Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844.

Bild:
<< vorherige Seite
Und drunter merkte ich Tag und Stund',
Dann sind wir fürder gezogen,
So kläglich schluchzend aus Herzensgrund,
Daß schreiend die Merle entflogen;
O junge Seelen sind Königen gleich,
Sie können ein Peru vergeuden,
Im braunen Haid, unter'm grünen Zweig,
Ein Peru an Lieben und Leiden.
Die Jahre verglitten mit schleichendem Gang,
Verrannen gleich duftiger Wolke,
Und wieder zog ich das Feld entlang
Mit jungem lustigen Volke;
Die schleuderten Stäbe, und schrieen "Halloh!"
Die sprudelten Witze wie Schlossen,
Mir ward's im Herzen gar keck und froh,
Muthwillig wie unter Genossen.
Da plötzlich rauscht' es im dichten Gezweig,
"Eine Merle", rief's, "eine Merle!"
Ich fuhr empor -- ward ich etwa bleich?
Ich stand an der alternden Erle;
Und rückwärts zog mir's den Schleier vom Haar,
Ach Gott, ich erglühte wie Flamme,
Als ich sah, daß die alte Nadel es war,
Meine rostige Nadel im Stamme!
Drauf hab' ich genommen ganz still in Schau
Die Inschrift, zu eigenem Frommen,
Und fühlte dann plötzlich, es steige der Thau,
Und werde mir schwerlich bekommen.
Und drunter merkte ich Tag und Stund',
Dann ſind wir fürder gezogen,
So kläglich ſchluchzend aus Herzensgrund,
Daß ſchreiend die Merle entflogen;
O junge Seelen ſind Königen gleich,
Sie können ein Peru vergeuden,
Im braunen Haid, unter'm grünen Zweig,
Ein Peru an Lieben und Leiden.
Die Jahre verglitten mit ſchleichendem Gang,
Verrannen gleich duftiger Wolke,
Und wieder zog ich das Feld entlang
Mit jungem luſtigen Volke;
Die ſchleuderten Stäbe, und ſchrieen „Halloh!“
Die ſprudelten Witze wie Schloſſen,
Mir ward's im Herzen gar keck und froh,
Muthwillig wie unter Genoſſen.
Da plötzlich rauſcht' es im dichten Gezweig,
„Eine Merle“, rief's, „eine Merle!“
Ich fuhr empor — ward ich etwa bleich?
Ich ſtand an der alternden Erle;
Und rückwärts zog mir's den Schleier vom Haar,
Ach Gott, ich erglühte wie Flamme,
Als ich ſah, daß die alte Nadel es war,
Meine roſtige Nadel im Stamme!
Drauf hab' ich genommen ganz ſtill in Schau
Die Inſchrift, zu eigenem Frommen,
Und fühlte dann plötzlich, es ſteige der Thau,
Und werde mir ſchwerlich bekommen.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <pb facs="#f0236" n="222"/>
            <lg n="4">
              <l>Und drunter merkte ich Tag und Stund',</l><lb/>
              <l>Dann &#x017F;ind wir fürder gezogen,</l><lb/>
              <l>So kläglich &#x017F;chluchzend aus Herzensgrund,</l><lb/>
              <l>Daß &#x017F;chreiend die Merle entflogen;</l><lb/>
              <l>O junge Seelen &#x017F;ind Königen gleich,</l><lb/>
              <l>Sie können ein Peru vergeuden,</l><lb/>
              <l>Im braunen Haid, unter'm grünen Zweig,</l><lb/>
              <l>Ein Peru an Lieben und Leiden.</l><lb/>
            </lg>
            <lg n="5">
              <l>Die Jahre verglitten mit &#x017F;chleichendem Gang,</l><lb/>
              <l>Verrannen gleich duftiger Wolke,</l><lb/>
              <l>Und wieder zog ich das Feld entlang</l><lb/>
              <l>Mit jungem lu&#x017F;tigen Volke;</l><lb/>
              <l>Die &#x017F;chleuderten Stäbe, und &#x017F;chrieen &#x201E;Halloh!&#x201C;</l><lb/>
              <l>Die &#x017F;prudelten Witze wie Schlo&#x017F;&#x017F;en,</l><lb/>
              <l>Mir ward's im Herzen gar keck und froh,</l><lb/>
              <l>Muthwillig wie unter Geno&#x017F;&#x017F;en.</l><lb/>
            </lg>
            <lg n="6">
              <l>Da plötzlich rau&#x017F;cht' es im dichten Gezweig,</l><lb/>
              <l>&#x201E;Eine Merle&#x201C;, rief's, &#x201E;eine Merle!&#x201C;</l><lb/>
              <l>Ich fuhr empor &#x2014; ward ich etwa bleich?</l><lb/>
              <l>Ich &#x017F;tand an der alternden Erle;</l><lb/>
              <l>Und rückwärts zog mir's den Schleier vom Haar,</l><lb/>
              <l>Ach Gott, ich erglühte wie Flamme,</l><lb/>
              <l>Als ich &#x017F;ah, daß die alte Nadel es war,</l><lb/>
              <l>Meine ro&#x017F;tige Nadel im Stamme!</l><lb/>
            </lg>
            <lg n="7">
              <l>Drauf hab' ich genommen ganz &#x017F;till in Schau</l><lb/>
              <l>Die In&#x017F;chrift, zu eigenem Frommen,</l><lb/>
              <l>Und fühlte dann plötzlich, es &#x017F;teige der Thau,</l><lb/>
              <l>Und werde mir &#x017F;chwerlich bekommen.</l><lb/>
            </lg>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[222/0236] Und drunter merkte ich Tag und Stund', Dann ſind wir fürder gezogen, So kläglich ſchluchzend aus Herzensgrund, Daß ſchreiend die Merle entflogen; O junge Seelen ſind Königen gleich, Sie können ein Peru vergeuden, Im braunen Haid, unter'm grünen Zweig, Ein Peru an Lieben und Leiden. Die Jahre verglitten mit ſchleichendem Gang, Verrannen gleich duftiger Wolke, Und wieder zog ich das Feld entlang Mit jungem luſtigen Volke; Die ſchleuderten Stäbe, und ſchrieen „Halloh!“ Die ſprudelten Witze wie Schloſſen, Mir ward's im Herzen gar keck und froh, Muthwillig wie unter Genoſſen. Da plötzlich rauſcht' es im dichten Gezweig, „Eine Merle“, rief's, „eine Merle!“ Ich fuhr empor — ward ich etwa bleich? Ich ſtand an der alternden Erle; Und rückwärts zog mir's den Schleier vom Haar, Ach Gott, ich erglühte wie Flamme, Als ich ſah, daß die alte Nadel es war, Meine roſtige Nadel im Stamme! Drauf hab' ich genommen ganz ſtill in Schau Die Inſchrift, zu eigenem Frommen, Und fühlte dann plötzlich, es ſteige der Thau, Und werde mir ſchwerlich bekommen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844/236
Zitationshilfe: Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844, S. 222. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844/236>, abgerufen am 24.11.2024.