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Droysen, Johann Gustav: Grundriss der Historik. Leipzig, 1868.

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Frage -- um diese handelt es sich uns -- von Neuem ins Unklare
geräth.

Wie verhalten sich in unseren Arbeiten Kunst und Wissenschaft zu
einander? ist etwa "mit Kritik und Gelehrsamkeit" der wissenschaft-
lichen Seite der Historie genug gethan? ist, was sonst noch dem Histori-
ker zu thun übrig bleibt, der Kunst zustehend? sollten wirklich die Stu-
dien, die der Historiker zu machen hat, keinen anderen Zweck haben,
als ein oder das andere Buch zu schreiben? keine andere Verwendung
haben, als belehrend zu unterhalten und unterhaltend zu belehren?

Es wäre nicht ohne Interesse, zu untersuchen, welchen inneren
Grund es hat, dass von allen Wissenschaften allein der Historie das
zweideutige Glück geworden ist, zugleich auch Kunst sein zu sollen;
ein Glück, dass nicht einmal die Philosophie trotz der Platonischen
Dialoge mit ihr theilt.

Fassen wir eine andere Seite der Frage auf. In künstlerischen
Arbeiten geht -- nach einer alten Ausdrucksweise -- das Technische
und Musische Hand in Hand. Zum Wesen der Kunst gehört es, dass
sie in ihren Hervorbringungen die Mängel, die durch ihre Mittel bedingt
sind, vergessen macht; und sie kann es in dem Maasse, als die Idee,
der sie in diesen Formen, an diesen Stoffen, mit dieser Technik Aus-
druck geben will, diese belebt und durchleuchtet. Das so Geschaffene
ist eine Totalität, eine Welt in sich; das Musische hat die Macht, in
diesem Ausdruck den Schauenden oder Hörenden voll und ausschliesslich
empfangen und empfinden zu lassen, was es so hat ausdrücken wollen.

Anders die Wissenschaften. Vor Allen die empirischen haben keine
strengere Pflicht, als die Lücken festzustellen, die in den Objecten ihrer
Empirie bedingt sind, die Fehler zu controliren, die sich aus ihrer
Technik ergeben, die Tragweite der Methoden zu untersuchen, die nur
innerhalb der ihnen wesentlichen Schranken richtige Resultate ergeben
können.

Vielleicht das grösste Verdienst der kritischen Schule in unserer
Wissenschaft, wenigstens das in methodischer Hinsicht bedeutendste ist,
die Einsicht durchgesetzt zu haben, dass die Grundlage unserer Studien
die Prüfung der "Quellen" ist, aus denen wir schöpfen. Es ist damit
das Verhältniss der Historie zu den Vergangenheiten auf den wissen-
schaftlich maassgebenden Punkt gestellt. Diese kritische Ansicht, dass

Frage — um diese handelt es sich uns — von Neuem ins Unklare
geräth.

Wie verhalten sich in unseren Arbeiten Kunst und Wissenschaft zu
einander? ist etwa „mit Kritik und Gelehrsamkeit“ der wissenschaft-
lichen Seite der Historie genug gethan? ist, was sonst noch dem Histori-
ker zu thun übrig bleibt, der Kunst zustehend? sollten wirklich die Stu-
dien, die der Historiker zu machen hat, keinen anderen Zweck haben,
als ein oder das andere Buch zu schreiben? keine andere Verwendung
haben, als belehrend zu unterhalten und unterhaltend zu belehren?

Es wäre nicht ohne Interesse, zu untersuchen, welchen inneren
Grund es hat, dass von allen Wissenschaften allein der Historie das
zweideutige Glück geworden ist, zugleich auch Kunst sein zu sollen;
ein Glück, dass nicht einmal die Philosophie trotz der Platonischen
Dialoge mit ihr theilt.

