Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844.Was bleibt. Seh' ich ein Kind zur Weihnachtsfrist, Ein rosig Kind mit Taubenaugen, Die Kunde von dem kleinen Christ Begierig aus den Lippen saugen, Aufhorchen, wenn es rauscht im Tann, Ob draußen schon sein Pferdchen schnaube: "O Unschuld, Unschuld," denk ich dann, Du zarte, scheue, flüchtge Taube! Und als die Wolke kaum verzog, Studenten klirrten durch die Straßen, Und: "Vivat Bona!" donnert's hoch, So keck und fröhlich sonder Maßen; Sie schaarten sich wie eine Macht, Die gegen den Koloß sich bäume: "O Hoffnung", hab' ich da gedacht, "Wie bald zerrinnen Träum' und Schäume!" Und ihnen nach ein Reiter stampft,
Geschmückt mit Kreuz und Epaulette, Den Tzacko lüftet er, es dampft Wie Oefen seines Scheitels Glätte; Kühn war der Blick, der Arm noch stramm, Doch droben schwebt' der Zeitenrabe: Da schien mir Kraft ein Meeresdamm, Den jeder Pulsschlag untergrabe. v. Droste-Hülshof, Gedichte. 14
Was bleibt. Seh' ich ein Kind zur Weihnachtsfriſt, Ein roſig Kind mit Taubenaugen, Die Kunde von dem kleinen Chriſt Begierig aus den Lippen ſaugen, Aufhorchen, wenn es rauſcht im Tann, Ob draußen ſchon ſein Pferdchen ſchnaube: „O Unſchuld, Unſchuld,“ denk ich dann, Du zarte, ſcheue, flüchtge Taube! Und als die Wolke kaum verzog, Studenten klirrten durch die Straßen, Und: »Vivat Bona!« donnert's hoch, So keck und fröhlich ſonder Maßen; Sie ſchaarten ſich wie eine Macht, Die gegen den Koloß ſich bäume: „O Hoffnung“, hab' ich da gedacht, „Wie bald zerrinnen Träum' und Schäume!“ Und ihnen nach ein Reiter ſtampft,
Geſchmückt mit Kreuz und Epaulette, Den Tzacko lüftet er, es dampft Wie Oefen ſeines Scheitels Glätte; Kühn war der Blick, der Arm noch ſtramm, Doch droben ſchwebt' der Zeitenrabe: Da ſchien mir Kraft ein Meeresdamm, Den jeder Pulsſchlag untergrabe. v. Droſte-Hülshof, Gedichte. 14
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0223" n="209"/> </div> <div n="2"> <head> <hi rendition="#b">Was bleibt.</hi><lb/> </head> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>Seh' ich ein Kind zur Weihnachtsfriſt,</l><lb/> <l>Ein roſig Kind mit Taubenaugen,</l><lb/> <l>Die Kunde von dem kleinen Chriſt</l><lb/> <l>Begierig aus den Lippen ſaugen,</l><lb/> <l>Aufhorchen, wenn es rauſcht im Tann,</l><lb/> <l>Ob draußen ſchon ſein Pferdchen ſchnaube:</l><lb/> <l>„O Unſchuld, Unſchuld,“ denk ich dann,</l><lb/> <l>Du zarte, ſcheue, flüchtge Taube!</l><lb/> </lg> <lg n="2"> <l>Und als die Wolke kaum verzog,</l><lb/> <l>Studenten klirrten durch die Straßen,</l><lb/> <l>Und: »<hi rendition="#aq">Vivat Bona</hi>!« donnert's hoch,</l><lb/> <l>So keck und fröhlich ſonder Maßen;</l><lb/> <l>Sie ſchaarten ſich wie eine Macht,</l><lb/> <l>Die gegen den Koloß ſich bäume:</l><lb/> <l>„O Hoffnung“, hab' ich da gedacht,</l><lb/> <l>„Wie bald zerrinnen Träum' und Schäume!“</l><lb/> </lg> <lg n="3"> <l>Und ihnen nach ein Reiter ſtampft,</l><lb/> <l>Geſchmückt mit Kreuz und Epaulette,</l><lb/> <l>Den Tzacko lüftet er, es dampft</l><lb/> <l>Wie Oefen ſeines Scheitels Glätte;</l><lb/> <l>Kühn war der Blick, der Arm noch ſtramm,</l><lb/> <l>Doch droben ſchwebt' der Zeitenrabe:</l><lb/> <l>Da ſchien mir Kraft ein Meeresdamm,</l><lb/> <l>Den jeder Pulsſchlag untergrabe.</l><lb/> </lg> <fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">v</hi>. <hi rendition="#g">Droſte-Hülshof</hi>, Gedichte. 14<lb/></fw> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [209/0223]
Was bleibt.
Seh' ich ein Kind zur Weihnachtsfriſt,
Ein roſig Kind mit Taubenaugen,
Die Kunde von dem kleinen Chriſt
Begierig aus den Lippen ſaugen,
Aufhorchen, wenn es rauſcht im Tann,
Ob draußen ſchon ſein Pferdchen ſchnaube:
„O Unſchuld, Unſchuld,“ denk ich dann,
Du zarte, ſcheue, flüchtge Taube!
Und als die Wolke kaum verzog,
Studenten klirrten durch die Straßen,
Und: »Vivat Bona!« donnert's hoch,
So keck und fröhlich ſonder Maßen;
Sie ſchaarten ſich wie eine Macht,
Die gegen den Koloß ſich bäume:
„O Hoffnung“, hab' ich da gedacht,
„Wie bald zerrinnen Träum' und Schäume!“
Und ihnen nach ein Reiter ſtampft,
Geſchmückt mit Kreuz und Epaulette,
Den Tzacko lüftet er, es dampft
Wie Oefen ſeines Scheitels Glätte;
Kühn war der Blick, der Arm noch ſtramm,
Doch droben ſchwebt' der Zeitenrabe:
Da ſchien mir Kraft ein Meeresdamm,
Den jeder Pulsſchlag untergrabe.
v. Droſte-Hülshof, Gedichte. 14
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |