nicht; er wurde geliebt, nicht gefürchtet, und bald sollte sich zeigen, wie den Großen des Reiches ihr eigener Vortheil höher galt, als die Gunst und die Vertheidigung eines Herrn, an dem sie Alles, nur nicht Herrschergröße bewunderten.
Darius Reich erstreckte sich vom Indus bis zum Hellenischen Meere, vom Jaxartes bis zur Libyschen Wüste. Seine oder viel- mehr seiner Satrapen Herrschaft war nicht nach dem Charakter der verschiedenen Völker, über die sie herrschten, verschieden; sie war nirgends volksthümlich, nirgends durch eine von ihr ausgehende Or- ganisation gesichert, sie beschränkte sich auf momentane Willkühr, auf stete Erpressungen, und auf eine Art Erblichkeit, wie sie, ganz gegen den Sinn einer despotischen Herrschaft, unter den schwachen Fürsten üblich geworden war, so daß der Großkönig kaum noch eine andere Gewalt über sie hatte, als die der Waffen oder die, welche sie aus persönlichen Rücksichten anerkennen mochten. Die volksthümlichen Zustände, welche in allen Ländern des Persischen Reiches fortbestanden, machten den morschen Koloß nur noch unfä- higer, sich zur Gegenwehr zu erheben; die Völker von Iran, Tu- ran und Ariana waren allerdings kriegerisch, und mit jeder Art von Herrschaft glücklich, so lange sie diese zu Krieg und Plünderung führte, und Hyrkanische, Baktrische, Sogdianische Reuter bildeten die stehenden Satrapenheere in den meisten Provinzen; aber beson- dere Anhänglichkeit für das Persische Königthum war keinesweges bei ihnen zu finden, und so furchtbar sie einst in den Völkerheeren des Cyrus und Cambyses zum Angriff gewesen waren, eben so un- fähig waren sie zur ernsten und gehaltenen Vertheidigung, zumal wenn sie Griechische Kriegskunst und Tapferkeit gegenüber hatten. Die westlichen Völker gar, stets nur durch Gewalt und oft mit Mühe in Unterwürfigkeit gehalten, waren, wenn ein siegreicher Feind ihren Grenzen nahete, gewiß bereit, die Persische Sache zu verlassen; kaum waren die Griechen der Kleinasiatischen Küste durch Tyrannen, deren Existenz von der Macht der Satrapen und des Reiches abhing, in Abhängigkeit zu erhalten, und die Völker im Inneren der Halbinsel hatten, seit zwei Jahrhunderten im härtesten Druck, weder die Kraft noch das Interesse, sich für Persien zu er- heben; selbst an den früheren Empörungen der Kleinasiatischen Sa- trapien hatten sie nicht Theil genommen, sie waren stumpf, träge
nicht; er wurde geliebt, nicht gefürchtet, und bald ſollte ſich zeigen, wie den Großen des Reiches ihr eigener Vortheil höher galt, als die Gunſt und die Vertheidigung eines Herrn, an dem ſie Alles, nur nicht Herrſchergröße bewunderten.
Darius Reich erſtreckte ſich vom Indus bis zum Helleniſchen Meere, vom Jaxartes bis zur Libyſchen Wüſte. Seine oder viel- mehr ſeiner Satrapen Herrſchaft war nicht nach dem Charakter der verſchiedenen Völker, über die ſie herrſchten, verſchieden; ſie war nirgends volksthümlich, nirgends durch eine von ihr ausgehende Or- ganiſation geſichert, ſie beſchränkte ſich auf momentane Willkühr, auf ſtete Erpreſſungen, und auf eine Art Erblichkeit, wie ſie, ganz gegen den Sinn einer despotiſchen Herrſchaft, unter den ſchwachen Fürſten üblich geworden war, ſo daß der Großkönig kaum noch eine andere Gewalt über ſie hatte, als die der Waffen oder die, welche ſie aus perſönlichen Rückſichten anerkennen mochten. Die volksthümlichen Zuſtände, welche in allen Ländern des Perſiſchen Reiches fortbeſtanden, machten den morſchen Koloß nur noch unfä- higer, ſich zur Gegenwehr zu erheben; die Völker von Iran, Tu- ran und Ariana waren allerdings kriegeriſch, und mit jeder Art von Herrſchaft glücklich, ſo lange ſie dieſe zu Krieg und Plünderung führte, und Hyrkaniſche, Baktriſche, Sogdianiſche Reuter bildeten die