Dilthey, Wilhelm: Die Einbildungskraft des Dichters: Bausteine für eine Poetik. In: Philosophische Aufsätze. Eduard Zeller zu seinem fünfzigjährigen Doctor-Jubiläum gewidmet. (= Philosphische Aufsätze, 10.) Leipzig, 1887, S. 303–482.pdi_380.001 Wir gehen wieder weiter. Eine fernere Ursache des pdi_380.006 pdi_380.001 Wir gehen wieder weiter. Eine fernere Ursache des pdi_380.006 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0082" n="380"/><lb n="pdi_380.001"/> Wenn Shakespeare die innere Gebundenheit der Seele Hamlets <lb n="pdi_380.002"/> an den Schatten seines Vaters und an seine Pflicht gegen ihn <lb n="pdi_380.003"/> vorstellen will, rufen diese inneren Zuständlichkeiten ihm machtvolle <lb n="pdi_380.004"/> äussere Bilder vor die Seele, welche zu ihnen gehören.</p> <lb n="pdi_380.005"/> <p> Wir gehen wieder weiter. Eine fernere Ursache des <lb n="pdi_380.006"/> Wechsels unserer Gefühle ist diesen ganz eigenthümlich und in <lb n="pdi_380.007"/> den <hi rendition="#g">Beziehungen</hi> derselben zu den <hi rendition="#g">Antrieben</hi> begründet, <lb n="pdi_380.008"/> die über das Innewerden des Trieblebens, des Willens und der <lb n="pdi_380.009"/> Hemmungen und Förderungen desselben hinausreichen. Dies <lb n="pdi_380.010"/> Innewerden der Zustände des Willens in Gefühlszuständen hat, <lb n="pdi_380.011"/> wie wir sahen, die elementaren Gefühle der beiden letzten <lb n="pdi_380.012"/> Kreise zur Folge. Nun wird andererseits der Willensvorgang <lb n="pdi_380.013"/> stets von Gefühlen in Bewegung gesetzt, und diese gehen beständig <lb n="pdi_380.014"/> in Antriebe, Begehrungen und Willensakte über. Wie <lb n="pdi_380.015"/> in manchen Zuständen vom Empfinden, vom Innewerden ein <lb n="pdi_380.016"/> unmerklicher Uebergang in Gefühle stattfindet, so auch von <lb n="pdi_380.017"/> diesen, in dem Umkreis von Verlangen und Regung gar verschiedener <lb n="pdi_380.018"/> Art, in Willensvorgänge. Wir lehnen auch hier <lb n="pdi_380.019"/> Hypothesen ab, und uns genügt, um das Recht der Sonderung <lb n="pdi_380.020"/> für die empirische Betrachtung zu begründen, die innere Erfahrung <lb n="pdi_380.021"/> von der Verschiedenheit der Vorgänge und die Thatsache, <lb n="pdi_380.022"/> dass das Mass der Gefühlsstärke keineswegs das der <lb n="pdi_380.023"/> Willenskraft ist; können doch starke Gefühle mit sehr schwachen <lb n="pdi_380.024"/> Willensvorgängen verbunden sein. Der Uebergang unserer Gefühle <lb n="pdi_380.025"/> in unsere Willensvorgänge steht nun unter dem Gesetz: <lb n="pdi_380.026"/> wir streben, die Lustgefühle festzuhalten und von den Unlustgefühlen <lb n="pdi_380.027"/> aus mindestens in eine Gleichgewichtslage zu gelangen. <lb n="pdi_380.028"/> Der nächste Weg aus den Unlustgefühlen in die Gleichgewichtslage, <lb n="pdi_380.029"/> wie ihn der Wille sucht, besteht in der Anpassung der <lb n="pdi_380.030"/> Bedingungen des Lebens an die Bedürfnisse des Inneren: so <lb n="pdi_380.031"/> entstehen die äusseren Willenshandlungen. Auf einem anderen <lb n="pdi_380.032"/> aber sucht der Wille sich selber einer Wirklichkeit anzupassen, <lb n="pdi_380.033"/> die er nicht ändern kann. Das Innere strebt, sich mit unverrückbaren <lb n="pdi_380.034"/> äusseren Bedingungen in Einklang zu setzen. Dies <lb n="pdi_380.035"/> geschieht durch innere Willenshandlungen. So ist Anfangs der <lb n="pdi_380.036"/> religiöse Vorgang vorwiegend eine Weise, bei den räthselhaften </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [380/0082]
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Wenn Shakespeare die innere Gebundenheit der Seele Hamlets pdi_380.002
an den Schatten seines Vaters und an seine Pflicht gegen ihn pdi_380.003
vorstellen will, rufen diese inneren Zuständlichkeiten ihm machtvolle pdi_380.004
äussere Bilder vor die Seele, welche zu ihnen gehören.
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Wir gehen wieder weiter. Eine fernere Ursache des pdi_380.006
Wechsels unserer Gefühle ist diesen ganz eigenthümlich und in pdi_380.007
den Beziehungen derselben zu den Antrieben begründet, pdi_380.008
die über das Innewerden des Trieblebens, des Willens und der pdi_380.009
Hemmungen und Förderungen desselben hinausreichen. Dies pdi_380.010
Innewerden der Zustände des Willens in Gefühlszuständen hat, pdi_380.011
wie wir sahen, die elementaren Gefühle der beiden letzten pdi_380.012
Kreise zur Folge. Nun wird andererseits der Willensvorgang pdi_380.013
stets von Gefühlen in Bewegung gesetzt, und diese gehen beständig pdi_380.014
in Antriebe, Begehrungen und Willensakte über. Wie pdi_380.015
in manchen Zuständen vom Empfinden, vom Innewerden ein pdi_380.016
unmerklicher Uebergang in Gefühle stattfindet, so auch von pdi_380.017
diesen, in dem Umkreis von Verlangen und Regung gar verschiedener pdi_380.018
Art, in Willensvorgänge. Wir lehnen auch hier pdi_380.019
Hypothesen ab, und uns genügt, um das Recht der Sonderung pdi_380.020
für die empirische Betrachtung zu begründen, die innere Erfahrung pdi_380.021
von der Verschiedenheit der Vorgänge und die Thatsache, pdi_380.022
dass das Mass der Gefühlsstärke keineswegs das der pdi_380.023
Willenskraft ist; können doch starke Gefühle mit sehr schwachen pdi_380.024
Willensvorgängen verbunden sein. Der Uebergang unserer Gefühle pdi_380.025
in unsere Willensvorgänge steht nun unter dem Gesetz: pdi_380.026
wir streben, die Lustgefühle festzuhalten und von den Unlustgefühlen pdi_380.027
aus mindestens in eine Gleichgewichtslage zu gelangen. pdi_380.028
Der nächste Weg aus den Unlustgefühlen in die Gleichgewichtslage, pdi_380.029
wie ihn der Wille sucht, besteht in der Anpassung der pdi_380.030
Bedingungen des Lebens an die Bedürfnisse des Inneren: so pdi_380.031
entstehen die äusseren Willenshandlungen. Auf einem anderen pdi_380.032
aber sucht der Wille sich selber einer Wirklichkeit anzupassen, pdi_380.033
die er nicht ändern kann. Das Innere strebt, sich mit unverrückbaren pdi_380.034
äusseren Bedingungen in Einklang zu setzen. Dies pdi_380.035
geschieht durch innere Willenshandlungen. So ist Anfangs der pdi_380.036
religiöse Vorgang vorwiegend eine Weise, bei den räthselhaften
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