Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844.

Bild:
<< vorherige Seite

Nun noch an Horizontes Grund --
Nun sind sie fort. Des Wächters Mund
Gab ihnen manchen guten Fluch,
Daß, wen er trifft, der hat genug.
So triumphirend schaut er nach,
Wie Simson der Philister Schmach.
Und wieder durch den grünen Raum
Vereinzelt trabt ein armer Troß,
Todtmüde Reiter ohne Roß,
Die steife Ferse trägt sie kaum;
Wie Hirsche keuchend vor dem Hunde,
Nicht achtend Blutverlust und Wunde,
Sie stolpern längs dem weichen Grunde;
Der Eine fällt und rafft sich auf,
Der Andre reckt den Arm hinauf,
Und gichtrisch Zucken deutet an,
Daß nun der Todeskampf begann.
Dort hinkend ein erschöpfter Mann
Steht an der Linde Stamm gelehnt,
Man glaubt zu hören wie er stöhnt;
Das Haupt er zweimal beugt zurück,
Man glaubt zu sehn den stieren Blick.
Dann stemmend an der Linde Zweigen,
Die schattig über'n Anger neigen,
Er müht sich mit der letzten Kraft
Zu klimmen an des Baumes Schaft.
Dreimal fiel er zurück in's Gras,
Und schmerzbetäubt am Grunde saß,
Und wieder dreimal setzt er an,
Bis er den ersten Ast gewann.

Nun noch an Horizontes Grund —
Nun ſind ſie fort. Des Wächters Mund
Gab ihnen manchen guten Fluch,
Daß, wen er trifft, der hat genug.
So triumphirend ſchaut er nach,
Wie Simſon der Philiſter Schmach.
Und wieder durch den grünen Raum
Vereinzelt trabt ein armer Troß,
Todtmüde Reiter ohne Roß,
Die ſteife Ferſe trägt ſie kaum;
Wie Hirſche keuchend vor dem Hunde,
Nicht achtend Blutverluſt und Wunde,
Sie ſtolpern längs dem weichen Grunde;
Der Eine fällt und rafft ſich auf,
Der Andre reckt den Arm hinauf,
Und gichtriſch Zucken deutet an,
Daß nun der Todeskampf begann.
Dort hinkend ein erſchöpfter Mann
Steht an der Linde Stamm gelehnt,
Man glaubt zu hören wie er ſtöhnt;
Das Haupt er zweimal beugt zurück,
Man glaubt zu ſehn den ſtieren Blick.
Dann ſtemmend an der Linde Zweigen,
Die ſchattig über'n Anger neigen,
Er müht ſich mit der letzten Kraft
Zu klimmen an des Baumes Schaft.
Dreimal fiel er zurück in's Gras,
Und ſchmerzbetäubt am Grunde ſaß,
Und wieder dreimal ſetzt er an,
Bis er den erſten Aſt gewann.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <lg type="poem">
              <lg n="16">
                <pb facs="#f0581" n="567"/>
                <l>Nun noch an Horizontes Grund &#x2014;</l><lb/>
                <l>Nun &#x017F;ind &#x017F;ie fort. Des Wächters Mund</l><lb/>
                <l>Gab ihnen manchen guten Fluch,</l><lb/>
                <l>Daß, wen er trifft, der hat genug.</l><lb/>
                <l>So triumphirend &#x017F;chaut er nach,</l><lb/>
                <l>Wie Sim&#x017F;on der Phili&#x017F;ter Schmach.</l><lb/>
                <l>Und wieder durch den grünen Raum</l><lb/>
                <l>Vereinzelt trabt ein armer Troß,</l><lb/>
                <l>Todtmüde Reiter ohne Roß,</l><lb/>
                <l>Die &#x017F;teife Fer&#x017F;e trägt &#x017F;ie kaum;</l><lb/>
                <l>Wie Hir&#x017F;che keuchend vor dem Hunde,</l><lb/>
                <l>Nicht achtend Blutverlu&#x017F;t und Wunde,</l><lb/>
                <l>Sie &#x017F;tolpern längs dem weichen Grunde;</l><lb/>
                <l>Der Eine fällt und rafft &#x017F;ich auf,</l><lb/>
                <l>Der Andre reckt den Arm hinauf,</l><lb/>
                <l>Und gichtri&#x017F;ch Zucken deutet an,</l><lb/>
                <l>Daß nun der Todeskampf begann.</l><lb/>
                <l>Dort hinkend ein er&#x017F;chöpfter Mann</l><lb/>
                <l>Steht an der Linde Stamm gelehnt,</l><lb/>
                <l>Man glaubt zu hören wie er &#x017F;töhnt;</l><lb/>
                <l>Das Haupt er zweimal beugt zurück,</l><lb/>
                <l>Man glaubt zu &#x017F;ehn den &#x017F;tieren Blick.</l><lb/>
                <l>Dann &#x017F;temmend an der Linde Zweigen,</l><lb/>
                <l>Die &#x017F;chattig über'n Anger neigen,</l><lb/>
                <l>Er müht &#x017F;ich mit der letzten Kraft</l><lb/>
                <l>Zu klimmen an des Baumes Schaft.</l><lb/>
                <l>Dreimal fiel er zurück in's Gras,</l><lb/>
                <l>Und &#x017F;chmerzbetäubt am Grunde &#x017F;aß,</l><lb/>
                <l>Und wieder dreimal &#x017F;etzt er an,</l><lb/>
                <l>Bis er den er&#x017F;ten A&#x017F;t gewann.</l><lb/>
              </lg>
            </lg>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[567/0581] Nun noch an Horizontes Grund — Nun ſind ſie fort. Des Wächters Mund Gab ihnen manchen guten Fluch, Daß, wen er trifft, der hat genug. So triumphirend ſchaut er nach, Wie Simſon der Philiſter Schmach. Und wieder durch den grünen Raum Vereinzelt trabt ein armer Troß, Todtmüde Reiter ohne Roß, Die ſteife Ferſe trägt ſie kaum; Wie Hirſche keuchend vor dem Hunde, Nicht achtend Blutverluſt und Wunde, Sie ſtolpern längs dem weichen Grunde; Der Eine fällt und rafft ſich auf, Der Andre reckt den Arm hinauf, Und gichtriſch Zucken deutet an, Daß nun der Todeskampf begann. Dort hinkend ein erſchöpfter Mann Steht an der Linde Stamm gelehnt, Man glaubt zu hören wie er ſtöhnt; Das Haupt er zweimal beugt zurück, Man glaubt zu ſehn den ſtieren Blick. Dann ſtemmend an der Linde Zweigen, Die ſchattig über'n Anger neigen, Er müht ſich mit der letzten Kraft Zu klimmen an des Baumes Schaft. Dreimal fiel er zurück in's Gras, Und ſchmerzbetäubt am Grunde ſaß, Und wieder dreimal ſetzt er an, Bis er den erſten Aſt gewann.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844/581
Zitationshilfe: Droste-Hülshoff, Annette von: Gedichte. Stuttgart u. a., 1844, S. 567. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_gedichte_1844/581>, abgerufen am 24.11.2024.