Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844.

Bild:
<< vorherige Seite
Dann, gleich dem Bronnen, der verrinnt im Schlund,
Und drüben wieder sprudelt aus dem Grund,
So stand ich plötzlich in der Zukunft Lande;
Ich sah mich selber, gar gebückt und klein,
Geschwächten Auges, am ererbten Schrein
Sorgfältig ordnen staub'ge Liebespfande.
Die Bilder meiner Lieben sah ich klar,
In einer Tracht, die jetzt veraltet war,
Mich sorgsam lösen aus verblichnen Hüllen,
Löckchen, vermorscht, zu Staub zerfallen schier,
Sah über die gefurchte Wange mir
Langsam herab die karge Thräne quillen.
Und wieder an des Friedhofs Monument,
Dran Namen standen die mein Lieben kennt,
Da lag ich betend, mit gebrochnen Knieen,
Und -- horch, die Wachtel schlug! Kühl strich der Hauch --
Und noch zuletzt sah ich, gleich einem Rauch,
Mich leise in der Erde Poren ziehen.
Ich fuhr empor, und schüttelte mich dann,
Wie Einer, der dem Scheintod erst entrann,
Und taumelte entlang die dunklen Haage,
Noch immer zweifelnd, ob der Stern am Rain
Sey wirklich meiner Schlummerlampe Schein,
Oder das ew'ge Licht am Sarkophage.

Dann, gleich dem Bronnen, der verrinnt im Schlund,
Und drüben wieder ſprudelt aus dem Grund,
So ſtand ich plötzlich in der Zukunft Lande;
Ich ſah mich ſelber, gar gebückt und klein,
Geſchwächten Auges, am ererbten Schrein
Sorgfältig ordnen ſtaub'ge Liebespfande.
Die Bilder meiner Lieben ſah ich klar,
In einer Tracht, die jetzt veraltet war,
Mich ſorgſam löſen aus verblichnen Hüllen,
Löckchen, vermorſcht, zu Staub zerfallen ſchier,
Sah über die gefurchte Wange mir
Langſam herab die karge Thräne quillen.
Und wieder an des Friedhofs Monument,
Dran Namen ſtanden die mein Lieben kennt,
Da lag ich betend, mit gebrochnen Knieen,
Und — horch, die Wachtel ſchlug! Kühl ſtrich der Hauch —
Und noch zuletzt ſah ich, gleich einem Rauch,
Mich leiſe in der Erde Poren ziehen.
Ich fuhr empor, und ſchüttelte mich dann,
Wie Einer, der dem Scheintod erſt entrann,
Und taumelte entlang die dunklen Haage,
Noch immer zweifelnd, ob der Stern am Rain
Sey wirklich meiner Schlummerlampe Schein,
Oder das ew'ge Licht am Sarkophage.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <pb facs="#f0112" n="98"/>
            <lg n="5">
              <l>Dann, gleich dem Bronnen, der verrinnt im Schlund,</l><lb/>
              <l>Und drüben wieder &#x017F;prudelt aus dem Grund,</l><lb/>
              <l>So &#x017F;tand ich plötzlich in der Zukunft Lande;</l><lb/>
              <l>Ich &#x017F;ah mich &#x017F;elber, gar gebückt und klein,</l><lb/>
              <l>Ge&#x017F;chwächten Auges, am ererbten Schrein</l><lb/>
              <l>Sorgfältig ordnen &#x017F;taub'ge Liebespfande.</l><lb/>
            </lg>
            <lg n="6">
              <l>Die Bilder meiner Lieben &#x017F;ah ich klar,</l><lb/>
              <l>In einer Tracht, die jetzt veraltet war,</l><lb/>
              <l>Mich &#x017F;org&#x017F;am lö&#x017F;en aus verblichnen Hüllen,</l><lb/>
              <l>Löckchen, vermor&#x017F;cht, zu Staub zerfallen &#x017F;chier,</l><lb/>
              <l>Sah über die gefurchte Wange mir</l><lb/>
              <l>Lang&#x017F;am herab die karge Thräne quillen.</l><lb/>
            </lg>
            <lg n="7">
              <l>Und wieder an des Friedhofs Monument,</l><lb/>
              <l>Dran Namen &#x017F;tanden die mein Lieben kennt,</l><lb/>
              <l>Da lag ich betend, mit gebrochnen Knieen,</l><lb/>
              <l>Und &#x2014; horch, die Wachtel &#x017F;chlug! Kühl &#x017F;trich der Hauch &#x2014;</l><lb/>
              <l>Und noch zuletzt &#x017F;ah ich, gleich einem Rauch,</l><lb/>
              <l>Mich lei&#x017F;e in der Erde Poren ziehen.</l><lb/>
            </lg>
            <lg n="8">
              <l>Ich fuhr empor, und &#x017F;chüttelte mich dann,</l><lb/>
              <l>Wie Einer, der dem Scheintod er&#x017F;t entrann,</l><lb/>
              <l>Und taumelte entlang die dunklen Haage,</l><lb/>
              <l>Noch immer zweifelnd, ob der Stern am Rain</l><lb/>
              <l>Sey wirklich meiner Schlummerlampe Schein,</l><lb/>
              <l>Oder das ew'ge Licht am Sarkophage.</l><lb/>
            </lg>
          </lg>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[98/0112] Dann, gleich dem Bronnen, der verrinnt im Schlund, Und drüben wieder ſprudelt aus dem Grund, So ſtand ich plötzlich in der Zukunft Lande; Ich ſah mich ſelber, gar gebückt und klein, Geſchwächten Auges, am ererbten Schrein Sorgfältig ordnen ſtaub'ge Liebespfande. Die Bilder meiner Lieben ſah ich klar, In einer Tracht, die jetzt veraltet war, Mich ſorgſam löſen aus verblichnen Hüllen, Löckchen, vermorſcht, zu Staub zerfallen ſchier, Sah über die gefurchte Wange mir Langſam herab die karge Thräne quillen. Und wieder an des Friedhofs Monument, Dran Namen ſtanden die mein Lieben kennt, Da lag ich betend, mit gebrochnen Knieen, Und — horch, die Wachtel ſchlug! Kühl ſtrich der Hauch — Und noch zuletzt ſah ich, gleich einem Rauch, Mich leiſe in der Erde Poren ziehen. Ich fuhr empor, und ſchüttelte mich dann, Wie Einer, der dem Scheintod erſt entrann, Und taumelte entlang die dunklen Haage, Noch immer zweifelnd, ob der Stern am Rain Sey wirklich meiner Schlummerlampe Schein, Oder das ew'ge Licht am Sarkophage.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844/112
Zitationshilfe: Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844/112>, abgerufen am 27.11.2024.