Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Droste-Hülshoff, Annette von: Die Judenbuche. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 24. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 51–128. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

Beide schwiegen eine Weile. Mein Fuhrmann hatte sich in der Nacht verirrt, hob der Amtsschreiber wieder an; über eine Stunde lang hielten wir im Walde; es war ein Mordwetter; ich dachte, der Wind werde den Wagen umreißen. Endlich, als der Regen nachließ, fuhren wir in Gottes Namen darauf los, immer in das Zellerfeld hinein, ohne eine Hand vor den Augen zu sehen. Da sagte der Kutscher: wenn wir nur nicht den Steinbrüchen zu nahe kommen! Mir war selbst bange; ich ließ halten und schlug Feuer, um wenigstens etwas Unterhaltung an meiner Pfeife zu haben. Mit einem Male hörten wir ganz nah, perpendicular unter uns die Glocke schlagen. Ew. Gnaden mögen glauben, daß mir fatal zu Muthe wurde. Ich sprang aus dem Wagen, denn seinen eigenen Beinen kann man trauen, aber denen der Pferde nicht. So stand ich, in Koth und Regen, ohne mich zu rühren, bis es Gottlob sehr bald anfing zu dämmern. Und wo hielten wir? Dicht an der Heerser Tiefe und den Thurm von Heerse gerade unter uns. Wären wir noch zwanzig Schritte weiter gefahren, wir wären alle Kinder des Todes gewesen. -- Das war in der That kein Spaß, versetzte der Gutsherr, halb versöhnt.

Er hatte unterdessen die mitgenommenen Papiere durchgesehen. Es waren Mahnbriefe um geliehene Gelder, die meisten von Wucherern. Ich hatte nicht gedacht, murmelte er, daß die Mergels so tief drin steckten. -- Ja, und daß es so an den Tag kommen muß,

Beide schwiegen eine Weile. Mein Fuhrmann hatte sich in der Nacht verirrt, hob der Amtsschreiber wieder an; über eine Stunde lang hielten wir im Walde; es war ein Mordwetter; ich dachte, der Wind werde den Wagen umreißen. Endlich, als der Regen nachließ, fuhren wir in Gottes Namen darauf los, immer in das Zellerfeld hinein, ohne eine Hand vor den Augen zu sehen. Da sagte der Kutscher: wenn wir nur nicht den Steinbrüchen zu nahe kommen! Mir war selbst bange; ich ließ halten und schlug Feuer, um wenigstens etwas Unterhaltung an meiner Pfeife zu haben. Mit einem Male hörten wir ganz nah, perpendicular unter uns die Glocke schlagen. Ew. Gnaden mögen glauben, daß mir fatal zu Muthe wurde. Ich sprang aus dem Wagen, denn seinen eigenen Beinen kann man trauen, aber denen der Pferde nicht. So stand ich, in Koth und Regen, ohne mich zu rühren, bis es Gottlob sehr bald anfing zu dämmern. Und wo hielten wir? Dicht an der Heerser Tiefe und den Thurm von Heerse gerade unter uns. Wären wir noch zwanzig Schritte weiter gefahren, wir wären alle Kinder des Todes gewesen. — Das war in der That kein Spaß, versetzte der Gutsherr, halb versöhnt.

Er hatte unterdessen die mitgenommenen Papiere durchgesehen. Es waren Mahnbriefe um geliehene Gelder, die meisten von Wucherern. Ich hatte nicht gedacht, murmelte er, daß die Mergels so tief drin steckten. — Ja, und daß es so an den Tag kommen muß,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter">
        <pb facs="#f0062"/>
        <p>Beide schwiegen eine Weile. Mein Fuhrmann hatte sich in der Nacht verirrt, hob der      Amtsschreiber wieder an; über eine Stunde lang hielten wir im Walde; es war ein Mordwetter; ich      dachte, der Wind werde den Wagen umreißen. Endlich, als der Regen nachließ, fuhren wir in      Gottes Namen darauf los, immer in das Zellerfeld hinein, ohne eine Hand vor den Augen zu sehen.      Da sagte der Kutscher: wenn wir nur nicht den Steinbrüchen zu nahe kommen! Mir war selbst      bange; ich ließ halten und schlug Feuer, um wenigstens etwas Unterhaltung an meiner Pfeife zu      haben. Mit einem Male hörten wir ganz nah, perpendicular unter uns die Glocke schlagen. Ew.      Gnaden mögen glauben, daß mir fatal zu Muthe wurde. Ich sprang aus dem Wagen, denn seinen      eigenen Beinen kann man trauen, aber denen der Pferde nicht. So stand ich, in Koth und Regen,      ohne mich zu rühren, bis es Gottlob sehr bald anfing zu dämmern. Und wo hielten wir? Dicht an      der Heerser Tiefe und den Thurm von Heerse gerade unter uns. Wären wir noch zwanzig Schritte      weiter gefahren, wir wären alle Kinder des Todes gewesen. &#x2014; Das war in der That kein Spaß,      versetzte der Gutsherr, halb versöhnt.</p><lb/>
        <p>Er hatte unterdessen die mitgenommenen Papiere durchgesehen. Es waren Mahnbriefe um geliehene      Gelder, die meisten von Wucherern. Ich hatte nicht gedacht, murmelte er, daß die Mergels so      tief drin steckten. &#x2014; Ja, und daß es so an den Tag kommen muß,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0062] Beide schwiegen eine Weile. Mein Fuhrmann hatte sich in der Nacht verirrt, hob der Amtsschreiber wieder an; über eine Stunde lang hielten wir im Walde; es war ein Mordwetter; ich dachte, der Wind werde den Wagen umreißen. Endlich, als der Regen nachließ, fuhren wir in Gottes Namen darauf los, immer in das Zellerfeld hinein, ohne eine Hand vor den Augen zu sehen. Da sagte der Kutscher: wenn wir nur nicht den Steinbrüchen zu nahe kommen! Mir war selbst bange; ich ließ halten und schlug Feuer, um wenigstens etwas Unterhaltung an meiner Pfeife zu haben. Mit einem Male hörten wir ganz nah, perpendicular unter uns die Glocke schlagen. Ew. Gnaden mögen glauben, daß mir fatal zu Muthe wurde. Ich sprang aus dem Wagen, denn seinen eigenen Beinen kann man trauen, aber denen der Pferde nicht. So stand ich, in Koth und Regen, ohne mich zu rühren, bis es Gottlob sehr bald anfing zu dämmern. Und wo hielten wir? Dicht an der Heerser Tiefe und den Thurm von Heerse gerade unter uns. Wären wir noch zwanzig Schritte weiter gefahren, wir wären alle Kinder des Todes gewesen. — Das war in der That kein Spaß, versetzte der Gutsherr, halb versöhnt. Er hatte unterdessen die mitgenommenen Papiere durchgesehen. Es waren Mahnbriefe um geliehene Gelder, die meisten von Wucherern. Ich hatte nicht gedacht, murmelte er, daß die Mergels so tief drin steckten. — Ja, und daß es so an den Tag kommen muß,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-14T14:10:05Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-14T14:10:05Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/droste_judenbuche_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/droste_judenbuche_1910/62
Zitationshilfe: Droste-Hülshoff, Annette von: Die Judenbuche. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 24. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 51–128. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droste_judenbuche_1910/62>, abgerufen am 21.11.2024.