wo die Pflicht keine Kriegsdienste zu thun? wo die abscheuliche Lehre einer geheiligten Desertion? wo ein göttliches Verbot der Todesstrafen? -- wie sind alle diese Lehren so ganz verschwunden? -- Ich habe sie mit Mühe aus den Werken einiger dem großen Haufen unserer itzigen Christen ganz unbekannten Kirchenväter, aufsuchen müssen, und manche mei- ner Leser werden vielleicht dergleichen Behauptungen mit verwunderndem Zweifel itzt zum erstenmal er- fahren. So sehr haben sich diese religiösen Grund- sätze nach und nach verlohren, daß auch selbst ihre Spur verlöscht und ihr ehemaliges Daseyn beynahe unwahrscheinlich geworden ist. Schon unter der Re- gierung der heidnischen Kaiser, haben die zahlreicher gewordenen Christen sich nicht mehr geweigert dem Staate bürgerliche und Kriegsdienste zu leisten. Vor- urtheile, die der Erhaltung der Gesellschaft so gerade zu widersprechen, mußten schlechterdings verschwin- den, sobald die christliche Religion ausgebreiteter wurde. Die Lehre einer kleinen Secte muß sich noth- wendig umbilden, wenn der Haufe ihrer Anhänger größer wird. Ihr Glaube muß es sich gefallen las- sen, alsdann vom Himmel auf die Erde herabzustei- gen, und er mag noch soviel Anweisungen auf jenen geben, so wird er sich doch nie dem Glück, der Ruhe
der
wo die Pflicht keine Kriegsdienſte zu thun? wo die abſcheuliche Lehre einer geheiligten Deſertion? wo ein goͤttliches Verbot der Todesſtrafen? — wie ſind alle dieſe Lehren ſo ganz verſchwunden? — Ich habe ſie mit Muͤhe aus den Werken einiger dem großen Haufen unſerer itzigen Chriſten ganz unbekannten Kirchenvaͤter, aufſuchen muͤſſen, und manche mei- ner Leſer werden vielleicht dergleichen Behauptungen mit verwunderndem Zweifel itzt zum erſtenmal er- fahren. So ſehr haben ſich dieſe religioͤſen Grund- ſaͤtze nach und nach verlohren, daß auch ſelbſt ihre Spur verloͤſcht und ihr ehemaliges Daſeyn beynahe unwahrſcheinlich geworden iſt. Schon unter der Re- gierung der heidniſchen Kaiſer, haben die zahlreicher gewordenen Chriſten ſich nicht mehr geweigert dem Staate buͤrgerliche und Kriegsdienſte zu leiſten. Vor- urtheile, die der Erhaltung der Geſellſchaft ſo gerade zu widerſprechen, mußten ſchlechterdings verſchwin- den, ſobald die chriſtliche Religion ausgebreiteter wurde. Die Lehre einer kleinen Secte muß ſich noth- wendig umbilden, wenn der Haufe ihrer Anhaͤnger groͤßer wird. Ihr Glaube muß es ſich gefallen laſ- ſen, alsdann vom Himmel auf die Erde herabzuſtei- gen, und er mag noch ſoviel Anweiſungen auf jenen geben, ſo wird er ſich doch nie dem Gluͤck, der Ruhe
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wo die Pflicht keine Kriegsdienſte zu thun? wo die
abſcheuliche Lehre einer geheiligten Deſertion? wo
ein goͤttliches Verbot der Todesſtrafen? — wie ſind
alle dieſe Lehren ſo ganz verſchwunden? — Ich habe
ſie mit Muͤhe aus den Werken einiger dem großen
Haufen unſerer itzigen Chriſten ganz unbekannten
Kirchenvaͤter, aufſuchen muͤſſen, und manche mei-
ner Leſer werden vielleicht dergleichen Behauptungen
mit verwunderndem Zweifel itzt zum erſtenmal er-
fahren. So ſehr haben ſich dieſe religioͤſen Grund-
ſaͤtze nach und nach verlohren, daß auch ſelbſt ihre
Spur verloͤſcht und ihr ehemaliges Daſeyn beynahe
unwahrſcheinlich geworden iſt. Schon unter der Re-
gierung der heidniſchen Kaiſer, haben die zahlreicher
gewordenen Chriſten ſich nicht mehr geweigert dem
Staate buͤrgerliche und Kriegsdienſte zu leiſten. Vor-
urtheile, die der Erhaltung der Geſellſchaft ſo gerade
zu widerſprechen, mußten ſchlechterdings verſchwin-
den, ſobald die chriſtliche Religion ausgebreiteter
wurde. Die Lehre einer kleinen Secte muß ſich noth-
wendig umbilden, wenn der Haufe ihrer Anhaͤnger
groͤßer wird. Ihr Glaube muß es ſich gefallen laſ-
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Dohm, Christian Conrad Wilhelm von: Über die bürgerliche Verbesserung der Juden. T. 2. Berlin u. a., 1783, S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dohm_juden02_1783/218>, abgerufen am 21.11.2024.
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