Dilthey, Wilhelm: Die Einbildungskraft des Dichters: Bausteine für eine Poetik. In: Philosophische Aufsätze. Eduard Zeller zu seinem fünfzigjährigen Doctor-Jubiläum gewidmet. (= Philosphische Aufsätze, 10.) Leipzig, 1887, S. 303–482.pdi_395.001 Bilder verändern sich, indem sie sich dehnen oder pdi_395.005 Der Traum lässt die Bilder unter dem Einfluss der pdi_395.009 Derselbe Vorgang von Veränderung der Elemente nach pdi_395.035 pdi_395.001 Bilder verändern sich, indem sie sich dehnen oder pdi_395.005 Der Traum lässt die Bilder unter dem Einfluss der pdi_395.009 Derselbe Vorgang von Veränderung der Elemente nach pdi_395.035 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0097" n="395"/><lb n="pdi_395.001"/> der Bildbestandtheile, welche freilich für sich nur die flache <lb n="pdi_395.002"/> Harmonie des leeren Ideals wäre, wirkten nicht andere Gesetze <lb n="pdi_395.003"/> noch auf die Umgestaltung der Bilder.</p> <lb n="pdi_395.004"/> <p> <hi rendition="#et"> Bilder verändern sich, indem sie sich dehnen oder <lb n="pdi_395.005"/> zusammenschrumpfen, indem die Intensität der Empfindungen, <lb n="pdi_395.006"/> aus denen sie zusammengesetzt sind, sich <lb n="pdi_395.007"/> verstärkt oder vermindert.</hi> </p> <lb n="pdi_395.008"/> <p> Der <hi rendition="#g">Traum</hi> lässt die Bilder unter dem Einfluss der <lb n="pdi_395.009"/> Gefühle sich ausdehnen und verstärken. Abgesehen von <lb n="pdi_395.010"/> der directen Einwirkung der physiologischen Bedingungen auf <lb n="pdi_395.011"/> die Empfindungen, sind in ihm die Vorstellungen von der <lb n="pdi_395.012"/> Concurrenz der Aussenbilder befreit und der Einwirkung des <lb n="pdi_395.013"/> erworbenen Zusammenhangs der Wirklichkeit in einem gewissen <lb n="pdi_395.014"/> Grade entnommen. So, dazu noch unter dem Einfluss der Gefühle, <lb n="pdi_395.015"/> glühen nun in ihm die Farben intensiver, die Klänge, die <lb n="pdi_395.016"/> er zurückführt, tönen mächtiger oder bestrickender: leise Schallreize <lb n="pdi_395.017"/> vergrössern sich ins Ungeheure und die Gestalten <lb n="pdi_395.018"/> wachsen vor unsern Augen ins Weite, oder während des <lb n="pdi_395.019"/> Traums vermehrt sich die Zahl gleichartiger Bilder. Hoffnung <lb n="pdi_395.020"/> und Furcht geben ebenfalls den Bildern ein die Beschaffenheit <lb n="pdi_395.021"/> der Dinge Ueberschreitendes. <hi rendition="#g">Melancholie</hi> lässt die Farben der <lb n="pdi_395.022"/> Wirklichkeit verblassen. Die Hypochondrie steigert die Bilder, <lb n="pdi_395.023"/> in denen die Ursachen der Gemüthsbelastung angeschaut werden, <lb n="pdi_395.024"/> über das Thatsächliche hinaus. Aber noch enthält im Hypochondrischen <lb n="pdi_395.025"/> der erworbene Zusammenhang des Seelenlebens ein <lb n="pdi_395.026"/> Correctiv, insbesondere durch die Werthbestimmungen. Der Hypochondrische <lb n="pdi_395.027"/> muss unter Menschen. Die Regulirung seiner Gefühle <lb n="pdi_395.028"/> findet hier immer wieder statt. Er ist schon kränker, <lb n="pdi_395.029"/> wenn er die Einsamkeit sucht, um solche Störungen seiner Einbildung <lb n="pdi_395.030"/> zu vermeiden. Die <hi rendition="#g">Geisteskrankheit</hi> hat solche Controle <lb n="pdi_395.031"/> nicht mehr. Nun steigert und erweitert sich im Verfolgungswahn <lb n="pdi_395.032"/> das Bild der Handlung einer Person, die dem Kranken <lb n="pdi_395.033"/> den Willen kreuzt, zur Carricatur einer feindlichen Macht etc.</p> <lb n="pdi_395.034"/> <p> Derselbe Vorgang von Veränderung der Elemente nach <lb n="pdi_395.035"/> ihrer Intensität und Ausdehnung unter dem Einfluss der Gefühle <lb n="pdi_395.036"/> kann nun in dem <hi rendition="#g">Dichter</hi> beobachtet werden. Insbesondere </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [395/0097]
pdi_395.001
der Bildbestandtheile, welche freilich für sich nur die flache pdi_395.002
Harmonie des leeren Ideals wäre, wirkten nicht andere Gesetze pdi_395.003
noch auf die Umgestaltung der Bilder.
