Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844.Hörst du das Alphorn über'm blauen See? So klar die Luft, mich dünkt ich seh' den Hirten Heimzügeln von der duftbesäumten Höh' -- War's nicht als ob die Rinderglocken schwirrten? Dort, wo die Schlucht in das Gestein sich drängt -- Mich dünkt ich seh den kecken Jäger schleichen; Wenn eine Gemse an der Klippe hängt, Gewiß, mein Auge müßte sie erreichen. Trink aus! -- die Alpen liegen Stundenweit, Nur nah die Burg, uns heimisches Gemäuer, Wo Träume lagern langverschollner Zeit, Seltsame Mähr und zorn'ge Abentheuer. Wohl ziemt es mir, in Räumen schwer und grau Zu grübeln über dunkler Thaten Reste; Doch du, Levin, schaust aus dem grimmen Bau Wie eine Schwalbe aus dem Mauerneste. Sieh' drunten auf dem See im Abendroth Die Taucherente hin und wieder schlüpfend; Nun sinkt sie nieder wie des Netzes Loth, Nun wieder aufwärts mit den Wellen hüpfend; Seltsames Spiel, recht wie ein Lebenslauf! Wir beide schaun gespannten Blickes nieder; Du flüsterst lächelnd: immer kömmt sie auf -- Und ich, ich denke, immer sinkt sie wieder! Noch einen Blick dem segensreichen Land, Den Hügeln, Auen, üpp'gem Wellen-Rauschen, Und heimwärts dann, wo von der Zinne Rand Freundliche Augen unserm Pfade lauschen; Hörſt du das Alphorn über'm blauen See? So klar die Luft, mich dünkt ich ſeh' den Hirten Heimzügeln von der duftbeſäumten Höh' — War's nicht als ob die Rinderglocken ſchwirrten? Dort, wo die Schlucht in das Geſtein ſich drängt — Mich dünkt ich ſeh den kecken Jäger ſchleichen; Wenn eine Gemſe an der Klippe hängt, Gewiß, mein Auge müßte ſie erreichen. Trink aus! — die Alpen liegen Stundenweit, Nur nah die Burg, uns heimiſches Gemäuer, Wo Träume lagern langverſchollner Zeit, Seltſame Mähr und zorn'ge Abentheuer. Wohl ziemt es mir, in Räumen ſchwer und grau Zu grübeln über dunkler Thaten Reſte; Doch du, Levin, ſchauſt aus dem grimmen Bau Wie eine Schwalbe aus dem Mauerneſte. Sieh' drunten auf dem See im Abendroth Die Taucherente hin und wieder ſchlüpfend; Nun ſinkt ſie nieder wie des Netzes Loth, Nun wieder aufwärts mit den Wellen hüpfend; Seltſames Spiel, recht wie ein Lebenslauf! Wir beide ſchaun geſpannten Blickes nieder; Du flüſterſt lächelnd: immer kömmt ſie auf — Und ich, ich denke, immer ſinkt ſie wieder! Noch einen Blick dem ſegensreichen Land, Den Hügeln, Auen, üpp'gem Wellen-Rauſchen, Und heimwärts dann, wo von der Zinne Rand Freundliche Augen unſerm Pfade lauſchen; <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0104" n="90"/> <lg n="4"> <l>Hörſt du das Alphorn über'm blauen See?</l><lb/> <l>So klar die Luft, mich dünkt ich ſeh' den Hirten</l><lb/> <l>Heimzügeln von der duftbeſäumten Höh' —</l><lb/> <l>War's nicht als ob die Rinderglocken ſchwirrten?</l><lb/> <l>Dort, wo die Schlucht in das Geſtein ſich drängt —</l><lb/> <l>Mich dünkt ich ſeh den kecken Jäger ſchleichen;</l><lb/> <l>Wenn eine Gemſe an der Klippe hängt,</l><lb/> <l>Gewiß, mein Auge müßte ſie erreichen.</l><lb/> </lg> <lg n="5"> <l>Trink aus! — die Alpen liegen Stundenweit,</l><lb/> <l>Nur nah die Burg, uns heimiſches Gemäuer,</l><lb/> <l>Wo Träume lagern langverſchollner Zeit,</l><lb/> <l>Seltſame Mähr und zorn'ge Abentheuer.</l><lb/> <l>Wohl ziemt es mir, in Räumen ſchwer und grau</l><lb/> <l>Zu grübeln über dunkler Thaten Reſte;</l><lb/> <l>Doch du, Levin, ſchauſt aus dem grimmen Bau</l><lb/> <l>Wie eine Schwalbe aus dem Mauerneſte.</l><lb/> </lg> <lg n="6"> <l>Sieh' drunten auf dem See im Abendroth</l><lb/> <l>Die Taucherente hin und wieder ſchlüpfend;</l><lb/> <l>Nun ſinkt ſie nieder wie des Netzes Loth,</l><lb/> <l>Nun wieder aufwärts mit den Wellen hüpfend;</l><lb/> <l>Seltſames Spiel, recht wie ein Lebenslauf!</l><lb/> <l>Wir beide ſchaun geſpannten Blickes nieder;</l><lb/> <l>Du flüſterſt lächelnd: immer kömmt ſie auf —</l><lb/> <l>Und ich, ich denke, immer ſinkt ſie wieder!</l><lb/> </lg> <lg n="7"> <l>Noch einen Blick dem ſegensreichen Land,</l><lb/> <l>Den Hügeln, Auen, üpp'gem Wellen-Rauſchen,</l><lb/> <l>Und heimwärts dann, wo von der Zinne Rand</l><lb/> <l>Freundliche Augen unſerm Pfade lauſchen;</l><lb/> </lg> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [90/0104]
Hörſt du das Alphorn über'm blauen See?
So klar die Luft, mich dünkt ich ſeh' den Hirten
Heimzügeln von der duftbeſäumten Höh' —
War's nicht als ob die Rinderglocken ſchwirrten?
Dort, wo die Schlucht in das Geſtein ſich drängt —
Mich dünkt ich ſeh den kecken Jäger ſchleichen;
Wenn eine Gemſe an der Klippe hängt,
Gewiß, mein Auge müßte ſie erreichen.
Trink aus! — die Alpen liegen Stundenweit,
Nur nah die Burg, uns heimiſches Gemäuer,
Wo Träume lagern langverſchollner Zeit,
Seltſame Mähr und zorn'ge Abentheuer.
Wohl ziemt es mir, in Räumen ſchwer und grau
Zu grübeln über dunkler Thaten Reſte;
Doch du, Levin, ſchauſt aus dem grimmen Bau
Wie eine Schwalbe aus dem Mauerneſte.
Sieh' drunten auf dem See im Abendroth
Die Taucherente hin und wieder ſchlüpfend;
Nun ſinkt ſie nieder wie des Netzes Loth,
Nun wieder aufwärts mit den Wellen hüpfend;
Seltſames Spiel, recht wie ein Lebenslauf!
Wir beide ſchaun geſpannten Blickes nieder;
Du flüſterſt lächelnd: immer kömmt ſie auf —
Und ich, ich denke, immer ſinkt ſie wieder!
Noch einen Blick dem ſegensreichen Land,
Den Hügeln, Auen, üpp'gem Wellen-Rauſchen,
Und heimwärts dann, wo von der Zinne Rand
Freundliche Augen unſerm Pfade lauſchen;
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