Dilthey, Wilhelm: Die Einbildungskraft des Dichters: Bausteine für eine Poetik. In: Philosophische Aufsätze. Eduard Zeller zu seinem fünfzigjährigen Doctor-Jubiläum gewidmet. (= Philosphische Aufsätze, 10.) Leipzig, 1887, S. 303–482.pdi_441.001 1) pdi_441.035
Vahlen, Beiträge zu Aristoteles Poetik I 11. pdi_441.001 1) pdi_441.035
Vahlen, Beiträge zu Aristoteles Poetik I 11. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0143" n="441"/><lb n="pdi_441.001"/> dem Gegenstande der Poesie und ihrer metrischen Form noch <lb n="pdi_441.002"/> nicht gesehen. Ihm stehen als die beiden <foreign xml:lang="grc">αἰτίαι φυσικαί</foreign> der <lb n="pdi_441.003"/> Dichtkunst der Nachahmungstrieb und der uns gleichfalls angeborene <lb n="pdi_441.004"/> Sinn für Tact und Harmonie (worin der Sinn für <lb n="pdi_441.005"/> metrische Form eingeschlossen ist) unvermittelt neben einander<note xml:id="PDI_441_1" place="foot" n="1)"><lb n="pdi_441.035"/> Vahlen, Beiträge zu Aristoteles Poetik I 11.</note>. <lb n="pdi_441.006"/> Hiervon lag der Grund in seinem einseitigen Princip der Nachahmung. <lb n="pdi_441.007"/> Unsere psychologische Grundlegung hat den Zusammenhang <lb n="pdi_441.008"/> aufgezeigt. Das Gefühlsmässige der Handlungen und <lb n="pdi_441.009"/> Charaktere tritt auch in dem Darstellungsmittel der Sprache, <lb n="pdi_441.010"/> und zwar durch die Einbildungskraft gesteigert, hervor. Es besteht <lb n="pdi_441.011"/> ein ursprüngliches Verhältniss zwischen den Bewegungen <lb n="pdi_441.012"/> der Gefühle, den Spannungen des Willens, dem schnelleren oder <lb n="pdi_441.013"/> langsameren Ablauf der Vorstellungen und dem Ton, seiner <lb n="pdi_441.014"/> Stärke, Höhe, schnellen oder feierlichen Abfolge, seinem Steigen <lb n="pdi_441.015"/> oder Fallen. Die Stärke und Beschaffenheit der Gefühle, die <lb n="pdi_441.016"/> Energie der Willensspannung, der leichte, ja sich überstürzende <lb n="pdi_441.017"/> Fluss der Vorstellungen in gehobener Stimmung, das Stocken <lb n="pdi_441.018"/> derselben im Schmerz stehen in festen physiologisch bedingten <lb n="pdi_441.019"/> Verhältnissen zur Höhe, Stärke und Geschwindigkeit der Töne. <lb n="pdi_441.020"/> Diese werden erfahren in der betonten Rede. Wir dürfen annehmen, <lb n="pdi_441.021"/> dass in den primitiven Zeiten bei grösserer Stärke des <lb n="pdi_441.022"/> Gefühlsgehaltes die Rede dem Recitativischen näher stand. Von <lb n="pdi_441.023"/> hier entnahm die Musik die Schemata der Melodieen, wie sich <lb n="pdi_441.024"/> deutlich aus der nationalen Verschiedenheit derselben nachweisen <lb n="pdi_441.025"/> lässt. Hier war auch der Ursprung des Metrums, <lb n="pdi_441.026"/> welches ja zunächst mit dem Recitativischen oder Gesangsmässigen <lb n="pdi_441.027"/> sowie mit dem Tanze noch verbunden war. So ergiebt <lb n="pdi_441.028"/> sich, dass nicht die Verhältnisse der Zeitdauer für sich als <lb n="pdi_441.029"/> primäre metrische Thatsachen zu betrachten sind, sondern die <lb n="pdi_441.030"/> Verhältnisse von Energie, Widerstand, steigender und sinkender <lb n="pdi_441.031"/> Bewegung etc. Aber der Versuch, Principien der metrischen <lb n="pdi_441.032"/> Form zu finden, ist hoffnungslos, so lange mit der feineren <lb n="pdi_441.033"/> Kenntniss der Sprachen der Naturvölker auch die ihrer metrischen <lb n="pdi_441.034"/> Formen uns fehlt. Wir unterscheiden mit Mühe die metrische </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [441/0143]
