder zeitliche Eindruck iſt auf das Maß der Eindrücke in dem Auffaſſenden und den Zuſammenhang derſelben bezogen. Die Qualitäten der Empfindung ſind durch die Beziehung bedingt, in welcher die Reize der Außenwelt zu unſeren Sinnen ſtehen.
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Der Satz vom Grunde iſt kein Denkgeſetz.
hang vermiſſen ließ, aufzugeben. — Und die Erfahrungen des
täglichen Lebens beſtätigen, was die Geſchichte zeigte. Der menſch-
liche Geiſt findet es nicht unerträglich, den logiſchen Zuſammen-
hang, vermittelſt deſſen er über das unmittelbar Gegebene hin-
ausgeht, da unterbrochen zu ſehen, wo er in lebendigem und un-
mittelbarem Wiſſen freie Geſtaltung und Willensmacht erfährt.
Wenn der Satz vom Grunde, in der Faſſung von Leibniz,
nicht die unbedingte Gültigkeit eines Denkgeſetzes hat: wie ver-
mögen wir ſeine Stelle im Zuſammenhang des intellektuellen Lebens
zu beſtimmen? Indem wir ſeinen Ort aufſuchen, wird der
Rechtsboden jeder wirklich folgerichtigen Metaphyſik
geprüft.
Unterſcheiden wir den logiſchen Grund vom Realgrunde, den
logiſchen Zuſammenhang vom realen, ſo kann die Thatſache des
logiſchen Zuſammenhangs in unſerem Denken, welches im Schließen
ſich darſtellt, durch den Satz ausgedrückt werden: mit dem Grund
iſt die Folge geſetzt und mit der Folge iſt der Grund aufgehoben.
Dieſe Nothwendigkeit der Verknüpfung findet ſich thatſächlich in
jedem Syllogismus. Nun kann gezeigt werden, daß wir die Natur
nur auffaſſen und vorſtellen können, indem wir dieſen Zu-
ſammenhang der Denknothwendigkeit in ihr auf-
ſuchen. Wir können die Außenwelt nicht einmal vorſtellen,
es ſei denn erkennen, ohne einen denknothwendigen Zuſammhang
ſchließend in ihr aufzuſuchen. Denn wir können die einzelnen Ein-
drücke, die einzelnen Bilder, die das Gegebene bilden, nicht für
ſich als objektive Wirklichkeit anerkennen. Sie ſind in dem that-
ſächlichen Zuſammenhang, in dem ſie im Bewußtſein kraft ſeiner
Einheit ſtehen, relativ, und können ſonach nur in dieſem Zu-
ſammenhang benutzt werden, um einen äußeren Thatbeſtand
oder eine Natururſache feſtzuſtellen. Jedes Raumbild iſt auf die
Stellung des Auges wie der faſſenden Hand bezogen, für welche
es da iſt. Jeder zeitliche Eindruck iſt auf das Maß der Eindrücke
in dem Auffaſſenden und den Zuſammenhang derſelben bezogen.
Die Qualitäten der Empfindung ſind durch die Beziehung bedingt,
in welcher die Reize der Außenwelt zu unſeren Sinnen ſtehen.
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Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883, S. 499. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dilthey_geisteswissenschaften_1883/522>, abgerufen am 21.11.2024.
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