Fassen wir eine andere Seite der Frage auf. In künstlerischen
Arbeiten geht — nach einer alten Ausdrucksweise — das Technische
und Musische Hand in Hand. Zum Wesen der Kunst gehört es, dass
sie in ihren Hervorbringungen die Mängel, die durch ihre Mittel bedingt
sind, vergessen macht; und sie kann es in dem Maasse, als die Idee,
der sie in diesen Formen, an diesen Stoffen, mit dieser Technik Aus-
druck geben will, diese belebt und durchleuchtet. Das so Geschaffene
ist eine Totalität, eine Welt in sich; das Musische hat die Macht, in
diesem Ausdruck den Schauenden oder Hörenden voll und ausschliesslich
empfangen und empfinden zu lassen, was es so hat ausdrücken wollen.

Anders die Wissenschaften. Vor Allen die empirischen haben keine
strengere Pflicht, als die Lücken festzustellen, die in den Objecten ihrer
Empirie bedingt sind, die Fehler zu controliren, die sich aus ihrer
Technik ergeben, die Tragweite der Methoden zu untersuchen, die nur
innerhalb der ihnen wesentlichen Schranken richtige Resultate ergeben
können.

Vielleicht das grösste Verdienst der kritischen Schule in unserer
Wissenschaft, wenigstens das in methodischer Hinsicht bedeutendste ist,
die Einsicht durchgesetzt zu haben, dass die Grundlage unserer Studien
die Prüfung der „Quellen“ ist, aus denen wir schöpfen. Es ist damit
das Verhältniss der Historie zu den Vergangenheiten auf den wissen-
schaftlich maassgebenden Punkt gestellt. Diese kritische Ansicht, dass

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[79/0088] Frage — um diese handelt es sich uns — von Neuem ins Unklare geräth. Wie verhalten sich in unseren Arbeiten Kunst und Wissenschaft zu einander? ist etwa „mit Kritik und Gelehrsamkeit“ der wissenschaft- lichen Seite der Historie genug gethan? ist, was sonst noch dem Histori- ker zu thun übrig bleibt, der Kunst zustehend? sollten wirklich die Stu- dien, die der Historiker zu machen hat, keinen anderen Zweck haben, als ein oder das andere Buch zu schreiben? keine andere Verwendung haben, als belehrend zu unterhalten und unterhaltend zu belehren? Es wäre nicht ohne Interesse, zu untersuchen, welchen inneren Grund es hat, dass von allen Wissenschaften allein der Historie das zweideutige Glück geworden ist, zugleich auch Kunst sein zu sollen; ein Glück, dass nicht einmal die Philosophie trotz der Platonischen Dialoge mit ihr theilt. Fassen wir eine andere Seite der Frage auf. In künstlerischen Arbeiten geht — nach einer alten Ausdrucksweise — das Technische und Musische Hand in Hand. Zum Wesen der Kunst gehört es, dass sie in ihren Hervorbringungen die Mängel, die durch ihre Mittel bedingt sind, vergessen macht; und sie kann es in dem Maasse, als die Idee, der sie in diesen Formen, an diesen Stoffen, mit dieser Technik Aus- druck geben will, diese belebt und durchleuchtet. Das so Geschaffene ist eine Totalität, eine Welt in sich; das Musische hat die Macht, in diesem Ausdruck den Schauenden oder Hörenden voll und ausschliesslich empfangen und empfinden zu lassen, was es so hat ausdrücken wollen. Anders die Wissenschaften. Vor Allen die empirischen haben keine strengere Pflicht, als die Lücken festzustellen, die in den Objecten ihrer Empirie bedingt sind, die Fehler zu controliren, die sich aus ihrer Technik ergeben, die Tragweite der Methoden zu untersuchen, die nur innerhalb der ihnen wesentlichen Schranken richtige Resultate ergeben können. Vielleicht das grösste Verdienst der kritischen Schule in unserer Wissenschaft, wenigstens das in methodischer Hinsicht bedeutendste ist, die Einsicht durchgesetzt zu haben, dass die Grundlage unserer Studien die Prüfung der „Quellen“ ist, aus denen wir schöpfen. Es ist damit das Verhältniss der Historie zu den Vergangenheiten auf den wissen- schaftlich maassgebenden Punkt gestellt. Diese kritische Ansicht, dass

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Zitationshilfe: Droysen, Johann Gustav: Grundriss der Historik. Leipzig, 1868, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/droysen_historik_1868/88>, abgerufen am 21.11.2024.