Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833].

Bild:
<< vorherige Seite

Gleiche Milde bewies Alexander gegen die Griechen, welche,
durch Thebens Abfall und die Bemühungen der von Demosthenes
geleiteten Coalition verführt, die Verträge von Korinth so lange
misachtet hatten, als Alexanders Entfernung und das Gerücht von
seinem Tode das Gefühl ihrer Ohnmacht mit blinden Hoffnungen
und gedankenlosem Freiheitstaumel übertäubt hatte. Jetzt eilten die
Eleer, alle Anhänger Alexanders, die sie verbannt hatten, wieder
heimzuführen; die Arkadier riefen ihre Kriegsschaaren vom Isth-
mus zurück, und verdammten die zum Tode, die zu diesem Hülfs-
zuge gegen Alexander aufgemuntert hatten; die einzelnen Stämme
der Aetolier schickten Gesandte an den König und baten um Ver-
zeihung für das, was bei ihnen geschehen sei. Die Athener hatten
sich am lebhaftesten für Theben ausgesprochen; sie erniedrigten sich
am tiefsten, um Alexanders Zorn von sich abzuwenden. Sie feier-
ten gerade die großen Mysterien (im Anfang September), als ei-
nige Flüchtlinge die Nachricht von dem Falle der Stadt brachten;
in höchster Bestürzung wurde die Feier unterbrochen, alles beweg-
liche Gut vom Lande in die Mauern der Stadt geflüchtet, dann
eine Versammlung gehalten, die auf Demades Vorschlag beschloß,
an Alexander eine Gesandtschaft von zehn Macedonisch gesinnten
Männern zu senden, um ihm wegen seiner glücklichen Rückkehr aus
dem Triballerlande und dem Illyrischen Kriege, so wie über die Unter-
drückung und gerechte Bestrafung des Aufruhrs in Theben Glück zu
wünschen, zugleich aber um die Vergünstigung zu bitten, daß ihre
Stadt ihren alten Ruhm der Gastfreundschaft und Barmherzigkeit
auch an den Thebanischen Flüchtlingen bewähren dürfe. Huldreich
war des Königs Bescheid, nur forderte er die Auslieferung des De-
mosthenes, Lykurgus, Charidemus, Ephialtes und einiger anderen
Demagogen, die mit dem Perserkönige in offenbarer Verbindung
und die Anstifter und Beförderer der letzten Unruhen in Griechen-
land gewesen waren; denn diese seien nicht bloß die Ursache der
Niederlage, die Athen bei Chäronea erlitten, sondern auch aller
der Unbilden, die man nach Philipps Tode sich gegen sein Anden-
ken und seinen rechtmäßigen Nachfolger erlaubt habe; ja den Fall
Thebens hätten sie nicht minder verschuldet, als die Unruhestifter in
Theben selbst. Die Forderung Alexanders veranlaßte die heftigsten
Erörterungen in der Volksversammlung zu Athen; Demosthenes

