Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844.Bald hatt' er beugend, gleitend, springend, Den Blumenanger abgegrast, Und rief nun, seine Mähnen schwingend: "Viktoria, Trompeten blast!" Dann flüstert er mit süßem Hall: "O, wären es die schwed'schen Hörner!" Und dann begann ein Lied von Körner; Fürwahr du bist 'ne Nachtigall! Ich sah ihn, wie er an dem Walle Im feuchten Moose niedersaß, Und nun die Veilchen, Glöckchen alle Mit sel'gem Blick zu Sträußen las, Auf seiner Stirn den Sonnenstral; Mich faßt' ein heimlich Unbehagen, Warum? ich weiß es nicht zu sagen, Der fade Bursch war mir fatal. Noch war ich von dem blinden Hessen Auf meinem Mantel nicht gesehn, Und so begann ich zu ermessen, Wie übel ihm von Gott geschehn; O Himmel, welch' ein traurig Loos, Das Schicksal eines dummen Jungen, Der zum Copisten sich geschwungen Und auf den Schreiber steuert los! Der in den kargen Feierstunden Romane von der Zofe borgt, Beklagt des Löwenritters Wunden Und seufzend um den Posa sorgt, Bald hatt' er beugend, gleitend, ſpringend, Den Blumenanger abgegrast, Und rief nun, ſeine Mähnen ſchwingend: „Viktoria, Trompeten blast!“ Dann flüſtert er mit ſüßem Hall: „O, wären es die ſchwed'ſchen Hörner!“ Und dann begann ein Lied von Körner; Fürwahr du biſt 'ne Nachtigall! Ich ſah ihn, wie er an dem Walle Im feuchten Mooſe niederſaß, Und nun die Veilchen, Glöckchen alle Mit ſel'gem Blick zu Sträußen las, Auf ſeiner Stirn den Sonnenſtral; Mich faßt' ein heimlich Unbehagen, Warum? ich weiß es nicht zu ſagen, Der fade Burſch war mir fatal. Noch war ich von dem blinden Heſſen Auf meinem Mantel nicht geſehn, Und ſo begann ich zu ermeſſen, Wie übel ihm von Gott geſchehn; O Himmel, welch' ein traurig Loos, Das Schickſal eines dummen Jungen, Der zum Copiſten ſich geſchwungen Und auf den Schreiber ſteuert los! Der in den kargen Feierſtunden Romane von der Zofe borgt, Beklagt des Löwenritters Wunden Und ſeufzend um den Poſa ſorgt, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0229" n="215"/> <lg n="7"> <l>Bald hatt' er beugend, gleitend, ſpringend,</l><lb/> <l>Den Blumenanger abgegrast,</l><lb/> <l>Und rief nun, ſeine Mähnen ſchwingend:</l><lb/> <l>„Viktoria, Trompeten blast!“</l><lb/> <l>Dann flüſtert er mit ſüßem Hall:</l><lb/> <l>„O, wären es die ſchwed'ſchen Hörner!“</l><lb/> <l>Und dann begann ein Lied von Körner;</l><lb/> <l>Fürwahr du biſt 'ne Nachtigall!</l><lb/> </lg> <lg n="8"> <l>Ich ſah ihn, wie er an dem Walle</l><lb/> <l>Im feuchten Mooſe niederſaß,</l><lb/> <l>Und nun die Veilchen, Glöckchen alle</l><lb/> <l>Mit ſel'gem Blick zu Sträußen las,</l><lb/> <l>Auf ſeiner Stirn den Sonnenſtral;</l><lb/> <l>Mich faßt' ein heimlich Unbehagen,</l><lb/> <l>Warum? ich weiß es nicht zu ſagen,</l><lb/> <l>Der fade Burſch war mir fatal.</l><lb/> </lg> <lg n="9"> <l>Noch war ich von dem blinden Heſſen</l><lb/> <l>Auf meinem Mantel nicht geſehn,</l><lb/> <l>Und ſo begann ich zu ermeſſen,</l><lb/> <l>Wie übel ihm von Gott geſchehn;</l><lb/> <l>O Himmel, welch' ein traurig Loos,</l><lb/> <l>Das Schickſal eines dummen Jungen,</l><lb/> <l>Der zum Copiſten ſich geſchwungen</l><lb/> <l>Und auf den Schreiber ſteuert los!</l><lb/> </lg> <lg n="10"> <l>Der in den kargen Feierſtunden</l><lb/> <l>Romane von der Zofe borgt,</l><lb/> <l>Beklagt des Löwenritters Wunden</l><lb/> <l>Und ſeufzend um den Poſa ſorgt,</l><lb/> </lg> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [215/0229]
Bald hatt' er beugend, gleitend, ſpringend,
Den Blumenanger abgegrast,
Und rief nun, ſeine Mähnen ſchwingend:
„Viktoria, Trompeten blast!“
Dann flüſtert er mit ſüßem Hall:
„O, wären es die ſchwed'ſchen Hörner!“
Und dann begann ein Lied von Körner;
Fürwahr du biſt 'ne Nachtigall!
Ich ſah ihn, wie er an dem Walle
Im feuchten Mooſe niederſaß,
Und nun die Veilchen, Glöckchen alle
Mit ſel'gem Blick zu Sträußen las,
Auf ſeiner Stirn den Sonnenſtral;
Mich faßt' ein heimlich Unbehagen,
Warum? ich weiß es nicht zu ſagen,
Der fade Burſch war mir fatal.
Noch war ich von dem blinden Heſſen
Auf meinem Mantel nicht geſehn,
Und ſo begann ich zu ermeſſen,
Wie übel ihm von Gott geſchehn;
O Himmel, welch' ein traurig Loos,
Das Schickſal eines dummen Jungen,
Der zum Copiſten ſich geſchwungen
Und auf den Schreiber ſteuert los!
Der in den kargen Feierſtunden
Romane von der Zofe borgt,
Beklagt des Löwenritters Wunden
Und ſeufzend um den Poſa ſorgt,
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