denke er nach Hellas zurückzukehren, und durch den Hellespont und den Bosporus in den Pontus mit seiner ganzen Macht einzudrin- gen; bis auf diese Zeit möge Pharasmanes das, was er jetzt anbiete, aufschieben; für jetzt schloß der König mit ihm Freund- schaft und Bündniß, empfahl ihn den Satrapen von Baktrien, Par- thien und Arien, und entließ ihn mit allen Zeichen seines Wohlwollens.
Indeß gestatteten die Verhältnisse noch keinesweges, den In- dischen Feldzug zu beginnen; Sogdiana war zwar unterworfen und verheert worden, aber das strenge Strafgericht, das Alexander über das unglückliche Land verhängt hatte, weit entfernt, die Ge- müther zu beruhigen, schien nach einer kurzen Betäubung allgemeine Wuth hervorgebracht zu haben; bei Tausenden waren die Einwoh- ner in die ummauerten Plätze, in die Berge, in die Bergschlösser der Häuptlinge im obern Lande und in den Oxianischen Grenzgebirgen geflüchtet; überall, wo die Natur Schutz bot, lagen Banden von Geflüchteten, um so gefährlicher, je hoffnungsloser ihre Sache war 61). Der Statthalter Peukolaus vermochte nicht, mit seinen dreitausend Mann die Ordnung aufrecht zu erhalten und das platte Land zu schützen, von allen Seiten her bildeten sich die Massen einer förm- lichen Insurrektion, und es schien nur ein Anführer zu fehlen, der die Abwesenheit Alexanders benutzte. Spitamenes, der, nach dem Ueberfall am Polytimetus zu urtheilen, nicht ohne militärisches Ge- schick war, scheint, ins Land der Massageten geflüchtet, ohne weitere Verbindung mit diesem zweiten Abfall seines Chanates gewesen zu sein; wenigstens wäre sonst nicht zu begreifen, warum er nicht frü- her mit seinen Scythen herbei eilte. Denn daß Alexander den Auf- stand sich so weit entwickeln ließ, ehe er ihn zu unterdrücken eilte, war ein Zeichen, daß für den Augenblick seine Streitkräfte nicht so angethan waren, um diese kühnen und zahlreichen Feinde in ih- ren Bergen aufzusuchen; nach der Besetzung von Alexandria in Ara- chosien, am Paropamisus und Tanais konnten kaum mehr als zehn tausend Mann disponibel sein. Erst im Laufe des Winters waren bedeutende Verstärkungen aus dem Abendlande eingetroffen. Unter Nearch, dem Statthalter der Südküste Kleinasiens, waren acht tau-
61)Arrian. IV. 15.
denke er nach Hellas zuruͤckzukehren, und durch den Hellespont und den Bosporus in den Pontus mit ſeiner ganzen Macht einzudrin- gen; bis auf dieſe Zeit moͤge Pharasmanes das, was er jetzt anbiete, aufſchieben; fuͤr jetzt ſchloß der Koͤnig mit ihm Freund- ſchaft und Buͤndniß, empfahl ihn den Satrapen von Baktrien, Par- thien und Arien, und entließ ihn mit allen Zeichen ſeines Wohlwollens.