Gleiche Milde bewies Alexander gegen die Griechen, welche,
durch Thebens Abfall und die Bemühungen der von Demoſthenes
geleiteten Coalition verführt, die Verträge von Korinth ſo lange
misachtet hatten, als Alexanders Entfernung und das Gerücht von
ſeinem Tode das Gefühl ihrer Ohnmacht mit blinden Hoffnungen
und gedankenloſem Freiheitstaumel übertäubt hatte. Jetzt eilten die
Eleer, alle Anhänger Alexanders, die ſie verbannt hatten, wieder
heimzuführen; die Arkadier riefen ihre Kriegsſchaaren vom Iſth-
mus zurück, und verdammten die zum Tode, die zu dieſem Hülfs-
zuge gegen Alexander aufgemuntert hatten; die einzelnen Stämme
der Aetolier ſchickten Geſandte an den König und baten um Ver-
zeihung für das, was bei ihnen geſchehen ſei. Die Athener hatten
ſich am lebhafteſten für Theben ausgeſprochen; ſie erniedrigten ſich
am tiefſten, um Alexanders Zorn von ſich abzuwenden. Sie feier-
ten gerade die großen Myſterien (im Anfang September), als ei-
nige Flüchtlinge die Nachricht von dem Falle der Stadt brachten;
in höchſter Beſtürzung wurde die Feier unterbrochen, alles beweg-
liche Gut vom Lande in die Mauern der Stadt geflüchtet, dann
eine Verſammlung gehalten, die auf Demades Vorſchlag beſchloß,
an Alexander eine Geſandtſchaft von zehn Macedoniſch geſinnten
Männern zu ſenden, um ihm wegen ſeiner glücklichen Rückkehr aus
dem Triballerlande und dem Illyriſchen Kriege, ſo wie über die Unter-
drückung und gerechte Beſtrafung des Aufruhrs in Theben Glück zu
wünſchen, zugleich aber um die Vergünſtigung zu bitten, daß ihre
Stadt ihren alten Ruhm der Gaſtfreundſchaft und Barmherzigkeit
auch an den Thebaniſchen Flüchtlingen bewähren dürfe. Huldreich
war des Königs Beſcheid, nur forderte er die Auslieferung des De-
moſthenes, Lykurgus, Charidemus, Ephialtes und einiger anderen
Demagogen, die mit dem Perſerkönige in offenbarer Verbindung
und die Anſtifter und Beförderer der letzten Unruhen in Griechen-
land geweſen waren; denn dieſe ſeien nicht bloß die Urſache der
Niederlage, die Athen bei Chäronea erlitten, ſondern auch aller
der Unbilden, die man nach Philipps Tode ſich gegen ſein Anden-
ken und ſeinen rechtmäßigen Nachfolger erlaubt habe; ja den Fall
Thebens hätten ſie nicht minder verſchuldet, als die Unruheſtifter in
Theben ſelbſt. Die Forderung Alexanders veranlaßte die heftigſten
Erörterungen in der Volksverſammlung zu Athen; Demoſthenes

