Karaiten nehmen ihn bekanntermassen nicht zur Er- kenntnißquelle an) sondern nur einiger Lehrer. Je- der vernünftige und mittelmäßig gelehrte Leser der Bergpredigt weiß das: sie ist der bösen Moral der Pharisäer entgegengesetzt, aber nicht aller, denn es gab auch besser denkende Pharisäer, daher findet man bey den Commentatoren, die das N. T. aus dem Talmud und Rabbinen erläutert haben, zwar Stellen angeführt, in denen die gottlosen von Chri- sto bestrittenen Sätze stehen, aber auch wieder an- dere, die gerade Christi Moral, bisweilen fast mit eben den Worten enthalten.
Nach so mancher Beystimmung in Hauptsachen werden meine Leser vermuthen, daß ich von der Na- turalisation der Juden völlig so denken werde, als Herr Dohm: das thue ich aber doch nicht, und nun muß ich auch meine Zweifel sagen.
Das Gesetz Mosis sieht Herr D. (zugleich mit Anführung meines Mosaischen Rechts) als vortref- lich an, und glaubt nicht, daß es etwas menschen- feindliches enthalte, oder den Juden Haß gegen an- dre Völker einprägen könne. Niemanden wird er hier mehr auf seiner Seite haben, als mich; allein dabey sey mir erlaubt, eine andere Frage aufzuwer- fen: enthalten die Gesetze Mosis etwas, das
die
Karaiten nehmen ihn bekanntermaſſen nicht zur Er- kenntnißquelle an) ſondern nur einiger Lehrer. Je- der vernuͤnftige und mittelmaͤßig gelehrte Leſer der Bergpredigt weiß das: ſie iſt der boͤſen Moral der Phariſaͤer entgegengeſetzt, aber nicht aller, denn es gab auch beſſer denkende Phariſaͤer, daher findet man bey den Commentatoren, die das N. T. aus dem Talmud und Rabbinen erlaͤutert haben, zwar Stellen angefuͤhrt, in denen die gottloſen von Chri- ſto beſtrittenen Saͤtze ſtehen, aber auch wieder an- dere, die gerade Chriſti Moral, bisweilen faſt mit eben den Worten enthalten.
Nach ſo mancher Beyſtimmung in Hauptſachen werden meine Leſer vermuthen, daß ich von der Na- turaliſation der Juden voͤllig ſo denken werde, als Herr Dohm: das thue ich aber doch nicht, und nun muß ich auch meine Zweifel ſagen.
Das Geſetz Moſis ſieht Herr D. (zugleich mit Anfuͤhrung meines Moſaiſchen Rechts) als vortref- lich an, und glaubt nicht, daß es etwas menſchen- feindliches enthalte, oder den Juden Haß gegen an- dre Voͤlker einpraͤgen koͤnne. Niemanden wird er hier mehr auf ſeiner Seite haben, als mich; allein dabey ſey mir erlaubt, eine andere Frage aufzuwer- fen: enthalten die Geſetze Moſis etwas, das
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Karaiten nehmen ihn bekanntermaſſen nicht zur Er-
kenntnißquelle an) ſondern nur einiger Lehrer. Je-
der vernuͤnftige und mittelmaͤßig gelehrte Leſer der
Bergpredigt weiß das: ſie iſt der boͤſen Moral der
Phariſaͤer entgegengeſetzt, aber nicht aller, denn es
gab auch beſſer denkende Phariſaͤer, daher findet
man bey den Commentatoren, die das N. T. aus
dem Talmud und Rabbinen erlaͤutert haben, zwar
Stellen angefuͤhrt, in denen die gottloſen von Chri-
ſto beſtrittenen Saͤtze ſtehen, aber auch wieder an-
dere, die gerade Chriſti Moral, bisweilen faſt mit
eben den Worten enthalten.
Nach ſo mancher Beyſtimmung in Hauptſachen
werden meine Leſer vermuthen, daß ich von der Na-
turaliſation der Juden voͤllig ſo denken werde, als
Herr Dohm: das thue ich aber doch nicht, und nun
muß ich auch meine Zweifel ſagen.
Das Geſetz Moſis ſieht Herr D. (zugleich mit
Anfuͤhrung meines Moſaiſchen Rechts) als vortref-
lich an, und glaubt nicht, daß es etwas menſchen-
feindliches enthalte, oder den Juden Haß gegen an-
dre Voͤlker einpraͤgen koͤnne. Niemanden wird er
hier mehr auf ſeiner Seite haben, als mich; allein
dabey ſey mir erlaubt, eine andere Frage aufzuwer-
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Dohm, Christian Conrad Wilhelm von: Über die bürgerliche Verbesserung der Juden. T. 2. Berlin u. a., 1783, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dohm_juden02_1783/48>, abgerufen am 21.11.2024.
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