Im grauen Schneegestöber blassen Die Formen, es zerfließt der Raum, Laternen schwimmen durch die Gassen, Und leise knistert es im Flaum; Schon naht des Jahres letzte Stunde, Und drüben, wo der matte Schein Haucht aus den Fenstern der Rotunde, Dort ziehn die frommen Beter ein.
Wie zu dem Richter der Bedrängte, Ob dessen Haupt die Wage neigt, Noch einmal schleicht eh der verhängte, Der schwere Tag im Osten steigt, Noch einmal faltet seine Hände Um milden Spruch, so knien sie dort, Still gläubig, daß ihr Flehen wende Des Jahres ernstes Losungswort.
Ich sehe unter meinem Fenster Sie gleiten durch den Nebelrauch, Verhüllt und lautlos wie Gespenster, Vor ihrer Lippe flirrt der Hauch; Ein blasser Kreis zu ihren Füßen Zieht über den verschneiten Grund, Lichtfunken blitzen auf und schießen Um der Laterne dunstig Rund.
Neujahrsnacht.
Im grauen Schneegeſtöber blaſſen Die Formen, es zerfließt der Raum, Laternen ſchwimmen durch die Gaſſen, Und leiſe kniſtert es im Flaum; Schon naht des Jahres letzte Stunde, Und drüben, wo der matte Schein Haucht aus den Fenſtern der Rotunde, Dort ziehn die frommen Beter ein.
Wie zu dem Richter der Bedrängte, Ob deſſen Haupt die Wage neigt, Noch einmal ſchleicht eh der verhängte, Der ſchwere Tag im Oſten ſteigt, Noch einmal faltet ſeine Hände Um milden Spruch, ſo knien ſie dort, Still gläubig, daß ihr Flehen wende Des Jahres ernſtes Loſungswort.
Ich ſehe unter meinem Fenſter Sie gleiten durch den Nebelrauch, Verhüllt und lautlos wie Geſpenſter, Vor ihrer Lippe flirrt der Hauch; Ein blaſſer Kreis zu ihren Füßen Zieht über den verſchneiten Grund, Lichtfunken blitzen auf und ſchießen Um der Laterne dunſtig Rund.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0215"n="201"/></div><divn="2"><head><hirendition="#b">Neujahrsnacht.</hi><lb/></head><lgtype="poem"><lgn="1"><l>Im grauen Schneegeſtöber blaſſen</l><lb/><l>Die Formen, es zerfließt der Raum,</l><lb/><l>Laternen ſchwimmen durch die Gaſſen,</l><lb/><l>Und leiſe kniſtert es im Flaum;</l><lb/><l>Schon naht des Jahres letzte Stunde,</l><lb/><l>Und drüben, wo der matte Schein</l><lb/><l>Haucht aus den Fenſtern der Rotunde,</l><lb/><l>Dort ziehn die frommen Beter ein.</l><lb/></lg><lgn="2"><l>Wie zu dem Richter der Bedrängte,</l><lb/><l>Ob deſſen Haupt die Wage neigt,</l><lb/><l>Noch einmal ſchleicht eh der verhängte,</l><lb/><l>Der ſchwere Tag im Oſten ſteigt,</l><lb/><l>Noch einmal faltet ſeine Hände</l><lb/><l>Um milden Spruch, ſo knien ſie dort,</l><lb/><l>Still gläubig, daß ihr Flehen wende</l><lb/><l>Des Jahres ernſtes Loſungswort.</l><lb/></lg><lgn="3"><l>Ich ſehe unter meinem Fenſter</l><lb/><l>Sie gleiten durch den Nebelrauch,</l><lb/><l>Verhüllt und lautlos wie Geſpenſter,</l><lb/><l>Vor ihrer Lippe flirrt der Hauch;</l><lb/><l>Ein blaſſer Kreis zu ihren Füßen</l><lb/><l>Zieht über den verſchneiten Grund,</l><lb/><l>Lichtfunken blitzen auf und ſchießen</l><lb/><l>Um der Laterne dunſtig Rund.</l><lb/></lg></lg></div></div></body></text></TEI>
[201/0215]
Neujahrsnacht.
Im grauen Schneegeſtöber blaſſen
Die Formen, es zerfließt der Raum,
Laternen ſchwimmen durch die Gaſſen,
Und leiſe kniſtert es im Flaum;
Schon naht des Jahres letzte Stunde,
Und drüben, wo der matte Schein
Haucht aus den Fenſtern der Rotunde,
Dort ziehn die frommen Beter ein.
Wie zu dem Richter der Bedrängte,
Ob deſſen Haupt die Wage neigt,
Noch einmal ſchleicht eh der verhängte,
Der ſchwere Tag im Oſten ſteigt,
Noch einmal faltet ſeine Hände
Um milden Spruch, ſo knien ſie dort,
Still gläubig, daß ihr Flehen wende
Des Jahres ernſtes Loſungswort.
Ich ſehe unter meinem Fenſter
Sie gleiten durch den Nebelrauch,
Verhüllt und lautlos wie Geſpenſter,
Vor ihrer Lippe flirrt der Hauch;
Ein blaſſer Kreis zu ihren Füßen
Zieht über den verſchneiten Grund,
Lichtfunken blitzen auf und ſchießen
Um der Laterne dunſtig Rund.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844, S. 201. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844/215>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.