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Droysen, Johann Gustav: Grundriss der Historik. Leipzig, 1868.

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Jedes Neue -- nicht bloss Thatsachen der Politik, auch neue Er-
kenntnisse, neue Leistungen in Kunst und Wissenschaft u. s. w. -- sind
durch historisches Urtheilen einzureihen in den Gang der fortschrei-
tenden Bewegung (die sog. wissenschaftliche, ästhetische, publici-
stische u. s. w. Kritik).

Die in der Discussion geltend zu machenden Momente liegen theils
in dem Subject -- also dass diese Nation, diese Macht, diese Kirche
u. s. w. in ihren geschichtlichen Antecedentien so oder so bestimmt ist
(z. E. jenes sint ut sunt sub non sint) -- theils in den Sachen, die be-
dingend und bestimmend herantreten, wie denn in jedem Sachverhalt
nach seinem historischen Zusammenhang seine bestimmenden Momente
zu finden, aus ihrem richtigen Verständniss richtig zu deuten und zu
verwerthen sind.

Das Wesen der Theorie ist, dass sie dem Resultat der summirten
Gestaltungen die Form eines Postulats giebt. Je weniger sie alle Mo-
mente summirt, je einseitiger sie das eine oder andere hervorhebt, desto
doctrinärer ist sie. Das fortschreitende Moment ist ein thatsächlich
Neues, das hinzukommt, ist genialer Natur (§. 43).

Jeder Staat hat seine Politik. Die Discussion -- auch in der
Presse, im Staatsrath, im Parlament -- ist um so zuverlässiger, je histo-
rischer sie ist, um so verderblicher, je mehr sie sich auf Doctrinen, auf
idola theatri, fori, specus, tribus gründet.

Die grosse practische Bedeutung der historischen Studien liegt darin,
dass sie -- und nur sie, -- dem Staat, dem Volk, dem Heere u. s. w.
das Bild seiner selbst geben.

Das historische, nicht das juristische Studium ist die Grundlage
für die politische (und administrative) Ausbildung. Der Staatsmann ist
der practische Historiker: theoretikos ton onton kai praktikos ton deonton.

Der Staat ist nur der complicirteste unter den Organismen der sitt-
lichen Mächte; jede grosse Anstaltlichkeit fordert ähnliche discussive
Selbstcontrolle: so das Kirchenregiment, die Leitung industrieller Unter-
nehmungen u. s. w.


Jedes Neue — nicht bloss Thatsachen der Politik, auch neue Er-
kenntnisse, neue Leistungen in Kunst und Wissenschaft u. s. w. — sind
durch historisches Urtheilen einzureihen in den Gang der fortschrei-
tenden Bewegung (die sog. wissenschaftliche, ästhetische, publici-
stische u. s. w. Kritik).

Die in der Discussion geltend zu machenden Momente liegen theils
in dem Subject — also dass diese Nation, diese Macht, diese Kirche
u. s. w. in ihren geschichtlichen Antecedentien so oder so bestimmt ist
(z. E. jenes sint ut sunt sub non sint) — theils in den Sachen, die be-
dingend und bestimmend herantreten, wie denn in jedem Sachverhalt
nach seinem historischen Zusammenhang seine bestimmenden Momente
zu finden, aus ihrem richtigen Verständniss richtig zu deuten und zu
verwerthen sind.

Das Wesen der Theorie ist, dass sie dem Resultat der summirten
Gestaltungen die Form eines Postulats giebt. Je weniger sie alle Mo-
mente summirt, je einseitiger sie das eine oder andere hervorhebt, desto
doctrinärer ist sie. Das fortschreitende Moment ist ein thatsächlich
Neues, das hinzukommt, ist genialer Natur (§. 43).

Jeder Staat hat seine Politik. Die Discussion — auch in der
Presse, im Staatsrath, im Parlament — ist um so zuverlässiger, je histo-
rischer sie ist, um so verderblicher, je mehr sie sich auf Doctrinen, auf
idola theatri, fori, specus, tribus gründet.

Die grosse practische Bedeutung der historischen Studien liegt darin,
dass sie — und nur sie, — dem Staat, dem Volk, dem Heere u. s. w.
das Bild seiner selbst geben.

Das historische, nicht das juristische Studium ist die Grundlage
für die politische (und administrative) Ausbildung. Der Staatsmann ist
der practische Historiker: ϑεωρητικὸς τῶν ὄντων καὶ πρακτικὸς τῶν δεόντων.

Der Staat ist nur der complicirteste unter den Organismen der sitt-
lichen Mächte; jede grosse Anstaltlichkeit fordert ähnliche discussive
Selbstcontrolle: so das Kirchenregiment, die Leitung industrieller Unter-
nehmungen u. s. w.


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[25/0034] Jedes Neue — nicht bloss Thatsachen der Politik, auch neue Er- kenntnisse, neue Leistungen in Kunst und Wissenschaft u. s. w. — sind durch historisches Urtheilen einzureihen in den Gang der fortschrei- tenden Bewegung (die sog. wissenschaftliche, ästhetische, publici- stische u. s. w. Kritik). Die in der Discussion geltend zu machenden Momente liegen theils in dem Subject — also dass diese Nation, diese Macht, diese Kirche u. s. w. in ihren geschichtlichen Antecedentien so oder so bestimmt ist (z. E. jenes sint ut sunt sub non sint) — theils in den Sachen, die be- dingend und bestimmend herantreten, wie denn in jedem Sachverhalt nach seinem historischen Zusammenhang seine bestimmenden Momente zu finden, aus ihrem richtigen Verständniss richtig zu deuten und zu verwerthen sind. Das Wesen der Theorie ist, dass sie dem Resultat der summirten Gestaltungen die Form eines Postulats giebt. Je weniger sie alle Mo- mente summirt, je einseitiger sie das eine oder andere hervorhebt, desto doctrinärer ist sie. Das fortschreitende Moment ist ein thatsächlich Neues, das hinzukommt, ist genialer Natur (§. 43). Jeder Staat hat seine Politik. Die Discussion — auch in der Presse, im Staatsrath, im Parlament — ist um so zuverlässiger, je histo- rischer sie ist, um so verderblicher, je mehr sie sich auf Doctrinen, auf idola theatri, fori, specus, tribus gründet. Die grosse practische Bedeutung der historischen Studien liegt darin, dass sie — und nur sie, — dem Staat, dem Volk, dem Heere u. s. w. das Bild seiner selbst geben. Das historische, nicht das juristische Studium ist die Grundlage für die politische (und administrative) Ausbildung. Der Staatsmann ist der practische Historiker: ϑεωρητικὸς τῶν ὄντων καὶ πρακτικὸς τῶν δεόντων. Der Staat ist nur der complicirteste unter den Organismen der sitt- lichen Mächte; jede grosse Anstaltlichkeit fordert ähnliche discussive Selbstcontrolle: so das Kirchenregiment, die Leitung industrieller Unter- nehmungen u. s. w.

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Zitationshilfe: Droysen, Johann Gustav: Grundriss der Historik. Leipzig, 1868, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_historik_1868/34>, abgerufen am 21.11.2024.