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Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833].

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Auf diese Weise war Alles dem großen Plane des Königs
gemäß organisirt, zu dessen Vollendung nur noch Eins, aber frei-
lich auch das Schwierigste und Gefahrvollste übrig war, nemlich
die Entdeckung des Seeweges selbst, der hinfort den Indus und
Euphrat verbinden sollte. Betrachtet man den Zustand der da-
maligen Schifffarth und Erdkunde, so wird man der Kühnheit ei-
nes solchen Planes Gerechtigkeit widerfahren lassen. Der Bau
der Schiffe war unvollkommen und am wenigsten auf die Eigen-
thümlichkeit Oceanischer Gewässer berechnet; das einzige Regulativ
einer Seefahrt waren die Gestirne und die Seeküste, deren Nähe
natürlich oft gefährlich werden mußte; die Einbildungskraft der
Griechen bevölkerte den Ocean mit Wundern und Ungeheuern al-
ler Art, und die Macedonier, unerschrocken und tapfer, wo sie
dem Feinde ins Auge sahen, waren gegen das falsche Element ohne
Waffe und nicht ohne Furcht; und wer endlich sollte die Führung
übernehmen? Alexander selbst, kühn genug zum kühnsten Wagniß,
und selbst bereit, dem Ocean den Sieg abzutrotzen, durfte sich um
so weniger an die Spitze der Flotte stellen, da im Reiche schon
während seiner Indischen Feldzüge manche Unordnungen vorgefal-
len waren, die dringend seine Rückkehr forderten; der Landweg
nach Persien war schwierig und die Macedonischen Landtruppen
bedurften, um diese öden und furchtbaren Gegenden zu durchzie-

des Armes von Lonee Moorland, in das sich mehrere Flüsse von
Osten her ergießen, und das in der Jahreszeit der Südwest-Mus-
sons ein vollkommener See wird, Aranya oder kürzer Rin genannt.
Von ihm aus führt ein breiter Ausfluß in den Meerbusen von
Kutsch. Dieß dürfte die von Alexander besuchte Gegend sein; und
wenn Nearch bei Strabo die Basis des Indusdelta auf 1800 Sta-
dien (45 Meilen) angiebt, so trifft dieß mit überraschender Ge-
nauigkeit mit unseren Karten überein, wenn man von der großen
Indusmündung bis zu der Mündung des Sumpfes mißt. In Ar-
rians Periplus wird der Meerbusen von Barace als gefährlich und
in seiner Einfurth voll Sandbänke bezeichnet, und hinzu gefügt,
daß ihn das Land südwärts, gen Osten, dann gen Westen umschließe;
vielleicht ist sein Irinus der See, den Alexander beschiffte, und der
der gräcisirte Aranya (Tod Rajastan II. p. 295.) zu sein scheint.

Auf dieſe Weiſe war Alles dem großen Plane des Koͤnigs
gemaͤß organiſirt, zu deſſen Vollendung nur noch Eins, aber frei-
lich auch das Schwierigſte und Gefahrvollſte uͤbrig war, nemlich
die Entdeckung des Seeweges ſelbſt, der hinfort den Indus und
Euphrat verbinden ſollte. Betrachtet man den Zuſtand der da-
maligen Schifffarth und Erdkunde, ſo wird man der Kuͤhnheit ei-
nes ſolchen Planes Gerechtigkeit widerfahren laſſen. Der Bau
der Schiffe war unvollkommen und am wenigſten auf die Eigen-
thuͤmlichkeit Oceaniſcher Gewaͤſſer berechnet; das einzige Regulativ
einer Seefahrt waren die Geſtirne und die Seekuͤſte, deren Naͤhe
natuͤrlich oft gefaͤhrlich werden mußte; die Einbildungskraft der
Griechen bevoͤlkerte den Ocean mit Wundern und Ungeheuern al-
ler Art, und die Macedonier, unerſchrocken und tapfer, wo ſie
dem Feinde ins Auge ſahen, waren gegen das falſche Element ohne
Waffe und nicht ohne Furcht; und wer endlich ſollte die Fuͤhrung
uͤbernehmen? Alexander ſelbſt, kuͤhn genug zum kuͤhnſten Wagniß,
und ſelbſt bereit, dem Ocean den Sieg abzutrotzen, durfte ſich um
ſo weniger an die Spitze der Flotte ſtellen, da im Reiche ſchon
waͤhrend ſeiner Indiſchen Feldzuͤge manche Unordnungen vorgefal-
len waren, die dringend ſeine Ruͤckkehr forderten; der Landweg
nach Perſien war ſchwierig und die Macedoniſchen Landtruppen
bedurften, um dieſe oͤden und furchtbaren Gegenden zu durchzie-

