Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Dilthey, Wilhelm: Die Einbildungskraft des Dichters: Bausteine für eine Poetik. In: Philosophische Aufsätze. Eduard Zeller zu seinem fünfzigjährigen Doctor-Jubiläum gewidmet. (= Philosphische Aufsätze, 10.) Leipzig, 1887, S. 303–482.

Bild:
<< vorherige Seite

pdi_364.001
nach Graden der Unlust, des Missfallens und der Missbilligung pdi_364.002
darstellen. Aber die Gefühle zeigen auch qualitative Unterschiede. pdi_364.003
Zur Zeit ist die Frage unauflösbar, ob diese qualitativen pdi_364.004
Unterschiede ausschliesslich aus dem Vorstellungsgehalt und dem pdi_364.005
Willen entspringen, oder ob unabhängig hiervon in den Functionen pdi_364.006
des Gefühlslebens solche Unterschiede ausser denen des pdi_364.007
Grades von Lust oder Unlust bestehen. Denn eben in dem Ineinander pdi_364.008
dieser Seiten der Seele ist das Leben; wir vermöchten pdi_364.009
nicht zu sagen, welche Vorgänge im Vorstellen übrig blieben, pdi_364.010
hinweggedacht den Antheil von Gefühl und Wille in Interesse pdi_364.011
und Aufmerksamkeit; wir können ebenso wenig sagen, ob die im pdi_364.012
Gefühlsvorgang auftretende Leistung für sich genommen nur eintönig pdi_364.013
in Graden von Lust und Schmerz bestehen würde. Innerhalb pdi_364.014
der gegebenen qualitativen Mannigfaltigkeit der Gefühle pdi_364.015
suchen wir die elementaren Vorgänge.

pdi_364.016

Die einfacheren Bestandtheile, aus denen sich unsere Gefühle pdi_364.017
zusammensetzen, wiederholen sich in ähnlicher Weise, als es die pdi_364.018
Bestandtheile der Wahrnehmung, also die Empfindungen thun, pdi_364.019
und zwar finden wir, dass im Causalzusammenhang des Seelenlebens pdi_364.020
regelmässig aus einer bestimmten Classe von Antecedenzien pdi_364.021
eine bestimmte elementare Classe von Gefühlsvorgängen pdi_364.022
entsteht. Wie einer Reizclasse ein Kreis von Sinnesqualitäten pdi_364.023
entspricht, so entspricht einer bestimmten Classe von pdi_364.024
Antecedenzien des Gefühls ein bestimmter Gefühlskreis. So pdi_364.025
kann ich die elementaren Gefühle nach Kreisen ordnen, und sie pdi_364.026
bilden in diesem Sinne eine übersehbare Mannigfaltigkeit.

pdi_364.027

Reizvorgänge ohne die Vermittlung dadurch angeregter pdi_364.028
Vorstellungen sind nur Antecedenzien der sinnlichen Lust- und pdi_364.029
Schmerzgefühle. Der Zusammenhang ist hier ein Problem der pdi_364.030
Psychophysik. Diese sucht die Vermittlungen auf, welche innerhalb pdi_364.031
des Körpers von dem Reiz hinüberführen zu dem pdi_364.032
Gefühl. Der Uebergang von dem letzten Glied des physiologischen pdi_364.033
Vorgangs zum Gefühl selber kann natürlich so wenig pdi_364.034
fassbar gemacht werden als der zur Empfindung. - In allen pdi_364.035
anderen Fällen aber sind seelische Vorgänge die Antecedenzien

pdi_364.001
nach Graden der Unlust, des Missfallens und der Missbilligung pdi_364.002
darstellen. Aber die Gefühle zeigen auch qualitative Unterschiede. pdi_364.003
Zur Zeit ist die Frage unauflösbar, ob diese qualitativen pdi_364.004
Unterschiede ausschliesslich aus dem Vorstellungsgehalt und dem pdi_364.005
Willen entspringen, oder ob unabhängig hiervon in den Functionen pdi_364.006
des Gefühlslebens solche Unterschiede ausser denen des pdi_364.007
Grades von Lust oder Unlust bestehen. Denn eben in dem Ineinander pdi_364.008
dieser Seiten der Seele ist das Leben; wir vermöchten pdi_364.009
nicht zu sagen, welche Vorgänge im Vorstellen übrig blieben, pdi_364.010
hinweggedacht den Antheil von Gefühl und Wille in Interesse pdi_364.011
und Aufmerksamkeit; wir können ebenso wenig sagen, ob die im pdi_364.012
Gefühlsvorgang auftretende Leistung für sich genommen nur eintönig pdi_364.013
in Graden von Lust und Schmerz bestehen würde. Innerhalb pdi_364.014
der gegebenen qualitativen Mannigfaltigkeit der Gefühle pdi_364.015
suchen wir die elementaren Vorgänge.