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0102" n="88"/>
          <p>Gleiche Milde bewies Alexander gegen die Griechen, welche,<lb/>
durch Thebens Abfall und die Bemühungen der von Demo&#x017F;thenes<lb/>
geleiteten Coalition verführt, die Verträge von Korinth &#x017F;o lange<lb/>
misachtet hatten, als Alexanders Entfernung und das Gerücht von<lb/>
&#x017F;einem Tode das Gefühl ihrer Ohnmacht mit blinden Hoffnungen<lb/>
und gedankenlo&#x017F;em Freiheitstaumel übertäubt hatte. Jetzt eilten die<lb/>
Eleer, alle Anhänger Alexanders, die &#x017F;ie verbannt hatten, wieder<lb/>
heimzuführen; die Arkadier riefen ihre Kriegs&#x017F;chaaren vom I&#x017F;th-<lb/>
mus zurück, und verdammten die zum Tode, die zu die&#x017F;em Hülfs-<lb/>
zuge gegen Alexander aufgemuntert hatten; die einzelnen Stämme<lb/>
der Aetolier &#x017F;chickten Ge&#x017F;andte an den König und baten um Ver-<lb/>
zeihung für das, was bei ihnen ge&#x017F;chehen &#x017F;ei. Die Athener hatten<lb/>
&#x017F;ich am lebhafte&#x017F;ten für Theben ausge&#x017F;prochen; &#x017F;ie erniedrigten &#x017F;ich<lb/>
am tief&#x017F;ten, um Alexanders Zorn von &#x017F;ich abzuwenden. Sie feier-<lb/>
ten gerade die großen My&#x017F;terien (im Anfang September), als ei-<lb/>
nige Flüchtlinge die Nachricht von dem Falle der Stadt brachten;<lb/>
in höch&#x017F;ter Be&#x017F;türzung wurde die Feier unterbrochen, alles beweg-<lb/>
liche Gut vom Lande in die Mauern der Stadt geflüchtet, dann<lb/>
eine Ver&#x017F;ammlung gehalten, die auf Demades Vor&#x017F;chlag be&#x017F;chloß,<lb/>
an Alexander eine Ge&#x017F;andt&#x017F;chaft von zehn Macedoni&#x017F;ch ge&#x017F;innten<lb/>
Männern zu &#x017F;enden, um ihm wegen &#x017F;einer glücklichen Rückkehr aus<lb/>
dem Triballerlande und dem Illyri&#x017F;chen Kriege, &#x017F;o wie über die Unter-<lb/>
drückung und gerechte Be&#x017F;trafung des Aufruhrs in Theben Glück zu<lb/>
wün&#x017F;chen, zugleich aber um die Vergün&#x017F;tigung zu bitten, daß ihre<lb/>
Stadt ihren alten Ruhm der Ga&#x017F;tfreund&#x017F;chaft und Barmherzigkeit<lb/>
auch an den Thebani&#x017F;chen Flüchtlingen bewähren dürfe. Huldreich<lb/>
war des Königs Be&#x017F;cheid, nur forderte er die Auslieferung des De-<lb/>
mo&#x017F;thenes, Lykurgus, Charidemus, Ephialtes und einiger anderen<lb/>
Demagogen, die mit dem Per&#x017F;erkönige in offenbarer Verbindung<lb/>
und die An&#x017F;tifter und Beförderer der letzten Unruhen in Griechen-<lb/>
land gewe&#x017F;en waren; denn die&#x017F;e &#x017F;eien nicht bloß die Ur&#x017F;ache der<lb/>
Niederlage, die Athen bei Chäronea erlitten, &#x017F;ondern auch aller<lb/>
der Unbilden, die man nach Philipps Tode &#x017F;ich gegen &#x017F;ein Anden-<lb/>
ken und &#x017F;einen rechtmäßigen Nachfolger erlaubt habe; ja den Fall<lb/>
Thebens hätten &#x017F;ie nicht minder ver&#x017F;chuldet, als die Unruhe&#x017F;tifter in<lb/>
Theben &#x017F;elb&#x017F;t. Die Forderung Alexanders veranlaßte die heftig&#x017F;ten<lb/>
Erörterungen in der Volksver&#x017F;ammlung zu Athen; Demo&#x017F;thenes<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[88/0102] Gleiche Milde bewies Alexander gegen die Griechen, welche, durch Thebens Abfall und die Bemühungen der von Demoſthenes geleiteten Coalition verführt, die Verträge von Korinth ſo lange misachtet hatten, als Alexanders Entfernung und das Gerücht von ſeinem Tode das Gefühl ihrer Ohnmacht mit blinden Hoffnungen und gedankenloſem Freiheitstaumel übertäubt hatte. Jetzt eilten die Eleer, alle Anhänger Alexanders, die ſie verbannt hatten, wieder heimzuführen; die Arkadier riefen ihre Kriegsſchaaren vom Iſth- mus zurück, und verdammten die zum Tode, die zu dieſem Hülfs- zuge gegen Alexander aufgemuntert hatten; die einzelnen Stämme der Aetolier ſchickten Geſandte an den König und baten um Ver- zeihung für das, was bei ihnen geſchehen ſei. Die Athener hatten ſich am lebhafteſten für Theben ausgeſprochen; ſie erniedrigten ſich am tiefſten, um Alexanders Zorn von ſich abzuwenden. Sie feier- ten gerade die großen Myſterien (im Anfang September), als ei- nige Flüchtlinge die Nachricht von dem Falle der Stadt brachten; in höchſter Beſtürzung wurde die Feier unterbrochen, alles beweg- liche Gut vom Lande in die Mauern der Stadt geflüchtet, dann eine Verſammlung gehalten, die auf Demades Vorſchlag beſchloß, an Alexander eine Geſandtſchaft von zehn Macedoniſch geſinnten Männern zu ſenden, um ihm wegen ſeiner glücklichen Rückkehr aus dem Triballerlande und dem Illyriſchen Kriege, ſo wie über die Unter- drückung und gerechte Beſtrafung des Aufruhrs in Theben Glück zu wünſchen, zugleich aber um die Vergünſtigung zu bitten, daß ihre Stadt ihren alten Ruhm der Gaſtfreundſchaft und Barmherzigkeit auch an den Thebaniſchen Flüchtlingen bewähren dürfe. Huldreich war des Königs Beſcheid, nur forderte er die Auslieferung des De- moſthenes, Lykurgus, Charidemus, Ephialtes und einiger anderen Demagogen, die mit dem Perſerkönige in offenbarer Verbindung und die Anſtifter und Beförderer der letzten Unruhen in Griechen- land geweſen waren; denn dieſe ſeien nicht bloß die Urſache der Niederlage, die Athen bei Chäronea erlitten, ſondern auch aller der Unbilden, die man nach Philipps Tode ſich gegen ſein Anden- ken und ſeinen rechtmäßigen Nachfolger erlaubt habe; ja den Fall Thebens hätten ſie nicht minder verſchuldet, als die Unruheſtifter in Theben ſelbſt. Die Forderung Alexanders veranlaßte die heftigſten Erörterungen in der Volksverſammlung zu Athen; Demoſthenes

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_alexander_1833
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_alexander_1833/102
Zitationshilfe: Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833], S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_alexander_1833/102>, abgerufen am 21.11.2024.