Die Ranken lös'ten sich, ich rutschte nach, Geblieben wär' ich sonst bis an den Tag. Als ich zuletzt der Wildniß doch entkam, Nichts mehr um mich den Sinn in Anspruch nahm; Daß frei die Luft, daß moosbedeckt der Grund, Daß süß die Ruh', dies war allein mir kund. So lag ich nieder unter Kraut und Steinen, Und ließ den Mond mir in den Nacken scheinen; Noch zuckten Funken, Sterne roth und grün, Und dann -- und dann -- das Auge langsam bricht. Die Glocken läuten -- bimmeln -- weiter ziehn -- Wie hoch es an der Zeit, ich weiß es nicht.
In Tönen kehrte das Bewußtseyn mir; So lieblich aus der Luft die Wirbel dringen, Gewiß ich hörte eine Lerche singen, Und dachte noch, sie muß den Morgen bringen: Ob Traum, ob Wirklichkeit, das fragt sich hier. War's Traum, dann trag' ich manches graue Haar Umsonst und manche tiefe Furche gar. Allein ich wußte wie das Haupt mir schwer, Auch daß ich mich gewendet, rückwärts lag, Auch daß mir dürres Laub den Nacken stach. -- Nein, nein! Nicht schlief ich, da so fest gekettet War jede Muskel, wie im Tod gebettet; Der kleinste Ruck versagt, so lag ich fort Und horchte immer dem Gewirbel dort. Mit einem Male hör' ich's seitwärts knistern, Mir immer näher tappen, klirren, flüstern; Ich konnte zählen, ihrer waren drei:
Die Ranken löſ'ten ſich, ich rutſchte nach, Geblieben wär' ich ſonſt bis an den Tag. Als ich zuletzt der Wildniß doch entkam, Nichts mehr um mich den Sinn in Anſpruch nahm; Daß frei die Luft, daß moosbedeckt der Grund, Daß ſüß die Ruh', dies war allein mir kund. So lag ich nieder unter Kraut und Steinen, Und ließ den Mond mir in den Nacken ſcheinen; Noch zuckten Funken, Sterne roth und grün, Und dann — und dann — das Auge langſam bricht. Die Glocken läuten — bimmeln — weiter ziehn — Wie hoch es an der Zeit, ich weiß es nicht.
In Tönen kehrte das Bewußtſeyn mir; So lieblich aus der Luft die Wirbel dringen, Gewiß ich hörte eine Lerche ſingen, Und dachte noch, ſie muß den Morgen bringen: Ob Traum, ob Wirklichkeit, das fragt ſich hier. War's Traum, dann trag' ich manches graue Haar Umſonſt und manche tiefe Furche gar. Allein ich wußte wie das Haupt mir ſchwer, Auch daß ich mich gewendet, rückwärts lag, Auch daß mir dürres Laub den Nacken ſtach. — Nein, nein! Nicht ſchlief ich, da ſo feſt gekettet War jede Muskel, wie im Tod gebettet; Der kleinſte Ruck verſagt, ſo lag ich fort Und horchte immer dem Gewirbel dort. Mit einem Male hör' ich's ſeitwärts kniſtern, Mir immer näher tappen, klirren, flüſtern; Ich konnte zählen, ihrer waren drei:
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><lgtype="poem"><lgn="23"><pbfacs="#f0496"n="482"/><l>Die Ranken löſ'ten ſich, ich rutſchte nach,</l><lb/><l>Geblieben wär' ich ſonſt bis an den Tag.</l><lb/><l>Als ich zuletzt der Wildniß doch entkam,</l><lb/><l>Nichts mehr um mich den Sinn in Anſpruch nahm;</l><lb/><l>Daß frei die Luft, daß moosbedeckt der Grund,</l><lb/><l>Daß ſüß die Ruh', dies war allein mir kund.</l><lb/><l>So lag ich nieder unter Kraut und Steinen,</l><lb/><l>Und ließ den Mond mir in den Nacken ſcheinen;</l><lb/><l>Noch zuckten Funken, Sterne roth und grün,</l><lb/><l>Und dann — und dann — das Auge langſam bricht.</l><lb/><l>Die Glocken läuten — bimmeln — weiter ziehn —</l><lb/><l>Wie hoch es an der Zeit, ich weiß es nicht.</l><lb/></lg><lgn="24"><l>In Tönen kehrte das Bewußtſeyn mir;</l><lb/><l>So lieblich aus der Luft die Wirbel dringen,</l><lb/><l>Gewiß ich hörte eine Lerche ſingen,</l><lb/><l>Und dachte noch, ſie muß den Morgen bringen:</l><lb/><l>Ob Traum, ob Wirklichkeit, das fragt ſich hier.</l><lb/><l>War's Traum, dann trag' ich manches graue Haar</l><lb/><l>Umſonſt und manche tiefe Furche gar.</l><lb/><l>Allein ich wußte wie das Haupt mir ſchwer,</l><lb/><l>Auch daß ich mich gewendet, rückwärts lag,</l><lb/><l>Auch daß mir dürres Laub den Nacken ſtach. —</l><lb/><l>Nein, nein! Nicht ſchlief ich, da ſo feſt gekettet</l><lb/><l>War jede Muskel, wie im Tod gebettet;</l><lb/><l>Der kleinſte Ruck verſagt, ſo lag ich fort</l><lb/><l>Und horchte immer dem Gewirbel dort.</l><lb/><l>Mit einem Male hör' ich's ſeitwärts kniſtern,</l><lb/><l>Mir immer näher tappen, klirren, flüſtern;</l><lb/><l>Ich konnte zählen, ihrer waren drei:</l><lb/></lg></lg></div></div></body></text></TEI>
[482/0496]
Die Ranken löſ'ten ſich, ich rutſchte nach,
Geblieben wär' ich ſonſt bis an den Tag.
Als ich zuletzt der Wildniß doch entkam,
Nichts mehr um mich den Sinn in Anſpruch nahm;
Daß frei die Luft, daß moosbedeckt der Grund,
Daß ſüß die Ruh', dies war allein mir kund.
So lag ich nieder unter Kraut und Steinen,
Und ließ den Mond mir in den Nacken ſcheinen;
Noch zuckten Funken, Sterne roth und grün,
Und dann — und dann — das Auge langſam bricht.
Die Glocken läuten — bimmeln — weiter ziehn —
Wie hoch es an der Zeit, ich weiß es nicht.
In Tönen kehrte das Bewußtſeyn mir;
So lieblich aus der Luft die Wirbel dringen,
Gewiß ich hörte eine Lerche ſingen,
Und dachte noch, ſie muß den Morgen bringen:
Ob Traum, ob Wirklichkeit, das fragt ſich hier.
War's Traum, dann trag' ich manches graue Haar
Umſonſt und manche tiefe Furche gar.
Allein ich wußte wie das Haupt mir ſchwer,
Auch daß ich mich gewendet, rückwärts lag,
Auch daß mir dürres Laub den Nacken ſtach. —
Nein, nein! Nicht ſchlief ich, da ſo feſt gekettet
War jede Muskel, wie im Tod gebettet;
Der kleinſte Ruck verſagt, ſo lag ich fort
Und horchte immer dem Gewirbel dort.
Mit einem Male hör' ich's ſeitwärts kniſtern,
Mir immer näher tappen, klirren, flüſtern;
Ich konnte zählen, ihrer waren drei:
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844, S. 482. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844/496>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.