Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844.

Bild:
<< vorherige Seite

Nun noch ein Schwung: ich stand in freier Luft.
Noch wenig Schritt', hier wehte Fliederduft:
Auf meines Führers Ruck ich niedersaß,
Zwei Worte sprach er, die ich nicht verstand.
Dann plötzlich schwand aus meiner seine Hand,
Mir war nicht wohl zu Muth, ich war allein!

Vor Einer Stunde hätt' ich nicht gedacht,
Als jedes Auge schien 'ne grimme Wacht,
Daß Einsamkeit mir peinlich könnte seyn.
Ich saß am Grund wie ein verspätet Kind,
Das rispeln hört den Wolf, die böse Fee
In jedem Strauch. Wenn reger strich der Wind,
Ein Halm mich rührte, wenn in meiner Näh'
Ein Vogel rückt' im Nest, die Brut zu decken:
Zusammen fuhr ich in geheimen Schrecken.
Doch Alles ruhig, nur die Fichten rauschen,
Und eine nahe Quelle murmelt drein.
Die Zeit verrinnt, es wächst, es wächst die Pein.
Was knistert dort? Ein Hirsch vielleicht, ein Reh,
Das nächtlich Nahrung sucht, so mußt es seyn.
Am Zweige hört' ich's nagen, schnauben, lauschen,
Dann sprang es fort; -- gekauert saß ich da,
Denn plötzlich waren Männertritte nah.
Und vor mir im Gesträuch es knackt und bricht,
Die Zweige schlagen feucht an mein Gesicht.
"Ist's hier? Nein dort, es ist die Stelle nicht."
Kaum hielt ich mich, daß nicht ein Schrei entfuhr,
Ja mühsam ich des Athems Keuchen zwang.
Sie stöbern, wie der Hund auf Wildes Spur,

Nun noch ein Schwung: ich ſtand in freier Luft.
Noch wenig Schritt', hier wehte Fliederduft:
Auf meines Führers Ruck ich niederſaß,
Zwei Worte ſprach er, die ich nicht verſtand.
Dann plötzlich ſchwand aus meiner ſeine Hand,
Mir war nicht wohl zu Muth, ich war allein!

