Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844.

Bild:
<< vorherige Seite
nächste Seite >>
I.
So hat er sich umsonst gequält, umsonst verkauft die werthe
Stätte,
Wo seiner Kindheit Linde steht und seiner Eltern Sterbe¬
bette,
Umsonst hat er so manchen Tag den frostbeklemmten Hauch
gesogen,
In seiner starren Hand den Zaum, umknistert von des
Schnees Wogen,
Beim Morgenroth, beim Abendroth,
Nur um ein Stückchen ehrlich Brod!
Der Täuscher kniet am Pflastergrund, er streicht des Rosses
heiße Flanken,
Von des Gebälkes Sparren läßt die Leuchte irre Schatten
wanken;
Bei Gott, es lebt! -- im Aug' ein Blitz! -- es schaudert,
zittert, hüben, drüben,
Dann streckt es sich, die Nüstern stehn, vom wilden Schreie
aufgetrieben,
Und aus den Gliedern wirbelt Dampf,
Der Lebenswärme letzter Kampf.
Der Täuscher kniet und streichelt fort, nicht trauen will er
seinem Auge,
Und schwellend in die Wimper steigt der Mannesthräne
bittre Lauge,
I.
So hat er ſich umſonſt gequält, umſonſt verkauft die werthe
Stätte,
Wo ſeiner Kindheit Linde ſteht und ſeiner Eltern Sterbe¬
bette,
Umſonſt hat er ſo manchen Tag den froſtbeklemmten Hauch
geſogen,
In ſeiner ſtarren Hand den Zaum, umkniſtert von des
Schnees Wogen,
Beim Morgenroth, beim Abendroth,
Nur um ein Stückchen ehrlich Brod!
Der Täuſcher kniet am Pflaſtergrund, er ſtreicht des Roſſes
heiße Flanken,
Von des Gebälkes Sparren läßt die Leuchte irre Schatten
wanken;
Bei Gott, es lebt! — im Aug' ein Blitz! — es ſchaudert,
zittert, hüben, drüben,
Dann ſtreckt es ſich, die Nüſtern ſtehn, vom wilden Schreie
aufgetrieben,
Und aus den Gliedern wirbelt Dampf,
Der Lebenswärme letzter Kampf.
Der Täuſcher kniet und ſtreichelt fort, nicht trauen will er
ſeinem Auge,
Und ſchwellend in die Wimper ſteigt der Mannesthräne
bittre Lauge,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0384" n="370"/>
          <div n="3">
            <head><hi rendition="#aq #b">I</hi>.<lb/></head>
            <lg type="poem">
              <lg n="1">
                <l>So hat er &#x017F;ich um&#x017F;on&#x017F;t gequält, um&#x017F;on&#x017F;t verkauft die werthe</l><lb/>
                <l>Stätte,</l><lb/>
                <l>Wo &#x017F;einer Kindheit Linde &#x017F;teht und &#x017F;einer Eltern Sterbe¬</l><lb/>
                <l>bette,</l><lb/>
                <l>Um&#x017F;on&#x017F;t hat er &#x017F;o manchen Tag den fro&#x017F;tbeklemmten Hauch</l><lb/>
                <l>ge&#x017F;ogen,</l><lb/>
                <l>In &#x017F;einer &#x017F;tarren Hand den Zaum, umkni&#x017F;tert von des</l><lb/>
                <l>Schnees Wogen,</l><lb/>
                <l>Beim Morgenroth, beim Abendroth,</l><lb/>
                <l>Nur um ein Stückchen ehrlich Brod!</l><lb/>
              </lg>
              <lg n="2">
                <l>Der Täu&#x017F;cher kniet am Pfla&#x017F;tergrund, er &#x017F;treicht des Ro&#x017F;&#x017F;es</l><lb/>
                <l>heiße Flanken,</l><lb/>
                <l>Von des Gebälkes Sparren läßt die Leuchte irre Schatten</l><lb/>
                <l>wanken;</l><lb/>
                <l>Bei Gott, es lebt! &#x2014; im Aug' ein Blitz! &#x2014; es &#x017F;chaudert,</l><lb/>
                <l>zittert, hüben, drüben,</l><lb/>
                <l>Dann &#x017F;treckt es &#x017F;ich, die Nü&#x017F;tern &#x017F;tehn, vom wilden Schreie</l><lb/>
                <l>aufgetrieben,</l><lb/>
                <l>Und aus den Gliedern wirbelt Dampf,</l><lb/>
                <l>Der Lebenswärme letzter Kampf.</l><lb/>
              </lg>
              <lg n="3">
                <l>Der Täu&#x017F;cher kniet und &#x017F;treichelt fort, nicht trauen will er</l><lb/>
                <l>&#x017F;einem Auge,</l><lb/>
                <l>Und &#x017F;chwellend in die Wimper &#x017F;teigt der Mannesthräne</l><lb/>
                <l>bittre Lauge,</l><lb/>
              </lg>
            </lg>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[370/0384] I. So hat er ſich umſonſt gequält, umſonſt verkauft die werthe Stätte, Wo ſeiner Kindheit Linde ſteht und ſeiner Eltern Sterbe¬ bette, Umſonſt hat er ſo manchen Tag den froſtbeklemmten Hauch geſogen, In ſeiner ſtarren Hand den Zaum, umkniſtert von des Schnees Wogen, Beim Morgenroth, beim Abendroth, Nur um ein Stückchen ehrlich Brod! Der Täuſcher kniet am Pflaſtergrund, er ſtreicht des Roſſes heiße Flanken, Von des Gebälkes Sparren läßt die Leuchte irre Schatten wanken; Bei Gott, es lebt! — im Aug' ein Blitz! — es ſchaudert, zittert, hüben, drüben, Dann ſtreckt es ſich, die Nüſtern ſtehn, vom wilden Schreie aufgetrieben, Und aus den Gliedern wirbelt Dampf, Der Lebenswärme letzter Kampf. Der Täuſcher kniet und ſtreichelt fort, nicht trauen will er ſeinem Auge, Und ſchwellend in die Wimper ſteigt der Mannesthräne bittre Lauge,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844/384
Zitationshilfe: Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844, S. 370. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844/384>, abgerufen am 22.11.2024.