Indeß geſtatteten die Verhaͤltniſſe noch keinesweges, den In- diſchen Feldzug zu beginnen; Sogdiana war zwar unterworfen und verheert worden, aber das ſtrenge Strafgericht, das Alexander uͤber das ungluͤckliche Land verhaͤngt hatte, weit entfernt, die Ge- muͤther zu beruhigen, ſchien nach einer kurzen Betaͤubung allgemeine Wuth hervorgebracht zu haben; bei Tauſenden waren die Einwoh- ner in die ummauerten Plaͤtze, in die Berge, in die Bergſchloͤſſer der Haͤuptlinge im obern Lande und in den Oxianiſchen Grenzgebirgen gefluͤchtet; uͤberall, wo die Natur Schutz bot, lagen Banden von Gefluͤchteten, um ſo gefaͤhrlicher, je hoffnungsloſer ihre Sache war 61). Der Statthalter Peukolaus vermochte nicht, mit ſeinen dreitauſend Mann die Ordnung aufrecht zu erhalten und das platte Land zu ſchuͤtzen, von allen Seiten her bildeten ſich die Maſſen einer foͤrm- lichen Inſurrektion, und es ſchien nur ein Anfuͤhrer zu fehlen, der die Abweſenheit Alexanders benutzte. Spitamenes, der, nach dem Ueberfall am Polytimetus zu urtheilen, nicht ohne militaͤriſches Ge- ſchick war, ſcheint, ins Land der Maſſageten gefluͤchtet, ohne weitere Verbindung mit dieſem zweiten Abfall ſeines Chanates geweſen zu ſein; wenigſtens waͤre ſonſt nicht zu begreifen, warum er nicht fruͤ- her mit ſeinen Scythen herbei eilte. Denn daß Alexander den Auf- ſtand ſich ſo weit entwickeln ließ, ehe er ihn zu unterdruͤcken eilte, war ein Zeichen, daß fuͤr den Augenblick ſeine Streitkraͤfte nicht ſo angethan waren, um dieſe kuͤhnen und zahlreichen Feinde in ih- ren Bergen aufzuſuchen; nach der Beſetzung von Alexandria in Ara- choſien, am Paropamiſus und Tanais konnten kaum mehr als zehn tauſend Mann disponibel ſein. Erſt im Laufe des Winters waren bedeutende Verſtaͤrkungen aus dem Abendlande eingetroffen. Unter Nearch, dem Statthalter der Suͤdkuͤſte Kleinaſiens, waren acht tau-
61)Arrian. IV. 15.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0344"n="330"/>
denke er nach Hellas zuruͤckzukehren, und durch den Hellespont und<lb/>
den Bosporus in den Pontus mit ſeiner ganzen Macht einzudrin-<lb/>
gen; bis auf dieſe Zeit moͤge Pharasmanes das, was er jetzt<lb/>
anbiete, aufſchieben; fuͤr jetzt ſchloß der Koͤnig mit ihm Freund-<lb/>ſchaft und Buͤndniß, empfahl ihn den Satrapen von Baktrien, Par-<lb/>
thien und Arien, und entließ ihn mit allen Zeichen ſeines Wohlwollens.</p><lb/><p>Indeß geſtatteten die Verhaͤltniſſe noch keinesweges, den In-<lb/>
diſchen Feldzug zu beginnen; Sogdiana war zwar unterworfen und<lb/>
verheert worden, aber das ſtrenge Strafgericht, das Alexander<lb/>
uͤber das ungluͤckliche Land verhaͤngt hatte, weit entfernt, die Ge-<lb/>
muͤther zu beruhigen, ſchien nach einer kurzen Betaͤubung allgemeine<lb/>
Wuth hervorgebracht zu haben; bei Tauſenden waren die Einwoh-<lb/>
ner in die ummauerten Plaͤtze, in die Berge, in die Bergſchloͤſſer<lb/>
der Haͤuptlinge im obern Lande und in den Oxianiſchen Grenzgebirgen<lb/>
gefluͤchtet; uͤberall, wo die Natur Schutz bot, lagen Banden von<lb/>
Gefluͤchteten, um ſo gefaͤhrlicher, je hoffnungsloſer ihre Sache war <noteplace="foot"n="61)"><hirendition="#aq">Arrian. IV.</hi> 15.</note>.<lb/>
Der Statthalter Peukolaus vermochte nicht, mit ſeinen dreitauſend<lb/>
Mann die Ordnung aufrecht zu erhalten und das platte Land zu<lb/>ſchuͤtzen, von allen Seiten her bildeten ſich die Maſſen einer foͤrm-<lb/>
lichen Inſurrektion, und es ſchien nur ein Anfuͤhrer zu fehlen, der<lb/>
die Abweſenheit Alexanders benutzte. Spitamenes, der, nach dem<lb/>
