Droste-Hülshoff, Annette von: Die Judenbuche. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 24. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 51–128. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.und den verstörten Zügen. Fritzchen, sagte sie, willst du jetzt auch fromm sein, daß ich Freude an dir habe, oder willst du unartig sein und lügen, oder saufen und stehlen? -- Mutter, Hülsmeyer stiehlt. -- Hülsmeyer? Gott bewahre! Soll ich dir auf den Rücken kommen? Wer sagt dir so schlechtes Zeug? -- Er hat neulich den Aaron geprügelt und ihm sechs Groschen genommen. -- Hat er dem Aaron Geld genommen, so hat ihn der verfluchte Jude gewiß zuvor darum betrogen. Hülsmeyer ist ein ordentlicher, angesessener Mann, und die Juden sind alle Schelme. -- Aber, Mutter, Brandes sagt auch, daß er Holz und Rehe stiehlt. -- Kind, Brandes ist ein Förster. -- Mutter, lügen die Förster? Margareth schwieg eine Weile, dann sagte sie: Höre, Fritz, das Holz läßt unser Herrgott frei wachsen, und das Wild wechselt aus eines Herren Lande in das andere; die können Niemandem gehören. Doch das verstehst du noch nicht; jetzt geh in den Schuppen und hole mir Reisig. Friedrich hatte seinen Vater auf dem Stroh gesehen, wo er, wie man sagt, blau und fürchterlich ausgesehen haben soll. Aber davon erzählte er nie und schien ungern daran zu denken. Ueberhaupt hatte die Erinnerung an seinen Vater eine mit Grausen gemischte Zärtlichkeit in ihm zurückgelassen, wie denn nichts so fesselt, wie die Liebe und Sorgfalt eines Wesens, das gegen alles Uebrige verhärtet scheint, und bei Friedrich wuchs dieses Gefühl mit den Jahren, durch das und den verstörten Zügen. Fritzchen, sagte sie, willst du jetzt auch fromm sein, daß ich Freude an dir habe, oder willst du unartig sein und lügen, oder saufen und stehlen? — Mutter, Hülsmeyer stiehlt. — Hülsmeyer? Gott bewahre! Soll ich dir auf den Rücken kommen? Wer sagt dir so schlechtes Zeug? — Er hat neulich den Aaron geprügelt und ihm sechs Groschen genommen. — Hat er dem Aaron Geld genommen, so hat ihn der verfluchte Jude gewiß zuvor darum betrogen. Hülsmeyer ist ein ordentlicher, angesessener Mann, und die Juden sind alle Schelme. — Aber, Mutter, Brandes sagt auch, daß er Holz und Rehe stiehlt. — Kind, Brandes ist ein Förster. — Mutter, lügen die Förster? Margareth schwieg eine Weile, dann sagte sie: Höre, Fritz, das Holz läßt unser Herrgott frei wachsen, und das Wild wechselt aus eines Herren Lande in das andere; die können Niemandem gehören. Doch das verstehst du noch nicht; jetzt geh in den Schuppen und hole mir Reisig. Friedrich hatte seinen Vater auf dem Stroh gesehen, wo er, wie man sagt, blau und fürchterlich ausgesehen haben soll. Aber davon erzählte er nie und schien ungern daran zu denken. Ueberhaupt hatte die Erinnerung an seinen Vater eine mit Grausen gemischte Zärtlichkeit in ihm zurückgelassen, wie denn nichts so fesselt, wie die Liebe und Sorgfalt eines Wesens, das gegen alles Uebrige verhärtet scheint, und bei Friedrich wuchs dieses Gefühl mit den Jahren, durch das <TEI> <text> <body> <div type="chapter"> <p><pb facs="#f0017"/> und den verstörten Zügen. Fritzchen, sagte sie, willst du jetzt auch fromm sein, daß ich Freude an dir habe, oder willst du unartig sein und lügen, oder saufen und stehlen? — Mutter, Hülsmeyer stiehlt. — Hülsmeyer? Gott bewahre! Soll ich dir auf den Rücken kommen? Wer sagt dir so schlechtes Zeug? — Er hat neulich den Aaron geprügelt und ihm sechs Groschen genommen. — Hat er dem Aaron Geld genommen, so hat ihn der verfluchte Jude gewiß zuvor darum betrogen. Hülsmeyer ist ein ordentlicher, angesessener Mann, und die Juden sind alle Schelme. — Aber, Mutter, Brandes sagt auch, daß er Holz und Rehe stiehlt. — Kind, Brandes ist ein Förster. — Mutter, lügen die Förster?</p><lb/> <p>Margareth schwieg eine Weile, dann sagte sie: Höre, Fritz, das Holz läßt unser Herrgott frei wachsen, und das Wild wechselt aus eines Herren Lande in das andere; die können Niemandem gehören. Doch das verstehst du noch nicht; jetzt geh in den Schuppen und hole mir Reisig.</p><lb/> <p>Friedrich hatte seinen Vater auf dem Stroh gesehen, wo er, wie man sagt, blau und fürchterlich ausgesehen haben soll. Aber davon erzählte er nie und schien ungern daran zu denken. Ueberhaupt hatte die Erinnerung an seinen Vater eine mit Grausen gemischte Zärtlichkeit in ihm zurückgelassen, wie denn nichts so fesselt, wie die Liebe und Sorgfalt eines Wesens, das gegen alles Uebrige verhärtet scheint, und bei Friedrich wuchs dieses Gefühl mit den Jahren, durch das<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0017]
und den verstörten Zügen. Fritzchen, sagte sie, willst du jetzt auch fromm sein, daß ich Freude an dir habe, oder willst du unartig sein und lügen, oder saufen und stehlen? — Mutter, Hülsmeyer stiehlt. — Hülsmeyer? Gott bewahre! Soll ich dir auf den Rücken kommen? Wer sagt dir so schlechtes Zeug? — Er hat neulich den Aaron geprügelt und ihm sechs Groschen genommen. — Hat er dem Aaron Geld genommen, so hat ihn der verfluchte Jude gewiß zuvor darum betrogen. Hülsmeyer ist ein ordentlicher, angesessener Mann, und die Juden sind alle Schelme. — Aber, Mutter, Brandes sagt auch, daß er Holz und Rehe stiehlt. — Kind, Brandes ist ein Förster. — Mutter, lügen die Förster?
Margareth schwieg eine Weile, dann sagte sie: Höre, Fritz, das Holz läßt unser Herrgott frei wachsen, und das Wild wechselt aus eines Herren Lande in das andere; die können Niemandem gehören. Doch das verstehst du noch nicht; jetzt geh in den Schuppen und hole mir Reisig.
Friedrich hatte seinen Vater auf dem Stroh gesehen, wo er, wie man sagt, blau und fürchterlich ausgesehen haben soll. Aber davon erzählte er nie und schien ungern daran zu denken. Ueberhaupt hatte die Erinnerung an seinen Vater eine mit Grausen gemischte Zärtlichkeit in ihm zurückgelassen, wie denn nichts so fesselt, wie die Liebe und Sorgfalt eines Wesens, das gegen alles Uebrige verhärtet scheint, und bei Friedrich wuchs dieses Gefühl mit den Jahren, durch das
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Zitationshilfe: | Droste-Hülshoff, Annette von: Die Judenbuche. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 24. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 51–128. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_judenbuche_1910/17>, abgerufen am 16.07.2024. |