Vor Einer Stunde hätt' ich nicht gedacht,
Als jedes Auge ſchien 'ne grimme Wacht,
Daß Einſamkeit mir peinlich könnte ſeyn.
Ich ſaß am Grund wie ein verſpätet Kind,
Das riſpeln hört den Wolf, die böſe Fee
In jedem Strauch. Wenn reger ſtrich der Wind,
Ein Halm mich rührte, wenn in meiner Näh'
Ein Vogel rückt' im Neſt, die Brut zu decken:
Zuſammen fuhr ich in geheimen Schrecken.
Doch Alles ruhig, nur die Fichten rauſchen,
Und eine nahe Quelle murmelt drein.
Die Zeit verrinnt, es wächſt, es wächſt die Pein.
Was kniſtert dort? Ein Hirſch vielleicht, ein Reh,
Das nächtlich Nahrung ſucht, ſo mußt es ſeyn.
Am Zweige hört' ich's nagen, ſchnauben, lauſchen,
Dann ſprang es fort; — gekauert ſaß ich da,
Denn plötzlich waren Männertritte nah.
Und vor mir im Geſträuch es knackt und bricht,
Die Zweige ſchlagen feucht an mein Geſicht.
„Iſt's hier? Nein dort, es iſt die Stelle nicht.“
Kaum hielt ich mich, daß nicht ein Schrei entfuhr,
Ja mühſam ich des Athems Keuchen zwang.
Sie ſtöbern, wie der Hund auf Wildes Spur,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <lg n="19">
              <pb facs="#f0491" n="477"/>
              <l>Nun noch ein Schwung: ich &#x017F;tand in freier Luft.</l><lb/>
              <l>Noch wenig Schritt', hier wehte Fliederduft:</l><lb/>
              <l>Auf meines Führers Ruck ich nieder&#x017F;aß,</l><lb/>
              <l>Zwei Worte &#x017F;prach er, die ich nicht ver&#x017F;tand.</l><lb/>
              <l>Dann plötzlich &#x017F;chwand aus meiner &#x017F;eine Hand,</l><lb/>
              <l>Mir war nicht wohl zu Muth, ich war allein!</l><lb/>
            </lg>
            <lg n="20">
              <l>Vor Einer Stunde hätt' ich nicht gedacht,</l><lb/>
              <l>Als jedes Auge &#x017F;chien 'ne grimme Wacht,</l><lb/>
              <l>Daß Ein&#x017F;amkeit mir peinlich könnte &#x017F;eyn.</l><lb/>
              <l>Ich &#x017F;aß am Grund wie ein ver&#x017F;pätet Kind,</l><lb/>
              <l>Das ri&#x017F;peln hört den Wolf, die bö&#x017F;e Fee</l><lb/>
              <l>In jedem Strauch. Wenn reger &#x017F;trich der Wind,</l><lb/>
              <l>Ein Halm mich rührte, wenn in meiner Näh'</l><lb/>
              <l>Ein Vogel rückt' im Ne&#x017F;t, die Brut zu decken:</l><lb/>
              <l>Zu&#x017F;ammen fuhr ich in geheimen Schrecken.</l><lb/>
              <l>Doch Alles ruhig, nur die Fichten rau&#x017F;chen,</l><lb/>
              <l>Und eine nahe Quelle murmelt drein.</l><lb/>
              <l>Die Zeit verrinnt, es wäch&#x017F;t, es wäch&#x017F;t die Pein.</l><lb/>
              <l>Was kni&#x017F;tert dort? Ein Hir&#x017F;ch vielleicht, ein Reh,</l><lb/>
              <l>Das nächtlich Nahrung &#x017F;ucht, &#x017F;o mußt es &#x017F;eyn.</l><lb/>
              <l>Am Zweige hört' ich's nagen, &#x017F;chnauben, lau&#x017F;chen,</l><lb/>
              <l>Dann &#x017F;prang es fort; &#x2014; gekauert &#x017F;aß ich da,</l><lb/>
              <l>Denn plötzlich waren Männertritte nah.</l><lb/>
              <l>Und vor mir im Ge&#x017F;träuch es knackt und bricht,</l><lb/>
              <l>Die Zweige &#x017F;chlagen feucht an mein Ge&#x017F;icht.</l><lb/>
              <l>&#x201E;I&#x017F;t's hier? Nein dort, es i&#x017F;t die Stelle nicht.&#x201C;</l><lb/>
              <l>Kaum hielt ich mich, daß nicht ein Schrei entfuhr,</l><lb/>
              <l>Ja müh&#x017F;am ich des Athems Keuchen zwang.</l><lb/>
              <l>Sie &#x017F;töbern, wie der Hund auf Wildes Spur,</l><lb/>
            </lg>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[477/0491] Nun noch ein Schwung: ich ſtand in freier Luft. Noch wenig Schritt', hier wehte Fliederduft: Auf meines Führers Ruck ich niederſaß, Zwei Worte ſprach er, die ich nicht verſtand. Dann plötzlich ſchwand aus meiner ſeine Hand, Mir war nicht wohl zu Muth, ich war allein! Vor Einer Stunde hätt' ich nicht gedacht, Als jedes Auge ſchien 'ne grimme Wacht, Daß Einſamkeit mir peinlich könnte ſeyn. Ich ſaß am Grund wie ein verſpätet Kind, Das riſpeln hört den Wolf, die böſe Fee In jedem Strauch. Wenn reger ſtrich der Wind, Ein Halm mich rührte, wenn in meiner Näh' Ein Vogel rückt' im Neſt, die Brut zu decken: Zuſammen fuhr ich in geheimen Schrecken. Doch Alles ruhig, nur die Fichten rauſchen, Und eine nahe Quelle murmelt drein. Die Zeit verrinnt, es wächſt, es wächſt die Pein. Was kniſtert dort? Ein Hirſch vielleicht, ein Reh, Das nächtlich Nahrung ſucht, ſo mußt es ſeyn. Am Zweige hört' ich's nagen, ſchnauben, lauſchen, Dann ſprang es fort; — gekauert ſaß ich da, Denn plötzlich waren Männertritte nah. Und vor mir im Geſträuch es knackt und bricht, Die Zweige ſchlagen feucht an mein Geſicht. „Iſt's hier? Nein dort, es iſt die Stelle nicht.“ Kaum hielt ich mich, daß nicht ein Schrei entfuhr, Ja mühſam ich des Athems Keuchen zwang. Sie ſtöbern, wie der Hund auf Wildes Spur,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844/491
Zitationshilfe: Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844, S. 477. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844/491>, abgerufen am 22.11.2024.