Dilthey, Wilhelm: Die Einbildungskraft des Dichters: Bausteine für eine Poetik. In: Philosophische Aufsätze. Eduard Zeller zu seinem fünfzigjährigen Doctor-Jubiläum gewidmet. (= Philosphische Aufsätze, 10.) Leipzig, 1887, S. 303–482.pdi_392.001 Die Ueberschreitung der Wirklichkeit im Schaffen des pdi_392.030 1) pdi_392.034
So nach den Untersuchungen von Donders, von Rählmann und pdi_392.035 Wittkowski, sowie von Mosso. pdi_392.001 Die Ueberschreitung der Wirklichkeit im Schaffen des pdi_392.030 1) pdi_392.034
So nach den Untersuchungen von Donders, von Rählmann und pdi_392.035 Wittkowski, sowie von Mosso. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0094" n="392"/><lb n="pdi_392.001"/> Wirklichkeit überschreiten, doch aber vom Glauben an ihre <lb n="pdi_392.002"/> Realität begleitet sind, und auch hier ist eine solche Herabminderung <lb n="pdi_392.003"/> der Energie des seelischen Zusammenhangs und eine <lb n="pdi_392.004"/> begleitende Veränderung der Gehirnleistung die Bedingung. <lb n="pdi_392.005"/> Mit dem Eintritt und während der Dauer des Schlafes findet <lb n="pdi_392.006"/> eine Veränderung der Blutbewegung im Gehirn statt<note xml:id="PDI_392_1" place="foot" n="1)"><lb n="pdi_392.034"/> So nach den Untersuchungen von Donders, von Rählmann und <lb n="pdi_392.035"/> Wittkowski, sowie von Mosso.</note>. Die <lb n="pdi_392.007"/> Leistung der Grosshirnrinde wird modificirt. Zugleich treten <lb n="pdi_392.008"/> durch die Sinnesorgane nur vereinzelte und unbestimmte Eindrücke. <lb n="pdi_392.009"/> An diese wie an die innerhalb des Organismus selbst <lb n="pdi_392.010"/> angeregten Veränderungen knüpfen sich nun Associationen und <lb n="pdi_392.011"/> Schlüsse, welche nicht durch den erworbenen Zusammenhang <lb n="pdi_392.012"/> des Seelenlebens bestimmt und regulirt sind. So treten z. B. <lb n="pdi_392.013"/> Organgefühle, welche im Wachen fest bezogen sind, nun unbestimmt <lb n="pdi_392.014"/> in ihrer Extension auf, ohne die ursächlichen Beziehungen, <lb n="pdi_392.015"/> die sonst zu Gebote stehen, und daher rufen nun <lb n="pdi_392.016"/> etwa Athembeschwerden Bilder eines lastenden Körpers hervor. <lb n="pdi_392.017"/> Ebenso sind die Verbindungen, welche jetzt zwischen den einzelnen <lb n="pdi_392.018"/> Traumbildern durch das Denken hergestellt werden, <lb n="pdi_392.019"/> unregulirt und daher oft sonderbar. Vom Traum führt das <lb n="pdi_392.020"/> <hi rendition="#g">Schlafwandeln,</hi> als die Durchführung der Traumhandlung in <lb n="pdi_392.021"/> einem vollständigen Drama ─ vielleicht das merkwürdigste <lb n="pdi_392.022"/> Beispiel einer der dichterischen verwandten Einbildungskraft <lb n="pdi_392.023"/> in den von der Norm des wachen Lebens abweichenden Zuständen <lb n="pdi_392.024"/> ─ hinüber zum <hi rendition="#g">hypnotischen</hi> Zustande. Auch hier <lb n="pdi_392.025"/> ist der erworbene Zusammenhang des Seelenlebens herabgesezt. <lb n="pdi_392.026"/> Die so zur Herrschaft gelangende Traumhandlung hat hier das <lb n="pdi_392.027"/> charakteristische Merkmal der Abhängigkeit vom hypnotisirenden <lb n="pdi_392.028"/> Willen. Der Hypnotisirte ist gleichsam ein Nachahmungsautomat.</p> <lb n="pdi_392.029"/> <p> Die Ueberschreitung der Wirklichkeit im <hi rendition="#g">Schaffen</hi> des <lb n="pdi_392.030"/> <hi rendition="#g">Dichters</hi> stammt aus Ursachen von ganz entgegengesetzter Art. <lb n="pdi_392.031"/> Die ganze Energie einer gesunden und mächtigen Seele ist hier <lb n="pdi_392.032"/> wirksam; eine reiche und weite Erfahrung wird benutzt; das <lb n="pdi_392.033"/> Denken hat sie geordnet und verallgemeinert. Die Umgestaltung </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [392/0094]
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Wirklichkeit überschreiten, doch aber vom Glauben an ihre pdi_392.002
Realität begleitet sind, und auch hier ist eine solche Herabminderung pdi_392.003
der Energie des seelischen Zusammenhangs und eine pdi_392.004
begleitende Veränderung der Gehirnleistung die Bedingung. pdi_392.005
Mit dem Eintritt und während der Dauer des Schlafes findet pdi_392.006
eine Veränderung der Blutbewegung im Gehirn statt 1). Die pdi_392.007
Leistung der Grosshirnrinde wird modificirt. Zugleich treten pdi_392.008
durch die Sinnesorgane nur vereinzelte und unbestimmte Eindrücke. pdi_392.009
An diese wie an die innerhalb des Organismus selbst pdi_392.010
angeregten Veränderungen knüpfen sich nun Associationen und pdi_392.011
Schlüsse, welche nicht durch den erworbenen Zusammenhang pdi_392.012
des Seelenlebens bestimmt und regulirt sind. So treten z. B. pdi_392.013
Organgefühle, welche im Wachen fest bezogen sind, nun unbestimmt pdi_392.014
in ihrer Extension auf, ohne die ursächlichen Beziehungen, pdi_392.015
die sonst zu Gebote stehen, und daher rufen nun pdi_392.016
etwa Athembeschwerden Bilder eines lastenden Körpers hervor. pdi_392.017
Ebenso sind die Verbindungen, welche jetzt zwischen den einzelnen pdi_392.018
Traumbildern durch das Denken hergestellt werden, pdi_392.019
unregulirt und daher oft sonderbar. Vom Traum führt das pdi_392.020
Schlafwandeln, als die Durchführung der Traumhandlung in pdi_392.021
einem vollständigen Drama ─ vielleicht das merkwürdigste pdi_392.022
Beispiel einer der dichterischen verwandten Einbildungskraft pdi_392.023
in den von der Norm des wachen Lebens abweichenden Zuständen pdi_392.024
─ hinüber zum hypnotischen Zustande. Auch hier pdi_392.025
ist der erworbene Zusammenhang des Seelenlebens herabgesezt. pdi_392.026
Die so zur Herrschaft gelangende Traumhandlung hat hier das pdi_392.027
charakteristische Merkmal der Abhängigkeit vom hypnotisirenden pdi_392.028
Willen. Der Hypnotisirte ist gleichsam ein Nachahmungsautomat.
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Die Ueberschreitung der Wirklichkeit im Schaffen des pdi_392.030
Dichters stammt aus Ursachen von ganz entgegengesetzter Art. pdi_392.031
Die ganze Energie einer gesunden und mächtigen Seele ist hier pdi_392.032
wirksam; eine reiche und weite Erfahrung wird benutzt; das pdi_392.033
Denken hat sie geordnet und verallgemeinert. Die Umgestaltung
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So nach den Untersuchungen von Donders, von Rählmann und pdi_392.035
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