pdi_441.001
dem Gegenstande der Poesie und ihrer metrischen Form noch pdi_441.002
nicht gesehen. Ihm stehen als die beiden αἰτίαι φυσικαί der pdi_441.003
Dichtkunst der Nachahmungstrieb und der uns gleichfalls angeborene pdi_441.004
Sinn für Tact und Harmonie (worin der Sinn für pdi_441.005
metrische Form eingeschlossen ist) unvermittelt neben einander 1). pdi_441.006
Hiervon lag der Grund in seinem einseitigen Princip der Nachahmung. pdi_441.007
Unsere psychologische Grundlegung hat den Zusammenhang pdi_441.008
aufgezeigt. Das Gefühlsmässige der Handlungen und pdi_441.009
Charaktere tritt auch in dem Darstellungsmittel der Sprache, pdi_441.010
und zwar durch die Einbildungskraft gesteigert, hervor. Es besteht pdi_441.011
ein ursprüngliches Verhältniss zwischen den Bewegungen pdi_441.012
der Gefühle, den Spannungen des Willens, dem schnelleren oder pdi_441.013
langsameren Ablauf der Vorstellungen und dem Ton, seiner pdi_441.014
Stärke, Höhe, schnellen oder feierlichen Abfolge, seinem Steigen pdi_441.015
oder Fallen. Die Stärke und Beschaffenheit der Gefühle, die pdi_441.016
Energie der Willensspannung, der leichte, ja sich überstürzende pdi_441.017
Fluss der Vorstellungen in gehobener Stimmung, das Stocken pdi_441.018
derselben im Schmerz stehen in festen physiologisch bedingten pdi_441.019
Verhältnissen zur Höhe, Stärke und Geschwindigkeit der Töne. pdi_441.020
Diese werden erfahren in der betonten Rede. Wir dürfen annehmen, pdi_441.021
dass in den primitiven Zeiten bei grösserer Stärke des pdi_441.022
Gefühlsgehaltes die Rede dem Recitativischen näher stand. Von pdi_441.023
hier entnahm die Musik die Schemata der Melodieen, wie sich pdi_441.024
deutlich aus der nationalen Verschiedenheit derselben nachweisen pdi_441.025
lässt. Hier war auch der Ursprung des Metrums, pdi_441.026
welches ja zunächst mit dem Recitativischen oder Gesangsmässigen pdi_441.027
sowie mit dem Tanze noch verbunden war. So ergiebt pdi_441.028
sich, dass nicht die Verhältnisse der Zeitdauer für sich als pdi_441.029
primäre metrische Thatsachen zu betrachten sind, sondern die pdi_441.030
Verhältnisse von Energie, Widerstand, steigender und sinkender pdi_441.031
Bewegung etc. Aber der Versuch, Principien der metrischen pdi_441.032
Form zu finden, ist hoffnungslos, so lange mit der feineren pdi_441.033
Kenntniss der Sprachen der Naturvölker auch die ihrer metrischen pdi_441.034
Formen uns fehlt. Wir unterscheiden mit Mühe die metrische
1) pdi_441.035
Vahlen, Beiträge zu Aristoteles Poetik I 11.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription.
(2015-09-30T09:54:39Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Sandra Richter: ePoetics-Projekt-Koordination
Weitere Informationen:Bogensignaturen: nicht übernommen; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: DTABf-getreu; Zeilenumbrüche markiert: ja;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |