Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844.Instinkt. Bin ich allein, verhallt des Tages Rauschen Im frischen Wald, im braunen Haideland, Um mein Gesicht die Gräser nickend bauschen, Ein Vogel flattert an des Nestes Rand, Und mir zu Füßen liegt mein treuer Hund, Gleich Feuerwürmern seine Augen glimmen, Dann kommen mir Gedanken, ob gesund, Ob krank, das mag ich selber nicht bestimmen. Ergründen möcht ich, ob das Blut, das grüne, Kein Lebenspuls durch jene Kräuter trägt, Ob Dionaea * um die kühne Biene Bewußtlos ihre rauhen Netze schlägt, Was in dem weißen Sterne ** zuckt und greift, Wenn er, die Fäden streckend, leise schauert, Und ob, vom Duft der Menschenhand gestreift, Gefühllos ganz die Sensitive trauert? Und wieder muß ich auf den Vogel sehen,
Der dort so zürnend seine Federn sträubt, Mit kriegerischem Schrei mich aus den Nähen Der nackten Brut, nach allen Kräften treibt. Was ist Instinkt? -- tiefsten Gefühles Heerd; Instinkt trieb auch die Mutter zu dem Kinde, Als jene Fürstin, von der Glut verzehrt, Als Heilge ward posaunt in alle Winde. * Dionaea muscipula, auch "die Fliegenfalle" genannt. ** Sparrmannia.
Inſtinkt. Bin ich allein, verhallt des Tages Rauſchen Im friſchen Wald, im braunen Haideland, Um mein Geſicht die Gräſer nickend bauſchen, Ein Vogel flattert an des Neſtes Rand, Und mir zu Füßen liegt mein treuer Hund, Gleich Feuerwürmern ſeine Augen glimmen, Dann kommen mir Gedanken, ob geſund, Ob krank, das mag ich ſelber nicht beſtimmen. Ergründen möcht ich, ob das Blut, das grüne, Kein Lebenspuls durch jene Kräuter trägt, Ob Dionæa * um die kühne Biene Bewußtlos ihre rauhen Netze ſchlägt, Was in dem weißen Sterne ** zuckt und greift, Wenn er, die Fäden ſtreckend, leiſe ſchauert, Und ob, vom Duft der Menſchenhand geſtreift, Gefühllos ganz die Senſitive trauert? Und wieder muß ich auf den Vogel ſehen,
Der dort ſo zürnend ſeine Federn ſträubt, Mit kriegeriſchem Schrei mich aus den Nähen Der nackten Brut, nach allen Kräften treibt. Was iſt Inſtinkt? — tiefſten Gefühles Heerd; Inſtinkt trieb auch die Mutter zu dem Kinde, Als jene Fürſtin, von der Glut verzehrt, Als Heilge ward poſaunt in alle Winde. * Dionæa muscipula, auch „die Fliegenfalle“ genannt. ** Sparrmannia.
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0160" n="146"/> </div> <div n="2"> <head> <hi rendition="#b">Inſtinkt.</hi><lb/> </head> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>Bin ich allein, verhallt des Tages Rauſchen</l><lb/> <l>Im friſchen Wald, im braunen Haideland,</l><lb/> <l>Um mein Geſicht die Gräſer nickend bauſchen,</l><lb/> <l>Ein Vogel flattert an des Neſtes Rand,</l><lb/> <l>Und mir zu Füßen liegt mein treuer Hund,</l><lb/> <l>Gleich Feuerwürmern ſeine Augen glimmen,</l><lb/> <l>Dann kommen mir Gedanken, ob geſund,</l><lb/> <l>Ob krank, das mag ich ſelber nicht beſtimmen.</l><lb/> </lg> <lg n="2"> <l>Ergründen möcht ich, ob das Blut, das grüne,</l><lb/> <l>Kein Lebenspuls durch jene Kräuter trägt,</l><lb/> <l>Ob <hi rendition="#aq">Dionæa</hi> <note place="foot" n="*"><hi rendition="#aq">Dionæa muscipula</hi>, auch „die Fliegenfalle“ genannt.<lb/></note> um die kühne Biene</l><lb/> <l>Bewußtlos ihre rauhen Netze ſchlägt,</l><lb/> <l>Was in dem weißen Sterne <note place="foot" n="**"><hi rendition="#aq">Sparrmannia</hi>.<lb/></note> zuckt und greift,</l><lb/> <l>Wenn er, die Fäden ſtreckend, leiſe ſchauert,</l><lb/> <l>Und ob, vom Duft der Menſchenhand geſtreift,</l><lb/> <l>Gefühllos ganz die Senſitive trauert?</l><lb/> </lg> <lg n="3"> <l>Und wieder muß ich auf den Vogel ſehen,</l><lb/> <l>Der dort ſo zürnend ſeine Federn ſträubt,</l><lb/> <l>Mit kriegeriſchem Schrei mich aus den Nähen</l><lb/> <l>Der nackten Brut, nach allen Kräften treibt.</l><lb/> <l>Was iſt Inſtinkt? — tiefſten Gefühles Heerd;</l><lb/> <l>Inſtinkt trieb auch die Mutter zu dem Kinde,</l><lb/> <l>Als jene Fürſtin, von der Glut verzehrt,</l><lb/> <l>Als Heilge ward poſaunt in alle Winde.</l><lb/> </lg> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [146/0160]
Inſtinkt.
Bin ich allein, verhallt des Tages Rauſchen
Im friſchen Wald, im braunen Haideland,
Um mein Geſicht die Gräſer nickend bauſchen,
Ein Vogel flattert an des Neſtes Rand,
Und mir zu Füßen liegt mein treuer Hund,
Gleich Feuerwürmern ſeine Augen glimmen,
Dann kommen mir Gedanken, ob geſund,
Ob krank, das mag ich ſelber nicht beſtimmen.
Ergründen möcht ich, ob das Blut, das grüne,
Kein Lebenspuls durch jene Kräuter trägt,
Ob Dionæa * um die kühne Biene
Bewußtlos ihre rauhen Netze ſchlägt,
Was in dem weißen Sterne ** zuckt und greift,
Wenn er, die Fäden ſtreckend, leiſe ſchauert,
Und ob, vom Duft der Menſchenhand geſtreift,
Gefühllos ganz die Senſitive trauert?
Und wieder muß ich auf den Vogel ſehen,
Der dort ſo zürnend ſeine Federn ſträubt,
Mit kriegeriſchem Schrei mich aus den Nähen
Der nackten Brut, nach allen Kräften treibt.
Was iſt Inſtinkt? — tiefſten Gefühles Heerd;
Inſtinkt trieb auch die Mutter zu dem Kinde,
Als jene Fürſtin, von der Glut verzehrt,
Als Heilge ward poſaunt in alle Winde.
* Dionæa muscipula, auch „die Fliegenfalle“ genannt.
** Sparrmannia.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |