Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844.

Bild:
<< vorherige Seite
An ***
Kein Wort, und wär' es scharf wie Stahles Klinge,
Soll trennen, was in tausend Fäden Eins,
So mächtig kein Gedanke, daß er dringe
Vergällend in den Becher reinen Weins;
Das Leben ist so kurz, das Glück so selten,
So großes Kleinod, einmal sein statt gelten!
Hat das Geschick uns, wie in frevlem Witze,
Auf feindlich starre Pole gleich erhöht,
So wisse, dort, dort auf der Scheidung Spitze
Herrscht, König über Alle, der Magnet,
Nicht frägt er ob ihn Fels und Strom gefährde,
Ein Stral fährt mitten er durchs Herz der Erde.
Blick' in mein Auge -- ist es nicht das deine,
Ist nicht mein Zürnen selber deinem gleich?
Du lächelst -- und dein Lächeln ist das meine,
An gleicher Lust und gleichem Sinnen reich;
Worüber alle Lippen freundlich scherzen,
Wir fühlen Heilger es im eignen Herzen.
Pollux und Castor, -- wechselnd Glühn und Bleichen,
Des Einen Licht geraubt dem Andern nur,
Und doch der allerfrömmsten Treue Zeichen. --
So reiche mir die Hand, mein Dioskur!
Und mag erneuern sich die holde Mythe,
Wo überm Helm die Zwillingsflamme glühte.

An ***
Kein Wort, und wär' es ſcharf wie Stahles Klinge,
Soll trennen, was in tauſend Fäden Eins,
So mächtig kein Gedanke, daß er dringe
Vergällend in den Becher reinen Weins;
Das Leben iſt ſo kurz, das Glück ſo ſelten,
So großes Kleinod, einmal ſein ſtatt gelten!
Hat das Geſchick uns, wie in frevlem Witze,
Auf feindlich ſtarre Pole gleich erhöht,
So wiſſe, dort, dort auf der Scheidung Spitze
Herrſcht, König über Alle, der Magnet,
Nicht frägt er ob ihn Fels und Strom gefährde,
Ein Stral fährt mitten er durchs Herz der Erde.
Blick' in mein Auge — iſt es nicht das deine,
Iſt nicht mein Zürnen ſelber deinem gleich?
Du lächelſt — und dein Lächeln iſt das meine,
An gleicher Luſt und gleichem Sinnen reich;
Worüber alle Lippen freundlich ſcherzen,
Wir fühlen Heilger es im eignen Herzen.
Pollux und Caſtor, — wechſelnd Glühn und Bleichen,
Des Einen Licht geraubt dem Andern nur,
Und doch der allerfrömmſten Treue Zeichen. —
So reiche mir die Hand, mein Dioskur!
Und mag erneuern ſich die holde Mythe,
Wo überm Helm die Zwillingsflamme glühte.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0179" n="165"/>
        </div>
        <div n="2">
          <head><hi rendition="#b">An</hi> ***<lb/></head>
          <lg type="poem">
            <lg n="1">
              <l>Kein Wort, und wär' es &#x017F;charf wie Stahles Klinge,</l><lb/>
              <l>Soll trennen, was in tau&#x017F;end Fäden Eins,</l><lb/>
              <l>So mächtig kein Gedanke, daß er dringe</l><lb/>
              <l>Vergällend in den Becher reinen Weins;</l><lb/>
              <l>Das Leben i&#x017F;t &#x017F;o kurz, das Glück &#x017F;o &#x017F;elten,</l><lb/>
              <l>So großes Kleinod, einmal &#x017F;ein &#x017F;tatt gelten!</l><lb/>
            </lg>
            <lg n="2">
              <l>Hat das Ge&#x017F;chick uns, wie in frevlem Witze,</l><lb/>
              <l>Auf feindlich &#x017F;tarre Pole gleich erhöht,</l><lb/>
              <l>So wi&#x017F;&#x017F;e, dort, dort auf der Scheidung Spitze</l><lb/>
              <l>Herr&#x017F;cht, König über Alle, der Magnet,</l><lb/>
              <l>Nicht frägt er ob ihn Fels und Strom gefährde,</l><lb/>
              <l>Ein Stral fährt mitten er durchs Herz der Erde.</l><lb/>
            </lg>
            <lg n="3">
              <l>Blick' in mein Auge &#x2014; i&#x017F;t es nicht das deine,</l><lb/>
              <l>I&#x017F;t nicht mein Zürnen &#x017F;elber deinem gleich?</l><lb/>
              <l>Du lächel&#x017F;t &#x2014; und dein Lächeln i&#x017F;t das meine,</l><lb/>
              <l>An gleicher Lu&#x017F;t und gleichem Sinnen reich;</l><lb/>
              <l>Worüber alle Lippen freundlich &#x017F;cherzen,</l><lb/>
              <l>Wir fühlen Heilger es im eignen Herzen.</l><lb/>
            </lg>
            <lg n="4">
              <l>Pollux und Ca&#x017F;tor, &#x2014; wech&#x017F;elnd Glühn und Bleichen,</l><lb/>
              <l>Des Einen Licht geraubt dem Andern nur,</l><lb/>
              <l>Und doch der allerfrömm&#x017F;ten Treue Zeichen. &#x2014;</l><lb/>
              <l>So reiche mir die Hand, mein Dioskur!</l><lb/>
              <l>Und mag erneuern &#x017F;ich die holde Mythe,</l><lb/>
              <l>Wo überm Helm die Zwillingsflamme glühte.</l><lb/>
            </lg>
          </lg>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[165/0179] An *** Kein Wort, und wär' es ſcharf wie Stahles Klinge, Soll trennen, was in tauſend Fäden Eins, So mächtig kein Gedanke, daß er dringe Vergällend in den Becher reinen Weins; Das Leben iſt ſo kurz, das Glück ſo ſelten, So großes Kleinod, einmal ſein ſtatt gelten! Hat das Geſchick uns, wie in frevlem Witze, Auf feindlich ſtarre Pole gleich erhöht, So wiſſe, dort, dort auf der Scheidung Spitze Herrſcht, König über Alle, der Magnet, Nicht frägt er ob ihn Fels und Strom gefährde, Ein Stral fährt mitten er durchs Herz der Erde. Blick' in mein Auge — iſt es nicht das deine, Iſt nicht mein Zürnen ſelber deinem gleich? Du lächelſt — und dein Lächeln iſt das meine, An gleicher Luſt und gleichem Sinnen reich; Worüber alle Lippen freundlich ſcherzen, Wir fühlen Heilger es im eignen Herzen. Pollux und Caſtor, — wechſelnd Glühn und Bleichen, Des Einen Licht geraubt dem Andern nur, Und doch der allerfrömmſten Treue Zeichen. — So reiche mir die Hand, mein Dioskur! Und mag erneuern ſich die holde Mythe, Wo überm Helm die Zwillingsflamme glühte.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844/179
Zitationshilfe: Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844, S. 165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844/179>, abgerufen am 24.11.2024.