nung zu üben, war der erste Akt der Souveränität, an die Alex- ander die Griechen zu gewöhnen hoffte.
Zur Verkündigung dieser Maaßregel hatte er den Stagiriten Nikanor nach Griechenland gesandt; bei der Feier der Olympi- schen Spiele des Jahres 324 sollte das königliche Schreiben pu- blicirt werden. Die Kunde davon hatte sich im Voraus verbreitet; von allen Seiten strömten die Verbannten gen Olympia, um das Wort der Erlösung zu vernehmen. In den einzelnen Staaten dage- gen brachte sie mannigfache Aufregung hervor, und während sich Viele freuten, mit Angehörigen und Befreundeten wieder vereint zu leben und durch eine große und allgemeine Amnestie die Ruhe und den Wohlstand besserer Zeiten zurückkehren zu sehen, mochten Andere in diesem Befehl einen Eingriff in die Rechte ihres Staates und den Beginn großer innerer Verwirrungen verabscheuen. In Athen erbot sich Demosthenes zur Archetheorie gen Olympia, um dort an Ort und Stelle mit dem Bevollmächtigten Alexanders zu unterhandeln, und ihm die Folgen jener Maaßregel und die Hei- ligkeit der Korinthischen Bundesverträge vorzustellen; dort blieben seine Bemühungen erfolglos. Während der Feier der hundert und vierzehnten Olympiade 71), im Anfang des Augustes, in Ge- genwart der Hellenen aus allen Landschaften, unter denen sich der Verbannten an zwanzigtausend befanden, ließ Nikanor der Stagi- rite durch den Herold, der im Wettkampf der Herolde gekränzt war, das Dekret des Königs vorlesen; es lautete: "Der König Alexander den Verbannten der Griechischen Städte seinen Gruß. An eurer Verbannung sind nicht wir Schuld gewesen; aber die Rückkehr zur Heimath wollen wir Allen, mit Ausschluß derer, auf denen Fluch haftet, bewirken. Demnach haben wir an Antipater erlassen, daß er die Städte, welche die Aufnahme weigern, dazu
71) Bekanntlich ist über die Zahl der Olympiade sehr weit- läuftiger Streit geführt worden, indem sie für das Todesjahr Alexanders von großer Wichtigkeit ist; was Ideler mit eben so viel Scharfsinn als Gelehrsamkeit gegen die bekannte Oberflächlichkeit Champollions geltend gemacht hat, liegt unserer Darstellung zum Grunde; die einfache Aufeinanderfolge der Begebenheiten giebt unmittelbar dieselben Resultate.
nung zu uͤben, war der erſte Akt der Souveraͤnitaͤt, an die Alex- ander die Griechen zu gewoͤhnen hoffte.
Zur Verkuͤndigung dieſer Maaßregel hatte er den Stagiriten Nikanor nach Griechenland geſandt; bei der Feier der Olympi- ſchen Spiele des Jahres 324 ſollte das koͤnigliche Schreiben pu- blicirt werden. Die Kunde davon hatte ſich im Voraus verbreitet; von allen Seiten ſtroͤmten die Verbannten gen Olympia, um das Wort der Erloͤſung zu vernehmen. In den einzelnen Staaten dage- gen brachte ſie mannigfache Aufregung hervor, und waͤhrend ſich Viele freuten, mit Angehoͤrigen und Befreundeten wieder vereint zu leben und durch eine große und allgemeine Amneſtie die Ruhe und den Wohlſtand beſſerer Zeiten zuruͤckkehren zu ſehen, mochten Andere in dieſem Befehl einen Eingriff in die Rechte ihres Staates und den Beginn großer innerer Verwirrungen verabſcheuen. In Athen erbot ſich Demoſthenes zur Archetheorie gen Olympia, um dort an Ort und Stelle mit dem Bevollmaͤchtigten Alexanders zu unterhandeln, und ihm die Folgen jener Maaßregel und die Hei- ligkeit der Korinthiſchen Bundesvertraͤge vorzuſtellen; dort blieben ſeine Bemuͤhungen erfolglos. Waͤhrend der Feier der hundert und vierzehnten Olympiade 71), im Anfang des Auguſtes, in Ge- genwart der Hellenen aus allen Landſchaften, unter denen ſich der Verbannten an zwanzigtauſend befanden, ließ Nikanor der Stagi- rite durch den Herold, der im Wettkampf der Herolde gekraͤnzt war, das Dekret des Koͤnigs vorleſen; es lautete: „Der Koͤnig Alexander den Verbannten der Griechiſchen Staͤdte ſeinen Gruß. An eurer Verbannung ſind nicht wir Schuld geweſen; aber die Ruͤckkehr zur Heimath wollen wir Allen, mit Ausſchluß derer, auf denen Fluch haftet, bewirken. Demnach haben wir an Antipater erlaſſen, daß er die Staͤdte, welche die Aufnahme weigern, dazu
71) Bekanntlich iſt uͤber die Zahl der Olympiade ſehr weit- laͤuftiger Streit gefuͤhrt worden, indem ſie fuͤr das Todesjahr Alexanders von großer Wichtigkeit iſt; was Ideler mit eben ſo viel Scharfſinn als Gelehrſamkeit gegen die bekannte Oberflaͤchlichkeit Champollions geltend gemacht hat, liegt unſerer Darſtellung zum Grunde; die einfache Aufeinanderfolge der Begebenheiten giebt unmittelbar dieſelben Reſultate.