pdi_395.004
Bilder verändern sich, indem sie sich dehnen oder pdi_395.005
zusammenschrumpfen, indem die Intensität der Empfindungen, pdi_395.006
aus denen sie zusammengesetzt sind, sich pdi_395.007
verstärkt oder vermindert.
pdi_395.008
Der Traum lässt die Bilder unter dem Einfluss der pdi_395.009
Gefühle sich ausdehnen und verstärken. Abgesehen von pdi_395.010
der directen Einwirkung der physiologischen Bedingungen auf pdi_395.011
die Empfindungen, sind in ihm die Vorstellungen von der pdi_395.012
Concurrenz der Aussenbilder befreit und der Einwirkung des pdi_395.013
erworbenen Zusammenhangs der Wirklichkeit in einem gewissen pdi_395.014
Grade entnommen. So, dazu noch unter dem Einfluss der Gefühle, pdi_395.015
glühen nun in ihm die Farben intensiver, die Klänge, die pdi_395.016
er zurückführt, tönen mächtiger oder bestrickender: leise Schallreize pdi_395.017
vergrössern sich ins Ungeheure und die Gestalten pdi_395.018
wachsen vor unsern Augen ins Weite, oder während des pdi_395.019
Traums vermehrt sich die Zahl gleichartiger Bilder. Hoffnung pdi_395.020
und Furcht geben ebenfalls den Bildern ein die Beschaffenheit pdi_395.021
der Dinge Ueberschreitendes. Melancholie lässt die Farben der pdi_395.022
Wirklichkeit verblassen. Die Hypochondrie steigert die Bilder, pdi_395.023
in denen die Ursachen der Gemüthsbelastung angeschaut werden, pdi_395.024
über das Thatsächliche hinaus. Aber noch enthält im Hypochondrischen pdi_395.025
der erworbene Zusammenhang des Seelenlebens ein pdi_395.026
Correctiv, insbesondere durch die Werthbestimmungen. Der Hypochondrische pdi_395.027
muss unter Menschen. Die Regulirung seiner Gefühle pdi_395.028
findet hier immer wieder statt. Er ist schon kränker, pdi_395.029
wenn er die Einsamkeit sucht, um solche Störungen seiner Einbildung pdi_395.030
zu vermeiden. Die Geisteskrankheit hat solche Controle pdi_395.031
nicht mehr. Nun steigert und erweitert sich im Verfolgungswahn pdi_395.032
das Bild der Handlung einer Person, die dem Kranken pdi_395.033
den Willen kreuzt, zur Carricatur einer feindlichen Macht etc.
pdi_395.034
Derselbe Vorgang von Veränderung der Elemente nach pdi_395.035
ihrer Intensität und Ausdehnung unter dem Einfluss der Gefühle pdi_395.036
kann nun in dem Dichter beobachtet werden. Insbesondere
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription.
(2015-09-30T09:54:39Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Sandra Richter: ePoetics-Projekt-Koordination
Weitere Informationen:Bogensignaturen: nicht übernommen; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: DTABf-getreu; Zeilenumbrüche markiert: ja;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |