Dilthey, Wilhelm: Die Einbildungskraft des Dichters: Bausteine für eine Poetik. In: Philosophische Aufsätze. Eduard Zeller zu seinem fünfzigjährigen Doctor-Jubiläum gewidmet. (= Philosphische Aufsätze, 10.) Leipzig, 1887, S. 303–482.pdi_372.001 Aber der Wille, in welchem diese Triebe sich auswirken und pdi_372.007 pdi_372.001 Aber der Wille, in welchem diese Triebe sich auswirken und pdi_372.007 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0074" n="372"/><lb n="pdi_372.001"/> wird, wie in Architektur und Musik, ist die Abstammung der <lb n="pdi_372.002"/> Formen aus dieser Mächtigkeit eines kernhaften Menschen, nicht <lb n="pdi_372.003"/> aus blosser Nachahmung des Lebens Anderer oder gar der von <lb n="pdi_372.004"/> ihnen geschaffenen Formen, das, was einem Tonwerk oder einem <lb n="pdi_372.005"/> Kirchenbau seine Wahrhaftigkeit giebt.</p> <lb n="pdi_372.006"/> <p> Aber der Wille, in welchem diese Triebe sich auswirken und <lb n="pdi_372.007"/> Leidenschaften hervorrufen, hat allgemeine in diesen Trieben und <lb n="pdi_372.008"/> Leidenschaften sich äussernde Eigenschaften, deren wir nun <lb n="pdi_372.009"/> auch innewerden. Die Eindrücke, in denen wir sie fühlen, sind <lb n="pdi_372.010"/> von dem eben geschilderten Gefühlskreis verschieden, so nahe <lb n="pdi_372.011"/> vielfach die Verwandtschaft ist. Der <hi rendition="#g">letzte Gefühlskreis</hi> <lb n="pdi_372.012"/> entsteht also, indem wir der allgemeinen <hi rendition="#g">Eigenschaften</hi> der <lb n="pdi_372.013"/> <hi rendition="#g">Willensregungen innewerden</hi> und ihren Werth erfahren. <lb n="pdi_372.014"/> Die sehr grosse Mannigfaltigkeit in diesem Gefühlskreis entspringt <lb n="pdi_372.015"/> aus dem Mehrfachen dieser Eigenschaften, aus den Relationen, <lb n="pdi_372.016"/> in welche sie gleichsam zersplittern, aus den Verschiedenheiten <lb n="pdi_372.017"/> des Erfahrens, je nachdem wir uns nur dieser Eigenschaften <lb n="pdi_372.018"/> mächtig fühlen oder ihren Werth im Urtheil über uns selbst <lb n="pdi_372.019"/> erfahren oder im Urtheil über Andere den Werth des fremden <lb n="pdi_372.020"/> Willens bestimmen. Wir zählen nun äusserlich auf. Das frohe <lb n="pdi_372.021"/> Gefühl unserer Kraft. Innewerden des folgerichtigen Festhaltens <lb n="pdi_372.022"/> an dem unserem Willen Wesenhaften im Wechsel der <lb n="pdi_372.023"/> Umstände, hindurchgreifend durch die Zeit und sie für den <lb n="pdi_372.024"/> Willen vernichtend: also Charakter oder Consequenz. Daran sich <lb n="pdi_372.025"/> anschliessend: Treue, Muth, Nichtachtung der Gefahr oder des <lb n="pdi_372.026"/> Leidens, verglichen mit dem vom Charakter Erfassten. Reichthum <lb n="pdi_372.027"/> des in den Willen aufgenommenen Lebensgehaltes, der in der Einheit <lb n="pdi_372.028"/> desselben geordnet und in freudiger Erweiterung des Lebensgefühls <lb n="pdi_372.029"/> genossen wird. Die Folgerichtigkeit, für die auch die Bindung <lb n="pdi_372.030"/> einem anderen Willen gegenüber, unabhängig von der Zeit, <lb n="pdi_372.031"/> fest bleibt und welche diese Bindung anerkennt, durch was für <lb n="pdi_372.032"/> Acte von Empfangen, Geniessen oder Festsetzen sie auch entstanden <lb n="pdi_372.033"/> sein mag: also die Rechtschaffenheit und Pflichttreue. <lb n="pdi_372.034"/> An sie schliesst sich Dankbarkeit, Verehrung etc. Und wie ich <lb n="pdi_372.035"/> selbst mich als Person schätze und die Sphäre meines <lb n="pdi_372.036"/> Rechtes behüte, so finde ich mich auch gezwungen, Personalität </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [372/0074]
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wird, wie in Architektur und Musik, ist die Abstammung der pdi_372.002
Formen aus dieser Mächtigkeit eines kernhaften Menschen, nicht pdi_372.003
aus blosser Nachahmung des Lebens Anderer oder gar der von pdi_372.004
ihnen geschaffenen Formen, das, was einem Tonwerk oder einem pdi_372.005
Kirchenbau seine Wahrhaftigkeit giebt.
