den Gesichtspunkt zurück tritt, aus dem allein diese Sache richtig angesehen werden kann. Allerdings hat es seine Richtigkeit, daß die Juden, so wie sie jetzt sind, mit ihrem trennenden Gesetz, absondern- den Gebräuchen und mancherley Vorurtheilen nicht vollkommen gute Bürger seyn können. Aber diese Hindernisse bestehen nur deshalb, weil man durch die drückende Lage, in der man die Juden gehalten, sie gezwungen hat, sich immer als ein von allen übri- gen Erdebewohnern getrenntes Geschlecht in sich zu vereinigen; Lehren und Gebräuche mit desto wär- merer Anhänglichkeit zu umfassen, je mehr die übri- ge Welt sie ihnen zu entreissen sich verschworen hatte- Drückung und Verfolgung sind der fruchtbarste und nährendste Boden des Aberglaubens und geheiligter Vorurthelle. Ohne sie würde von manchen Secten kaum noch der Nahme übrig seyn, und gewiß auch der jüdische Glaube sich längst schon mit andern ver- schmolzen oder wenigstens, welches uns hier schon genug ist, seine schneidende Ecken abgeschliffen und sich in die politische Verfassungen besser eingepaßt ha- ben, wenn er nicht zu nahe verwandt mit dem christ- lichen, von diesem unaufhörlich so abschreckende Er- innerungen der Verschiedenheit (welche eben die nahe Verwandschaft noch beleidigender macht) erhalten
hätte.
den Geſichtspunkt zuruͤck tritt, aus dem allein dieſe Sache richtig angeſehen werden kann. Allerdings hat es ſeine Richtigkeit, daß die Juden, ſo wie ſie jetzt ſind, mit ihrem trennenden Geſetz, abſondern- den Gebraͤuchen und mancherley Vorurtheilen nicht vollkommen gute Buͤrger ſeyn koͤnnen. Aber dieſe Hinderniſſe beſtehen nur deshalb, weil man durch die druͤckende Lage, in der man die Juden gehalten, ſie gezwungen hat, ſich immer als ein von allen uͤbri- gen Erdebewohnern getrenntes Geſchlecht in ſich zu vereinigen; Lehren und Gebraͤuche mit deſto waͤr- merer Anhaͤnglichkeit zu umfaſſen, je mehr die uͤbri- ge Welt ſie ihnen zu entreiſſen ſich verſchworen hatte- Druͤckung und Verfolgung ſind der fruchtbarſte und naͤhrendſte Boden des Aberglaubens und geheiligter Vorurthelle. Ohne ſie wuͤrde von manchen Secten kaum noch der Nahme uͤbrig ſeyn, und gewiß auch der juͤdiſche Glaube ſich laͤngſt ſchon mit andern ver- ſchmolzen oder wenigſtens, welches uns hier ſchon genug iſt, ſeine ſchneidende Ecken abgeſchliffen und ſich in die politiſche Verfaſſungen beſſer eingepaßt ha- ben, wenn er nicht zu nahe verwandt mit dem chriſt- lichen, von dieſem unaufhoͤrlich ſo abſchreckende Er- innerungen der Verſchiedenheit (welche eben die nahe Verwandſchaft noch beleidigender macht) erhalten
haͤtte.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0181"n="173"/>
den Geſichtspunkt zuruͤck tritt, aus dem allein dieſe<lb/>
Sache richtig angeſehen werden kann. Allerdings<lb/>
hat es ſeine Richtigkeit, daß die <hirendition="#fr">Juden, ſo wie ſie<lb/>
jetzt ſind</hi>, mit ihrem trennenden Geſetz, abſondern-<lb/>
den Gebraͤuchen und mancherley Vorurtheilen nicht<lb/>
vollkommen gute Buͤrger ſeyn koͤnnen. Aber dieſe<lb/>
Hinderniſſe beſtehen nur deshalb, weil man durch<lb/>
die druͤckende Lage, in der man die Juden gehalten,<lb/>ſie gezwungen hat, ſich immer als ein von allen uͤbri-<lb/>
gen Erdebewohnern getrenntes Geſchlecht in ſich<lb/>
zu vereinigen; Lehren und Gebraͤuche mit deſto waͤr-<lb/>
merer Anhaͤnglichkeit zu umfaſſen, je mehr die uͤbri-<lb/>
ge Welt ſie ihnen zu entreiſſen ſich verſchworen hatte-<lb/>
Druͤckung und Verfolgung ſind der fruchtbarſte und<lb/>
naͤhrendſte Boden des Aberglaubens und geheiligter<lb/>
Vorurthelle. Ohne ſie wuͤrde von manchen Secten<lb/>
kaum noch der Nahme uͤbrig ſeyn, und gewiß auch<lb/>
der juͤdiſche Glaube ſich laͤngſt ſchon mit andern ver-<lb/>ſchmolzen oder wenigſtens, welches uns hier ſchon<lb/>
genug iſt, ſeine ſchneidende Ecken abgeſchliffen und<lb/>ſich in die politiſche Verfaſſungen beſſer eingepaßt ha-<lb/>
ben, wenn er nicht zu nahe verwandt mit dem chriſt-<lb/>
lichen, von dieſem unaufhoͤrlich ſo abſchreckende Er-<lb/>
innerungen der Verſchiedenheit (welche eben die nahe<lb/>
Verwandſchaft noch beleidigender macht) erhalten<lb/><fwplace="bottom"type="catch">haͤtte.</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[173/0181]
den Geſichtspunkt zuruͤck tritt, aus dem allein dieſe
Sache richtig angeſehen werden kann. Allerdings
hat es ſeine Richtigkeit, daß die Juden, ſo wie ſie
jetzt ſind, mit ihrem trennenden Geſetz, abſondern-
den Gebraͤuchen und mancherley Vorurtheilen nicht
vollkommen gute Buͤrger ſeyn koͤnnen. Aber dieſe
Hinderniſſe beſtehen nur deshalb, weil man durch
die druͤckende Lage, in der man die Juden gehalten,
ſie gezwungen hat, ſich immer als ein von allen uͤbri-
gen Erdebewohnern getrenntes Geſchlecht in ſich
zu vereinigen; Lehren und Gebraͤuche mit deſto waͤr-
merer Anhaͤnglichkeit zu umfaſſen, je mehr die uͤbri-
ge Welt ſie ihnen zu entreiſſen ſich verſchworen hatte-
Druͤckung und Verfolgung ſind der fruchtbarſte und
naͤhrendſte Boden des Aberglaubens und geheiligter
Vorurthelle. Ohne ſie wuͤrde von manchen Secten
kaum noch der Nahme uͤbrig ſeyn, und gewiß auch
der juͤdiſche Glaube ſich laͤngſt ſchon mit andern ver-
ſchmolzen oder wenigſtens, welches uns hier ſchon
genug iſt, ſeine ſchneidende Ecken abgeſchliffen und
ſich in die politiſche Verfaſſungen beſſer eingepaßt ha-
ben, wenn er nicht zu nahe verwandt mit dem chriſt-
lichen, von dieſem unaufhoͤrlich ſo abſchreckende Er-
innerungen der Verſchiedenheit (welche eben die nahe
Verwandſchaft noch beleidigender macht) erhalten
haͤtte.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Dohm, Christian Conrad Wilhelm von: Über die bürgerliche Verbesserung der Juden. T. 2. Berlin u. a., 1783, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dohm_juden02_1783/181>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.