pdi_364.016

  Die einfacheren Bestandtheile, aus denen sich unsere Gefühle pdi_364.017
zusammensetzen, wiederholen sich in ähnlicher Weise, als es die pdi_364.018
Bestandtheile der Wahrnehmung, also die Empfindungen thun, pdi_364.019
und zwar finden wir, dass im Causalzusammenhang des Seelenlebens pdi_364.020
regelmässig aus einer bestimmten Classe von Antecedenzien pdi_364.021
eine bestimmte elementare Classe von Gefühlsvorgängen pdi_364.022
entsteht. Wie einer Reizclasse ein Kreis von Sinnesqualitäten pdi_364.023
entspricht, so entspricht einer bestimmten Classe von pdi_364.024
Antecedenzien des Gefühls ein bestimmter Gefühlskreis. So pdi_364.025
kann ich die elementaren Gefühle nach Kreisen ordnen, und sie pdi_364.026
bilden in diesem Sinne eine übersehbare Mannigfaltigkeit.

pdi_364.027

  Reizvorgänge ohne die Vermittlung dadurch angeregter pdi_364.028
Vorstellungen sind nur Antecedenzien der sinnlichen Lust- und pdi_364.029
Schmerzgefühle. Der Zusammenhang ist hier ein Problem der pdi_364.030
Psychophysik. Diese sucht die Vermittlungen auf, welche innerhalb pdi_364.031
des Körpers von dem Reiz hinüberführen zu dem pdi_364.032
Gefühl. Der Uebergang von dem letzten Glied des physiologischen pdi_364.033
Vorgangs zum Gefühl selber kann natürlich so wenig pdi_364.034
fassbar gemacht werden als der zur Empfindung. ─ In allen pdi_364.035
anderen Fällen aber sind seelische Vorgänge die Antecedenzien