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Aber der Wille, in welchem diese Triebe sich auswirken und pdi_372.007
Leidenschaften hervorrufen, hat allgemeine in diesen Trieben und pdi_372.008
Leidenschaften sich äussernde Eigenschaften, deren wir nun pdi_372.009
auch innewerden. Die Eindrücke, in denen wir sie fühlen, sind pdi_372.010
von dem eben geschilderten Gefühlskreis verschieden, so nahe pdi_372.011
vielfach die Verwandtschaft ist. Der letzte Gefühlskreis pdi_372.012
entsteht also, indem wir der allgemeinen Eigenschaften der pdi_372.013
Willensregungen innewerden und ihren Werth erfahren. pdi_372.014
Die sehr grosse Mannigfaltigkeit in diesem Gefühlskreis entspringt pdi_372.015
aus dem Mehrfachen dieser Eigenschaften, aus den Relationen, pdi_372.016
in welche sie gleichsam zersplittern, aus den Verschiedenheiten pdi_372.017
des Erfahrens, je nachdem wir uns nur dieser Eigenschaften pdi_372.018
mächtig fühlen oder ihren Werth im Urtheil über uns selbst pdi_372.019
erfahren oder im Urtheil über Andere den Werth des fremden pdi_372.020
Willens bestimmen. Wir zählen nun äusserlich auf. Das frohe pdi_372.021
Gefühl unserer Kraft. Innewerden des folgerichtigen Festhaltens pdi_372.022
an dem unserem Willen Wesenhaften im Wechsel der pdi_372.023
Umstände, hindurchgreifend durch die Zeit und sie für den pdi_372.024
Willen vernichtend: also Charakter oder Consequenz. Daran sich pdi_372.025
anschliessend: Treue, Muth, Nichtachtung der Gefahr oder des pdi_372.026
Leidens, verglichen mit dem vom Charakter Erfassten. Reichthum pdi_372.027
des in den Willen aufgenommenen Lebensgehaltes, der in der Einheit pdi_372.028
desselben geordnet und in freudiger Erweiterung des Lebensgefühls pdi_372.029
genossen wird. Die Folgerichtigkeit, für die auch die Bindung pdi_372.030
einem anderen Willen gegenüber, unabhängig von der Zeit, pdi_372.031
fest bleibt und welche diese Bindung anerkennt, durch was für pdi_372.032
Acte von Empfangen, Geniessen oder Festsetzen sie auch entstanden pdi_372.033
sein mag: also die Rechtschaffenheit und Pflichttreue. pdi_372.034
An sie schliesst sich Dankbarkeit, Verehrung etc. Und wie ich pdi_372.035
selbst mich als Person schätze und die Sphäre meines pdi_372.036
Rechtes behüte, so finde ich mich auch gezwungen, Personalität
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