Dilthey, Wilhelm: Die Einbildungskraft des Dichters: Bausteine für eine Poetik. In: Philosophische Aufsätze. Eduard Zeller zu seinem fünfzigjährigen Doctor-Jubiläum gewidmet. (= Philosphische Aufsätze, 10.) Leipzig, 1887, S. 303–482.pdi_315.001 Alle weiteren Wirkungen, welche die Dichtung hervorzubringen pdi_315.013 pdi_315.001 Alle weiteren Wirkungen, welche die Dichtung hervorzubringen pdi_315.013 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0017" n="315"/><lb n="pdi_315.001"/> Kunst bestehenden einfachsten Thatbestandes von <lb n="pdi_315.002"/> Kunstübung und Kunstgenuss. Andrerseits ordnet es im Sinne <lb n="pdi_315.003"/> dieser objectivistischen Weltbetrachtung die Lust an der Dichtung <lb n="pdi_315.004"/> der an allem Lernen und Schauen unter. Ist so das <lb n="pdi_315.005"/> Princip nicht ohne weiter zurückreichende Beziehungen, so überwiegt <lb n="pdi_315.006"/> doch durchaus der Gesichtspunkt des Technikers dabei, <lb n="pdi_315.007"/> wenn diese Poetik sich daran genügen lässt, als Ursache in der <lb n="pdi_315.008"/> menschlichen Natur, welche die Entstehung der Poesie bewirkte, <lb n="pdi_315.009"/> die Freude am Nachbilden und der Wahrnehmung der Nachbildungen, <lb n="pdi_315.010"/> verbunden mit der an Harmonie und Rhythmus, zu <lb n="pdi_315.011"/> bezeichnen.</p> <lb n="pdi_315.012"/> <p> Alle weiteren Wirkungen, welche die Dichtung hervorzubringen <lb n="pdi_315.013"/> hat, fliessen dann nach ihr aus der Natur des Gegenstandes, <lb n="pdi_315.014"/> der nachgebildet wird: des handelnden Menschen. In <lb n="pdi_315.015"/> diesem Zusammenhang geht die Poetik auf die psychologischethische <lb n="pdi_315.016"/> Natur des nachzubildenden Vorgangs an bedeutenden <lb n="pdi_315.017"/> Stellen zurück. So begründet sie die Lehre, welche doch nur <lb n="pdi_315.018"/> die abstracte Formel für eine Eigenthümlichkeit der griechischen <lb n="pdi_315.019"/> Tragödie ist, dass die Fabel das Princip und gleichsam die Seele <lb n="pdi_315.020"/> der Tragödie sei, das Zweite erst die Charaktere, aus dem <lb n="pdi_315.021"/> ethischen Satze, dass das Ziel des Menschen und seine Eudämonie <lb n="pdi_315.022"/> im Handeln liegt. Daher können nach ihr in der concentrirten <lb n="pdi_315.023"/> Nachbildung des Lebens durch die Tragödie die Handlungen <lb n="pdi_315.024"/> nicht um der Charakterzeichnung willen auftreten. So sieht <lb n="pdi_315.025"/> ferner diese Poetik das Eigenthümliche der Tragödie in der <lb n="pdi_315.026"/> besonderen Art von Wirkung, welche der nachzubildende Gegenstand <lb n="pdi_315.027"/> hervorbringt: der Furcht und dem Mitleid; sie bemerkt ausdrücklich, <lb n="pdi_315.028"/> dass die Definition, welcher diese Angabe über das <lb n="pdi_315.029"/> Merkmal der tragischen Wirkung angehört, in vorher Gesagtem <lb n="pdi_315.030"/> begründet war. Auch diese uns leider verlorene Begründung muss <lb n="pdi_315.031"/> ethisch-psychologisch aus der Natur des nachzubildenden Vorgangs <lb n="pdi_315.032"/> dessen Wirkung abgeleitet haben. So darf endlich wol angenommen <lb n="pdi_315.033"/> werden: wie eine bekannte Stelle des Aristoteles mannigfache <lb n="pdi_315.034"/> ganz verschiedene Wirkungen der musikalischen Kunst, <lb n="pdi_315.035"/> Unterhaltung (und zwar verschiedenen Charakters und Werthes), <lb n="pdi_315.036"/> sittliche Bildung, Reinigung empirisch aufzählt, so hat auch die </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [315/0017]
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Kunst bestehenden einfachsten Thatbestandes von pdi_315.002
Kunstübung und Kunstgenuss. Andrerseits ordnet es im Sinne pdi_315.003
dieser objectivistischen Weltbetrachtung die Lust an der Dichtung pdi_315.004
der an allem Lernen und Schauen unter. Ist so das pdi_315.005
Princip nicht ohne weiter zurückreichende Beziehungen, so überwiegt pdi_315.006
doch durchaus der Gesichtspunkt des Technikers dabei, pdi_315.007
wenn diese Poetik sich daran genügen lässt, als Ursache in der pdi_315.008
menschlichen Natur, welche die Entstehung der Poesie bewirkte, pdi_315.009
die Freude am Nachbilden und der Wahrnehmung der Nachbildungen, pdi_315.010
verbunden mit der an Harmonie und Rhythmus, zu pdi_315.011
bezeichnen.
pdi_315.012
Alle weiteren Wirkungen, welche die Dichtung hervorzubringen pdi_315.013
hat, fliessen dann nach ihr aus der Natur des Gegenstandes, pdi_315.014
der nachgebildet wird: des handelnden Menschen. In pdi_315.015
diesem Zusammenhang geht die Poetik auf die psychologischethische pdi_315.016
Natur des nachzubildenden Vorgangs an bedeutenden pdi_315.017
Stellen zurück. So begründet sie die Lehre, welche doch nur pdi_315.018
die abstracte Formel für eine Eigenthümlichkeit der griechischen pdi_315.019
Tragödie ist, dass die Fabel das Princip und gleichsam die Seele pdi_315.020
der Tragödie sei, das Zweite erst die Charaktere, aus dem pdi_315.021
ethischen Satze, dass das Ziel des Menschen und seine Eudämonie pdi_315.022
im Handeln liegt. Daher können nach ihr in der concentrirten pdi_315.023
Nachbildung des Lebens durch die Tragödie die Handlungen pdi_315.024
nicht um der Charakterzeichnung willen auftreten. So sieht pdi_315.025
ferner diese Poetik das Eigenthümliche der Tragödie in der pdi_315.026
besonderen Art von Wirkung, welche der nachzubildende Gegenstand pdi_315.027
hervorbringt: der Furcht und dem Mitleid; sie bemerkt ausdrücklich, pdi_315.028
dass die Definition, welcher diese Angabe über das pdi_315.029
Merkmal der tragischen Wirkung angehört, in vorher Gesagtem pdi_315.030
begründet war. Auch diese uns leider verlorene Begründung muss pdi_315.031
ethisch-psychologisch aus der Natur des nachzubildenden Vorgangs pdi_315.032
dessen Wirkung abgeleitet haben. So darf endlich wol angenommen pdi_315.033
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ganz verschiedene Wirkungen der musikalischen Kunst, pdi_315.035
Unterhaltung (und zwar verschiedenen Charakters und Werthes), pdi_315.036
sittliche Bildung, Reinigung empirisch aufzählt, so hat auch die
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