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nung zu uͤben, war der erſte Akt der Souveraͤnitaͤt, an die Alex-
ander die Griechen zu gewoͤhnen hoffte.
Zur Verkuͤndigung dieſer Maaßregel hatte er den Stagiriten
Nikanor nach Griechenland geſandt; bei der Feier der Olympi-
ſchen Spiele des Jahres 324 ſollte das koͤnigliche Schreiben pu-
blicirt werden. Die Kunde davon hatte ſich im Voraus verbreitet;
von allen Seiten ſtroͤmten die Verbannten gen Olympia, um das
Wort der Erloͤſung zu vernehmen. In den einzelnen Staaten dage-
gen brachte ſie mannigfache Aufregung hervor, und waͤhrend ſich
Viele freuten, mit Angehoͤrigen und Befreundeten wieder vereint
zu leben und durch eine große und allgemeine Amneſtie die Ruhe
und den Wohlſtand beſſerer Zeiten zuruͤckkehren zu ſehen, mochten
Andere in dieſem Befehl einen Eingriff in die Rechte ihres Staates
und den Beginn großer innerer Verwirrungen verabſcheuen. In
Athen erbot ſich Demoſthenes zur Archetheorie gen Olympia, um
dort an Ort und Stelle mit dem Bevollmaͤchtigten Alexanders zu
unterhandeln, und ihm die Folgen jener Maaßregel und die Hei-
ligkeit der Korinthiſchen Bundesvertraͤge vorzuſtellen; dort blieben
ſeine Bemuͤhungen erfolglos. Waͤhrend der Feier der hundert
und vierzehnten Olympiade 71), im Anfang des Auguſtes, in Ge-
genwart der Hellenen aus allen Landſchaften, unter denen ſich der
Verbannten an zwanzigtauſend befanden, ließ Nikanor der Stagi-
rite durch den Herold, der im Wettkampf der Herolde gekraͤnzt
war, das Dekret des Koͤnigs vorleſen; es lautete: „Der Koͤnig
Alexander den Verbannten der Griechiſchen Staͤdte ſeinen Gruß.
An eurer Verbannung ſind nicht wir Schuld geweſen; aber die
Ruͤckkehr zur Heimath wollen wir Allen, mit Ausſchluß derer, auf
denen Fluch haftet, bewirken. Demnach haben wir an Antipater
erlaſſen, daß er die Staͤdte, welche die Aufnahme weigern, dazu
71) Bekanntlich iſt uͤber die Zahl der Olympiade ſehr weit-
laͤuftiger Streit gefuͤhrt worden, indem ſie fuͤr das Todesjahr
Alexanders von großer Wichtigkeit iſt; was Ideler mit eben ſo viel
Scharfſinn als Gelehrſamkeit gegen die bekannte Oberflaͤchlichkeit
Champollions geltend gemacht hat, liegt unſerer Darſtellung
zum Grunde; die einfache Aufeinanderfolge der Begebenheiten
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Droysen, Johann Gustav: Geschichte Alexanders des Großen. Hamburg, [1833], S. 527. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_alexander_1833/541>, abgerufen am 22.11.2024.
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