des Armes von Lonee Moorland, in das ſich mehrere Fluͤſſe von
Oſten her ergießen, und das in der Jahreszeit der Suͤdweſt-Muſ-
ſons ein vollkommener See wird, Aranya oder kuͤrzer Rin genannt.
Von ihm aus fuͤhrt ein breiter Ausfluß in den Meerbuſen von
Kutſch. Dieß duͤrfte die von Alexander beſuchte Gegend ſein; und
wenn Nearch bei Strabo die Baſis des Indusdelta auf 1800 Sta-
dien (45 Meilen) angiebt, ſo trifft dieß mit uͤberraſchender Ge-
nauigkeit mit unſeren Karten uͤberein, wenn man von der großen
Indusmuͤndung bis zu der Muͤndung des Sumpfes mißt. In Ar-
rians Periplus wird der Meerbuſen von Barace als gefaͤhrlich und
in ſeiner Einfurth voll Sandbaͤnke bezeichnet, und hinzu gefuͤgt,
daß ihn das Land ſuͤdwaͤrts, gen Oſten, dann gen Weſten umſchließe;
vielleicht iſt ſein Irinus der See, den Alexander beſchiffte, und der
der graͤciſirte Aranya (Tod Rajastan II. p. 295.) zu ſein ſcheint.
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[462/0476] Auf dieſe Weiſe war Alles dem großen Plane des Koͤnigs gemaͤß organiſirt, zu deſſen Vollendung nur noch Eins, aber frei- lich auch das Schwierigſte und Gefahrvollſte uͤbrig war, nemlich die Entdeckung des Seeweges ſelbſt, der hinfort den Indus und Euphrat verbinden ſollte. Betrachtet man den Zuſtand der da- maligen Schifffarth und Erdkunde, ſo wird man der Kuͤhnheit ei- nes ſolchen Planes Gerechtigkeit widerfahren laſſen. Der Bau der Schiffe war unvollkommen und am wenigſten auf die Eigen- thuͤmlichkeit Oceaniſcher Gewaͤſſer berechnet; das einzige Regulativ einer Seefahrt waren die Geſtirne und die Seekuͤſte, deren Naͤhe natuͤrlich oft gefaͤhrlich werden mußte; die Einbildungskraft der Griechen bevoͤlkerte den Ocean mit Wundern und Ungeheuern al- ler Art, und die Macedonier, unerſchrocken und tapfer, wo ſie dem Feinde ins Auge ſahen, waren gegen das falſche Element ohne Waffe und nicht ohne Furcht; und wer endlich ſollte die Fuͤhrung uͤbernehmen? Alexander ſelbſt, kuͤhn genug zum kuͤhnſten Wagniß, und ſelbſt bereit, dem Ocean den Sieg abzutrotzen, durfte ſich um ſo weniger an die Spitze der Flotte ſtellen, da im Reiche ſchon waͤhrend ſeiner Indiſchen Feldzuͤge manche Unordnungen vorgefal- len waren, die dringend ſeine Ruͤckkehr forderten; der Landweg nach Perſien war ſchwierig und die Macedoniſchen Landtruppen bedurften, um dieſe oͤden und furchtbaren Gegenden zu durchzie- 120) 120) des Armes von Lonee Moorland, in das ſich mehrere Fluͤſſe von Oſten her ergießen, und das in der Jahreszeit der Suͤdweſt-Muſ- ſons ein vollkommener See wird, Aranya oder kuͤrzer Rin genannt. Von ihm aus fuͤhrt ein breiter Ausfluß in den Meerbuſen von Kutſch. Dieß duͤrfte die von Alexander beſuchte Gegend ſein; und wenn Nearch bei Strabo die Baſis des Indusdelta auf 1800 Sta- dien (45 Meilen) angiebt, ſo trifft dieß mit uͤberraſchender Ge- nauigkeit mit unſeren Karten uͤberein, wenn man von der großen Indusmuͤndung bis zu der Muͤndung des Sumpfes mißt. In Ar- rians Periplus wird der Meerbuſen von Barace als gefaͤhrlich und in ſeiner Einfurth voll Sandbaͤnke bezeichnet, und hinzu gefuͤgt, daß ihn das Land ſuͤdwaͤrts, gen Oſten, dann gen Weſten umſchließe; vielleicht iſt ſein Irinus der See, den Alexander beſchiffte, und der der graͤciſirte Aranya (Tod Rajastan II. p. 295.) zu ſein ſcheint.

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Zitationshilfe: Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833], S. 462. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_alexander_1833/476>, abgerufen am 22.11.2024.