ſtehenden Satrapenheere in den meiſten Provinzen; aber beſon- dere Anhänglichkeit für das Perſiſche Königthum war keinesweges bei ihnen zu finden, und ſo furchtbar ſie einſt in den Völkerheeren des Cyrus und Cambyſes zum Angriff geweſen waren, eben ſo un- fähig waren ſie zur ernſten und gehaltenen Vertheidigung, zumal wenn ſie Griechiſche Kriegskunſt und Tapferkeit gegenüber hatten. Die weſtlichen Völker gar, ſtets nur durch Gewalt und oft mit Mühe in Unterwürfigkeit gehalten, waren, wenn ein ſiegreicher Feind ihren Grenzen nahete, gewiß bereit, die Perſiſche Sache zu verlaſſen; kaum waren die Griechen der Kleinaſiatiſchen Küſte durch Tyrannen, deren Exiſtenz von der Macht der Satrapen und des Reiches abhing, in Abhängigkeit zu erhalten, und die Völker im Inneren der Halbinſel hatten, ſeit zwei Jahrhunderten im härteſten Druck, weder die Kraft noch das Intereſſe, ſich für Perſien zu er- heben; ſelbſt an den früheren Empörungen der Kleinaſiatiſchen Sa- trapien hatten ſie nicht Theil genommen, ſie waren ſtumpf, träge
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nicht; er wurde geliebt, nicht gefürchtet, und bald ſollte ſich zeigen,
wie den Großen des Reiches ihr eigener Vortheil höher galt, als
die Gunſt und die Vertheidigung eines Herrn, an dem ſie Alles,
nur nicht Herrſchergröße bewunderten.
Darius Reich erſtreckte ſich vom Indus bis zum Helleniſchen
Meere, vom Jaxartes bis zur Libyſchen Wüſte. Seine oder viel-
mehr ſeiner Satrapen Herrſchaft war nicht nach dem Charakter der
verſchiedenen Völker, über die ſie herrſchten, verſchieden; ſie war
nirgends volksthümlich, nirgends durch eine von ihr ausgehende Or-
ganiſation geſichert, ſie beſchränkte ſich auf momentane Willkühr,
auf ſtete Erpreſſungen, und auf eine Art Erblichkeit, wie ſie, ganz
gegen den Sinn einer despotiſchen Herrſchaft, unter den ſchwachen
Fürſten üblich geworden war, ſo daß der Großkönig kaum noch
eine andere Gewalt über ſie hatte, als die der Waffen oder die,
welche ſie aus perſönlichen Rückſichten anerkennen mochten. Die
volksthümlichen Zuſtände, welche in allen Ländern des Perſiſchen
Reiches fortbeſtanden, machten den morſchen Koloß nur noch unfä-
higer, ſich zur Gegenwehr zu erheben; die Völker von Iran, Tu-
ran und Ariana waren allerdings kriegeriſch, und mit jeder Art
von Herrſchaft glücklich, ſo lange ſie dieſe zu Krieg und Plünderung
führte, und Hyrkaniſche, Baktriſche, Sogdianiſche Reuter bildeten
die ſtehenden Satrapenheere in den meiſten Provinzen; aber beſon-
dere Anhänglichkeit für das Perſiſche Königthum war keinesweges
bei ihnen zu finden, und ſo furchtbar ſie einſt in den Völkerheeren
des Cyrus und Cambyſes zum Angriff geweſen waren, eben ſo un-
fähig waren ſie zur ernſten und gehaltenen Vertheidigung, zumal
wenn ſie Griechiſche Kriegskunſt und Tapferkeit gegenüber hatten.
Die weſtlichen Völker gar, ſtets nur durch Gewalt und oft mit
Mühe in Unterwürfigkeit gehalten, waren, wenn ein ſiegreicher
Feind ihren Grenzen nahete, gewiß bereit, die Perſiſche Sache zu
verlaſſen; kaum waren die Griechen der Kleinaſiatiſchen Küſte durch
Tyrannen, deren Exiſtenz von der Macht der Satrapen und des
Reiches abhing, in Abhängigkeit zu erhalten, und die Völker im
Inneren der Halbinſel hatten, ſeit zwei Jahrhunderten im härteſten
Druck, weder die Kraft noch das Intereſſe, ſich für Perſien zu er-
heben; ſelbſt an den früheren Empörungen der Kleinaſiatiſchen Sa-
trapien hatten ſie nicht Theil genommen, ſie waren ſtumpf, träge
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Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833], S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_alexander_1833/117>, abgerufen am 21.11.2024.
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