Ueberfall am Polytimetus zu urtheilen, nicht ohne militaͤriſches Ge-<lb/>ſchick war, ſcheint, ins Land der Maſſageten gefluͤchtet, ohne weitere<lb/>
Verbindung mit dieſem zweiten Abfall ſeines Chanates geweſen zu<lb/>ſein; wenigſtens waͤre ſonſt nicht zu begreifen, warum er nicht fruͤ-<lb/>
her mit ſeinen Scythen herbei eilte. Denn daß Alexander den Auf-<lb/>ſtand ſich ſo weit entwickeln ließ, ehe er ihn zu unterdruͤcken eilte,<lb/>
war ein Zeichen, daß fuͤr den Augenblick ſeine Streitkraͤfte nicht<lb/>ſo angethan waren, um dieſe kuͤhnen und zahlreichen Feinde in ih-<lb/>
ren Bergen aufzuſuchen; nach der Beſetzung von Alexandria in Ara-<lb/>
choſien, am Paropamiſus und Tanais konnten kaum mehr als zehn<lb/>
tauſend Mann disponibel ſein. Erſt im Laufe des Winters waren<lb/>
bedeutende Verſtaͤrkungen aus dem Abendlande eingetroffen. Unter<lb/>
Nearch, dem Statthalter der Suͤdkuͤſte Kleinaſiens, waren acht tau-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[330/0344]
denke er nach Hellas zuruͤckzukehren, und durch den Hellespont und
den Bosporus in den Pontus mit ſeiner ganzen Macht einzudrin-
gen; bis auf dieſe Zeit moͤge Pharasmanes das, was er jetzt
anbiete, aufſchieben; fuͤr jetzt ſchloß der Koͤnig mit ihm Freund-
ſchaft und Buͤndniß, empfahl ihn den Satrapen von Baktrien, Par-
thien und Arien, und entließ ihn mit allen Zeichen ſeines Wohlwollens.
Indeß geſtatteten die Verhaͤltniſſe noch keinesweges, den In-
diſchen Feldzug zu beginnen; Sogdiana war zwar unterworfen und
verheert worden, aber das ſtrenge Strafgericht, das Alexander
uͤber das ungluͤckliche Land verhaͤngt hatte, weit entfernt, die Ge-
muͤther zu beruhigen, ſchien nach einer kurzen Betaͤubung allgemeine
Wuth hervorgebracht zu haben; bei Tauſenden waren die Einwoh-
ner in die ummauerten Plaͤtze, in die Berge, in die Bergſchloͤſſer
der Haͤuptlinge im obern Lande und in den Oxianiſchen Grenzgebirgen
gefluͤchtet; uͤberall, wo die Natur Schutz bot, lagen Banden von
Gefluͤchteten, um ſo gefaͤhrlicher, je hoffnungsloſer ihre Sache war 61).
Der Statthalter Peukolaus vermochte nicht, mit ſeinen dreitauſend
Mann die Ordnung aufrecht zu erhalten und das platte Land zu
ſchuͤtzen, von allen Seiten her bildeten ſich die Maſſen einer foͤrm-
lichen Inſurrektion, und es ſchien nur ein Anfuͤhrer zu fehlen, der
die Abweſenheit Alexanders benutzte. Spitamenes, der, nach dem
Ueberfall am Polytimetus zu urtheilen, nicht ohne militaͤriſches Ge-
ſchick war, ſcheint, ins Land der Maſſageten gefluͤchtet, ohne weitere
Verbindung mit dieſem zweiten Abfall ſeines Chanates geweſen zu
ſein; wenigſtens waͤre ſonſt nicht zu begreifen, warum er nicht fruͤ-
her mit ſeinen Scythen herbei eilte. Denn daß Alexander den Auf-
ſtand ſich ſo weit entwickeln ließ, ehe er ihn zu unterdruͤcken eilte,
war ein Zeichen, daß fuͤr den Augenblick ſeine Streitkraͤfte nicht
ſo angethan waren, um dieſe kuͤhnen und zahlreichen Feinde in ih-
ren Bergen aufzuſuchen; nach der Beſetzung von Alexandria in Ara-
choſien, am Paropamiſus und Tanais konnten kaum mehr als zehn
tauſend Mann disponibel ſein. Erſt im Laufe des Winters waren
bedeutende Verſtaͤrkungen aus dem Abendlande eingetroffen. Unter
Nearch, dem Statthalter der Suͤdkuͤſte Kleinaſiens, waren acht tau-
61) Arrian. IV. 15.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833], S. 330. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_alexander_1833/344>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.