Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844.

Bild:
<< vorherige Seite
Seltsamer Troß! hier Riesenbau
Und hiebgespaltnes Angesicht,
Und dort ein Bübchen wie 'ne Frau,
Ein zierliches Spelunkenlicht;
Der drüben an dem Scheitelhaar
So sachte streift den blanken Fänger,
Schaut aus den blauen Augen gar
Wie ein verarmter Minnesänger.
'S ist lichter Tag! die Bande scheut
Vor keiner Stunde -- Alles gleich; --
Es ist die rothe Bande, weit
Verschrien, gefürchtet in dem Reich;
Das Knäbchen kauert unter'm Stier
Und betet, raschelt es im Walde,
Und manches Weib verschließt die Thür,
Schreit nur ein Kukuk an der Halde.
Die Posten haben sich zerstreut,
Und in die Hütte schlüpft der Troß --
Wildhüters Obdach, zu der Zeit,
Als jene Trümmer war ein Schloß:
Wie Ritter vor der Ahnengruft,
Fühlt sich der Räuber stolz gehoben
Am Schutte, dran ein gleicher Schuft
Vor Jahren einst den Brand geschoben.
Und als der letzte Schritt verhallt,
Der letzte Zweig zurück gerauscht,
Da wird es einsam in dem Wald,
Wo über'm Ast die Sonne lauscht;
Seltſamer Troß! hier Rieſenbau
Und hiebgeſpaltnes Angeſicht,
Und dort ein Bübchen wie 'ne Frau,
Ein zierliches Spelunkenlicht;
Der drüben an dem Scheitelhaar
So ſachte ſtreift den blanken Fänger,
Schaut aus den blauen Augen gar
Wie ein verarmter Minneſänger.
'S iſt lichter Tag! die Bande ſcheut
Vor keiner Stunde — Alles gleich; —
Es iſt die rothe Bande, weit
Verſchrien, gefürchtet in dem Reich;
Das Knäbchen kauert unter'm Stier
Und betet, raſchelt es im Walde,
Und manches Weib verſchließt die Thür,
Schreit nur ein Kukuk an der Halde.
Die Poſten haben ſich zerſtreut,
Und in die Hütte ſchlüpft der Troß —
Wildhüters Obdach, zu der Zeit,
Als jene Trümmer war ein Schloß:
Wie Ritter vor der Ahnengruft,
Fühlt ſich der Räuber ſtolz gehoben
Am Schutte, dran ein gleicher Schuft
Vor Jahren einſt den Brand geſchoben.
Und als der letzte Schritt verhallt,
Der letzte Zweig zurück gerauſcht,
Da wird es einſam in dem Wald,
Wo über'm Aſt die Sonne lauſcht;
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <pb facs="#f0333" n="319"/>
            <lg n="4">
              <l>Selt&#x017F;amer Troß! hier Rie&#x017F;enbau</l><lb/>
              <l>Und hiebge&#x017F;paltnes Ange&#x017F;icht,</l><lb/>
              <l>Und dort ein Bübchen wie 'ne Frau,</l><lb/>
              <l>Ein zierliches Spelunkenlicht;</l><lb/>
              <l>Der drüben an dem Scheitelhaar</l><lb/>
              <l>So &#x017F;achte &#x017F;treift den blanken Fänger,</l><lb/>
              <l>Schaut aus den blauen Augen gar</l><lb/>
              <l>Wie ein verarmter Minne&#x017F;änger.</l><lb/>
            </lg>
            <lg n="5">
              <l>'S i&#x017F;t lichter Tag! die Bande &#x017F;cheut</l><lb/>
              <l>Vor keiner Stunde &#x2014; Alles gleich; &#x2014;</l><lb/>
              <l>Es i&#x017F;t die rothe Bande, weit</l><lb/>
              <l>Ver&#x017F;chrien, gefürchtet in dem Reich;</l><lb/>
              <l>Das Knäbchen kauert unter'm Stier</l><lb/>
              <l>Und betet, ra&#x017F;chelt es im Walde,</l><lb/>
              <l>Und manches Weib ver&#x017F;chließt die Thür,</l><lb/>
              <l>Schreit nur ein Kukuk an der Halde.</l><lb/>
            </lg>
            <lg n="6">
              <l>Die Po&#x017F;ten haben &#x017F;ich zer&#x017F;treut,</l><lb/>
              <l>Und in die Hütte &#x017F;chlüpft der Troß &#x2014;</l><lb/>
              <l>Wildhüters Obdach, zu der Zeit,</l><lb/>
              <l>Als jene Trümmer war ein Schloß:</l><lb/>
              <l>Wie Ritter vor der Ahnengruft,</l><lb/>
              <l>Fühlt &#x017F;ich der Räuber &#x017F;tolz gehoben</l><lb/>
              <l>Am Schutte, dran ein gleicher Schuft</l><lb/>
              <l>Vor Jahren ein&#x017F;t den Brand ge&#x017F;choben.</l><lb/>
            </lg>
            <lg n="7">
              <l>Und als der letzte Schritt verhallt,</l><lb/>
              <l>Der letzte Zweig zurück gerau&#x017F;cht,</l><lb/>
              <l>Da wird es ein&#x017F;am in dem Wald,</l><lb/>
              <l>Wo über'm A&#x017F;t die Sonne lau&#x017F;cht;</l><lb/>
            </lg>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[319/0333] Seltſamer Troß! hier Rieſenbau Und hiebgeſpaltnes Angeſicht, Und dort ein Bübchen wie 'ne Frau, Ein zierliches Spelunkenlicht; Der drüben an dem Scheitelhaar So ſachte ſtreift den blanken Fänger, Schaut aus den blauen Augen gar Wie ein verarmter Minneſänger. 'S iſt lichter Tag! die Bande ſcheut Vor keiner Stunde — Alles gleich; — Es iſt die rothe Bande, weit Verſchrien, gefürchtet in dem Reich; Das Knäbchen kauert unter'm Stier Und betet, raſchelt es im Walde, Und manches Weib verſchließt die Thür, Schreit nur ein Kukuk an der Halde. Die Poſten haben ſich zerſtreut, Und in die Hütte ſchlüpft der Troß — Wildhüters Obdach, zu der Zeit, Als jene Trümmer war ein Schloß: Wie Ritter vor der Ahnengruft, Fühlt ſich der Räuber ſtolz gehoben Am Schutte, dran ein gleicher Schuft Vor Jahren einſt den Brand geſchoben. Und als der letzte Schritt verhallt, Der letzte Zweig zurück gerauſcht, Da wird es einſam in dem Wald, Wo über'm Aſt die Sonne lauſcht;

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844/333
Zitationshilfe: Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844, S. 319. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844/333>, abgerufen am 22.11.2024.