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Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844.

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Und wieder sah ich die mich geboren,
Verbannt, verstoßen vom heiligen Grund,
O, nimmer hab' ich das Bild verloren,
Es folgt mir noch in der Todesstund!

Und Er? -- hat keine Wimper geregt,
Und keine Muskel gezuckt,
Der Stuhl, auf den seine Hand gelegt,
Nur einmal leise geruckt.
Ihr folgend mit den stechenden Blicken
Wandt' er sich langsam wie sie schritt,
Doch als er sie an's Closet sah drücken,
Da zuckte er auf, als wolle er mit.
Und "Arnold!" rief's aus dem Geldverließ,
-- Er beugte vornüber, weit --
Und wieder "Arnold!" so klagend süß,
-- Er legte die Feder bei Seit' --
Zum dritten Mal, wie die blutige Trauer,
"Arnold!" -- den Meerschaumkopf im Nu
Erfaßt er, schleudert' ihn gegen die Mauer,
Schritt in's Closet und riegelte zu.
Wir aber stürzten in wilder Hast
Hinaus an das Abendroth,
Wir hatten uns bei den Händen gefaßt,
Und weinten uns schier zu todt.
Die ganze Nacht hat die Lampe geglommen,
Geknattert im Saal des Kamines Rost,
Und als der dritte Abend gekommen,
Da setzte der Vater sich auf die Post.

Und wieder ſah ich die mich geboren,
Verbannt, verſtoßen vom heiligen Grund,
O, nimmer hab' ich das Bild verloren,
Es folgt mir noch in der Todesſtund!

Und Er? — hat keine Wimper geregt,
Und keine Muskel gezuckt,
Der Stuhl, auf den ſeine Hand gelegt,
Nur einmal leiſe geruckt.
Ihr folgend mit den ſtechenden Blicken
Wandt' er ſich langſam wie ſie ſchritt,
Doch als er ſie an's Cloſet ſah drücken,
Da zuckte er auf, als wolle er mit.
Und „Arnold!“ rief's aus dem Geldverließ,
— Er beugte vornüber, weit —
Und wieder „Arnold!“ ſo klagend ſüß,
— Er legte die Feder bei Seit' —
Zum dritten Mal, wie die blutige Trauer,
„Arnold!“ — den Meerſchaumkopf im Nu
Erfaßt er, ſchleudert' ihn gegen die Mauer,
Schritt in's Cloſet und riegelte zu.
Wir aber ſtürzten in wilder Haſt
Hinaus an das Abendroth,
Wir hatten uns bei den Händen gefaßt,
Und weinten uns ſchier zu todt.
Die ganze Nacht hat die Lampe geglommen,
Geknattert im Saal des Kamines Roſt,
Und als der dritte Abend gekommen,
Da ſetzte der Vater ſich auf die Poſt.
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[348/0362] Und wieder ſah ich die mich geboren, Verbannt, verſtoßen vom heiligen Grund, O, nimmer hab' ich das Bild verloren, Es folgt mir noch in der Todesſtund! Und Er? — hat keine Wimper geregt, Und keine Muskel gezuckt, Der Stuhl, auf den ſeine Hand gelegt, Nur einmal leiſe geruckt. Ihr folgend mit den ſtechenden Blicken Wandt' er ſich langſam wie ſie ſchritt, Doch als er ſie an's Cloſet ſah drücken, Da zuckte er auf, als wolle er mit. Und „Arnold!“ rief's aus dem Geldverließ, — Er beugte vornüber, weit — Und wieder „Arnold!“ ſo klagend ſüß, — Er legte die Feder bei Seit' — Zum dritten Mal, wie die blutige Trauer, „Arnold!“ — den Meerſchaumkopf im Nu Erfaßt er, ſchleudert' ihn gegen die Mauer, Schritt in's Cloſet und riegelte zu. Wir aber ſtürzten in wilder Haſt Hinaus an das Abendroth, Wir hatten uns bei den Händen gefaßt, Und weinten uns ſchier zu todt. Die ganze Nacht hat die Lampe geglommen, Geknattert im Saal des Kamines Roſt, Und als der dritte Abend gekommen, Da ſetzte der Vater ſich auf die Poſt.

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Zitationshilfe: Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844, S. 348. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844/362>, abgerufen am 22.11.2024.