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0066" n="364"/><lb n="pdi_364.001"/>
nach Graden der Unlust, des Missfallens und der Missbilligung <lb n="pdi_364.002"/>
darstellen. Aber die Gefühle zeigen auch qualitative Unterschiede. <lb n="pdi_364.003"/>
Zur Zeit ist die Frage unauflösbar, ob diese qualitativen <lb n="pdi_364.004"/>
Unterschiede ausschliesslich aus dem Vorstellungsgehalt und dem <lb n="pdi_364.005"/>
Willen entspringen, oder ob unabhängig hiervon in den Functionen <lb n="pdi_364.006"/>
des Gefühlslebens solche Unterschiede ausser denen des <lb n="pdi_364.007"/>
Grades von Lust oder Unlust bestehen. Denn eben in dem Ineinander <lb n="pdi_364.008"/>
dieser Seiten der Seele ist das Leben; wir vermöchten <lb n="pdi_364.009"/>
nicht zu sagen, welche Vorgänge im Vorstellen übrig blieben, <lb n="pdi_364.010"/>
hinweggedacht den Antheil von Gefühl und Wille in Interesse <lb n="pdi_364.011"/>
und Aufmerksamkeit; wir können ebenso wenig sagen, ob die im <lb n="pdi_364.012"/>
Gefühlsvorgang auftretende Leistung für sich genommen nur eintönig <lb n="pdi_364.013"/>
in Graden von Lust und Schmerz bestehen würde. Innerhalb <lb n="pdi_364.014"/>
der gegebenen qualitativen Mannigfaltigkeit der Gefühle <lb n="pdi_364.015"/>
suchen wir die elementaren Vorgänge.</p>
          <lb n="pdi_364.016"/>
          <p>  Die einfacheren Bestandtheile, aus denen sich unsere Gefühle <lb n="pdi_364.017"/>
zusammensetzen, wiederholen sich in ähnlicher Weise, als es die <lb n="pdi_364.018"/>
Bestandtheile der Wahrnehmung, also die Empfindungen thun, <lb n="pdi_364.019"/>
und zwar finden wir, dass im Causalzusammenhang des Seelenlebens <lb n="pdi_364.020"/>
regelmässig aus einer bestimmten Classe von Antecedenzien <lb n="pdi_364.021"/>
eine bestimmte elementare Classe von Gefühlsvorgängen <lb n="pdi_364.022"/>
entsteht. Wie einer Reizclasse ein Kreis von Sinnesqualitäten <lb n="pdi_364.023"/>
entspricht, so entspricht einer bestimmten Classe von <lb n="pdi_364.024"/>
Antecedenzien des Gefühls ein bestimmter Gefühlskreis. So <lb n="pdi_364.025"/>
kann ich die elementaren Gefühle nach Kreisen ordnen, und sie <lb n="pdi_364.026"/>
bilden in diesem Sinne eine übersehbare Mannigfaltigkeit.</p>
          <lb n="pdi_364.027"/>
          <p>  Reizvorgänge ohne die Vermittlung dadurch angeregter <lb n="pdi_364.028"/>
Vorstellungen sind nur Antecedenzien der sinnlichen Lust- und <lb n="pdi_364.029"/>
Schmerzgefühle. Der Zusammenhang ist hier ein Problem der <lb n="pdi_364.030"/>
Psychophysik. Diese sucht die Vermittlungen auf, welche innerhalb <lb n="pdi_364.031"/>
des Körpers von dem Reiz hinüberführen zu dem <lb n="pdi_364.032"/>
Gefühl. Der Uebergang von dem letzten Glied des physiologischen <lb n="pdi_364.033"/>
Vorgangs zum Gefühl selber kann natürlich so wenig <lb n="pdi_364.034"/>
fassbar gemacht werden als der zur Empfindung. &#x2500; In allen <lb n="pdi_364.035"/>
anderen Fällen aber sind seelische Vorgänge die Antecedenzien
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[364/0066] pdi_364.001 nach Graden der Unlust, des Missfallens und der Missbilligung pdi_364.002 darstellen. Aber die Gefühle zeigen auch qualitative Unterschiede. pdi_364.003 Zur Zeit ist die Frage unauflösbar, ob diese qualitativen pdi_364.004 Unterschiede ausschliesslich aus dem Vorstellungsgehalt und dem pdi_364.005 Willen entspringen, oder ob unabhängig hiervon in den Functionen pdi_364.006 des Gefühlslebens solche Unterschiede ausser denen des pdi_364.007 Grades von Lust oder Unlust bestehen. Denn eben in dem Ineinander pdi_364.008 dieser Seiten der Seele ist das Leben; wir vermöchten pdi_364.009 nicht zu sagen, welche Vorgänge im Vorstellen übrig blieben, pdi_364.010 hinweggedacht den Antheil von Gefühl und Wille in Interesse pdi_364.011 und Aufmerksamkeit; wir können ebenso wenig sagen, ob die im pdi_364.012 Gefühlsvorgang auftretende Leistung für sich genommen nur eintönig pdi_364.013 in Graden von Lust und Schmerz bestehen würde. Innerhalb pdi_364.014 der gegebenen qualitativen Mannigfaltigkeit der Gefühle pdi_364.015 suchen wir die elementaren Vorgänge. pdi_364.016   Die einfacheren Bestandtheile, aus denen sich unsere Gefühle pdi_364.017 zusammensetzen, wiederholen sich in ähnlicher Weise, als es die pdi_364.018 Bestandtheile der Wahrnehmung, also die Empfindungen thun, pdi_364.019 und zwar finden wir, dass im Causalzusammenhang des Seelenlebens pdi_364.020 regelmässig aus einer bestimmten Classe von Antecedenzien pdi_364.021 eine bestimmte elementare Classe von Gefühlsvorgängen pdi_364.022 entsteht. Wie einer Reizclasse ein Kreis von Sinnesqualitäten pdi_364.023 entspricht, so entspricht einer bestimmten Classe von pdi_364.024 Antecedenzien des Gefühls ein bestimmter Gefühlskreis. So pdi_364.025 kann ich die elementaren Gefühle nach Kreisen ordnen, und sie pdi_364.026 bilden in diesem Sinne eine übersehbare Mannigfaltigkeit. pdi_364.027   Reizvorgänge ohne die Vermittlung dadurch angeregter pdi_364.028 Vorstellungen sind nur Antecedenzien der sinnlichen Lust- und pdi_364.029 Schmerzgefühle. Der Zusammenhang ist hier ein Problem der pdi_364.030 Psychophysik. Diese sucht die Vermittlungen auf, welche innerhalb pdi_364.031 des Körpers von dem Reiz hinüberführen zu dem pdi_364.032 Gefühl. Der Uebergang von dem letzten Glied des physiologischen pdi_364.033 Vorgangs zum Gefühl selber kann natürlich so wenig pdi_364.034 fassbar gemacht werden als der zur Empfindung. ─ In allen pdi_364.035 anderen Fällen aber sind seelische Vorgänge die Antecedenzien

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription. (2015-09-30T09:54:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Sandra Richter: ePoetics-Projekt-Koordination

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht übernommen; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: DTABf-getreu; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/dilthey_poetik_1887
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/dilthey_poetik_1887/66
Zitationshilfe: Dilthey, Wilhelm: Die Einbildungskraft des Dichters: Bausteine für eine Poetik. In: Philosophische Aufsätze. Eduard Zeller zu seinem fünfzigjährigen Doctor-Jubiläum gewidmet. (= Philosphische Aufsätze, 10.) Leipzig, 1887, S. 303–482, hier S. 364. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dilthey_poetik_1887/66>, abgerufen am 27.11.2024.