Dilthey, Wilhelm: Die Einbildungskraft des Dichters: Bausteine für eine Poetik. In: Philosophische Aufsätze. Eduard Zeller zu seinem fünfzigjährigen Doctor-Jubiläum gewidmet. (= Philosphische Aufsätze, 10.) Leipzig, 1887, S. 303–482.pdi_313.001 pdi_313.014 Die erworbenen Einsichten und die neuen Aufgaben der Poetik. pdi_313.015 1. Die Poetik als Formenlehre und Technik. pdi_313.016 Die Poetik, wie sie Aristoteles begründet und die Folgezeit pdi_313.017 Aristoteles hat überall das Verfahren von Verallgemeinerung, pdi_313.020 pdi_313.001 pdi_313.014 Die erworbenen Einsichten und die neuen Aufgaben der Poetik. pdi_313.015 1. Die Poetik als Formenlehre und Technik. pdi_313.016 Die Poetik, wie sie Aristoteles begründet und die Folgezeit pdi_313.017 Aristoteles hat überall das Verfahren von Verallgemeinerung, pdi_313.020 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0015" n="313"/><lb n="pdi_313.001"/> wollte aus der Lectüre der Schriftsteller ein rationales <lb n="pdi_313.002"/> Bewusstsein von den Regeln der Sprachen, des Denkens, <lb n="pdi_313.003"/> des rednerischen und dichterischen Styls sowie eine darauf gegründete <lb n="pdi_313.004"/> Sicherheit der Technik gewinnen. Dieser berechtigte <lb n="pdi_313.005"/> Gedanke wurde in der Blüthezeit unseres griechischen Humanismus <lb n="pdi_313.006"/> durch einen anderen verdrängt, dessen Geltung doch beschränkter <lb n="pdi_313.007"/> ist. Die geschichtliche Erkenntniss des griechischen <lb n="pdi_313.008"/> Geistes in seiner Idealität sollte nun zur schönen Menschlichkeit <lb n="pdi_313.009"/> erziehen. Kehrt die Gelehrtenschule zu ihrem alten Grundgedanken <lb n="pdi_313.010"/> in einer reiferen, mit unserem geschichtlichen Bewusstsein <lb n="pdi_313.011"/> ausgeglichenen Form zurück, dann wird sie auch einer <lb n="pdi_313.012"/> erneuerten Poetik bedürfen, wie einer erneuerten Rhetorik und <lb n="pdi_313.013"/> einer fortgebildeten Logik.</p> </div> <div n="1"> <lb n="pdi_313.014"/> <head> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#b">Die erworbenen Einsichten und die neuen Aufgaben der Poetik.</hi> </hi> </head> <lb n="pdi_313.015"/> <div n="2"> <head> <hi rendition="#c"> 1. <hi rendition="#g">Die Poetik als Formenlehre und Technik.</hi></hi> </head> <lb n="pdi_313.016"/> <p> Die Poetik, wie sie Aristoteles begründet und die Folgezeit <lb n="pdi_313.017"/> bis in das 18. Jahrhundert benutzt und bereichert hat, war eine <lb n="pdi_313.018"/> Formenlehre und eine auf diese gegründete Technik.</p> <lb n="pdi_313.019"/> <p> Aristoteles hat überall das Verfahren von Verallgemeinerung, <lb n="pdi_313.020"/> welche die Formen aus den Einzelthatsachen ableitet und sie <lb n="pdi_313.021"/> coordinirt, sowie von Zergliederung, welche die Zusammensetzung <lb n="pdi_313.022"/> dieser Formen aus Einheiten aufzeigt, angewandt: seine Methode <lb n="pdi_313.023"/> ist descriptiv, nicht ächte Causalerklärung. Und zwar <lb n="pdi_313.024"/> haben seine Grammatik, Logik, Rhetorik und Poetik augenscheinlich <lb n="pdi_313.025"/> zur Grundlage die Beobachtungen, Zergliederungen, <lb n="pdi_313.026"/> Formbegriffe und Regeln, welche in der Kunstübung selber <lb n="pdi_313.027"/> entstanden und in der schulmässigen Bearbeitung der Sophisten <lb n="pdi_313.028"/> durchgebildet worden waren. Indem er constante Formen nachweist, <lb n="pdi_313.029"/> ordnet und so zergliedert, dass man Einheiten zu ersten <lb n="pdi_313.030"/> Verbindungen und diese zu höheren Systemen zusammentreten <lb n="pdi_313.031"/> sieht, vermag er überall das Erbgut des Handwerks selbst und <lb n="pdi_313.032"/> das schulmässige von den Sophisten ausgebildete technische <lb n="pdi_313.033"/> Wissen zu verwenden. Lehrte doch ein grosser Theil des </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [313/0015]
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wollte aus der Lectüre der Schriftsteller ein rationales pdi_313.002
Bewusstsein von den Regeln der Sprachen, des Denkens, pdi_313.003
des rednerischen und dichterischen Styls sowie eine darauf gegründete pdi_313.004
Sicherheit der Technik gewinnen. Dieser berechtigte pdi_313.005
Gedanke wurde in der Blüthezeit unseres griechischen Humanismus pdi_313.006
durch einen anderen verdrängt, dessen Geltung doch beschränkter pdi_313.007
ist. Die geschichtliche Erkenntniss des griechischen pdi_313.008
Geistes in seiner Idealität sollte nun zur schönen Menschlichkeit pdi_313.009
erziehen. Kehrt die Gelehrtenschule zu ihrem alten Grundgedanken pdi_313.010
in einer reiferen, mit unserem geschichtlichen Bewusstsein pdi_313.011
ausgeglichenen Form zurück, dann wird sie auch einer pdi_313.012
erneuerten Poetik bedürfen, wie einer erneuerten Rhetorik und pdi_313.013
einer fortgebildeten Logik.
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Die erworbenen Einsichten und die neuen Aufgaben der Poetik. pdi_313.015
1. Die Poetik als Formenlehre und Technik. pdi_313.016
Die Poetik, wie sie Aristoteles begründet und die Folgezeit pdi_313.017
bis in das 18. Jahrhundert benutzt und bereichert hat, war eine pdi_313.018
Formenlehre und eine auf diese gegründete Technik.
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Aristoteles hat überall das Verfahren von Verallgemeinerung, pdi_313.020
welche die Formen aus den Einzelthatsachen ableitet und sie pdi_313.021
coordinirt, sowie von Zergliederung, welche die Zusammensetzung pdi_313.022
dieser Formen aus Einheiten aufzeigt, angewandt: seine Methode pdi_313.023
ist descriptiv, nicht ächte Causalerklärung. Und zwar pdi_313.024
haben seine Grammatik, Logik, Rhetorik und Poetik augenscheinlich pdi_313.025
zur Grundlage die Beobachtungen, Zergliederungen, pdi_313.026
Formbegriffe und Regeln, welche in der Kunstübung selber pdi_313.027
entstanden und in der schulmässigen Bearbeitung der Sophisten pdi_313.028
durchgebildet worden waren. Indem er constante Formen nachweist, pdi_313.029
ordnet und so zergliedert, dass man Einheiten zu ersten pdi_313.030
Verbindungen und diese zu höheren Systemen zusammentreten pdi_313.031
sieht, vermag er überall das Erbgut des Handwerks selbst und pdi_313.032
das schulmässige von den Sophisten ausgebildete technische pdi_313.033
Wissen zu verwenden. Lehrte doch ein grosser Theil des
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