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Drude, Oscar: Handbuch der Pflanzengeographie. Stuttgart, 1890.

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physiognomischen Systems.
landschaftlicher Vergleich mit den anderen, sogenann-
ten physiognomischen Hauptformen möglich ist, und
welchen Formen sollen wir den Rang eines besonderen
Typus zuerkennen?

Man sieht ganz leicht ein, dass beim weiteren Verfolg dieses
Prinzipes sozusagen ein neues Pflanzensystem entsteht, welches sich
von dem auf Verwandtschaft begründeten System der botanischen
Familien nur durch stete Vernachlässigung der von der Blüte her-
geleiteten Merkmale unterscheidet. Ist auch diese Vernachlässi-
gung für die pflanzengeographischen Zwecke durchaus angebracht,
so liegt doch darin noch keine Notwendigkeit, ein eigenes System
von "Formen" aufzustellen.

Grisebach hat daher, um den Mängeln von Humboldts
etwas zu sparsam bemessenen physiognomischen Klassen-
formen abzuhelfen, deren Zahl ausserordentlich vermehrt.
Aber der weitere Ausbau eines in seiner Grundlage
schwachen Systems kann nur dazu dienen, diese Schwäche
zu offenbaren. Dafür ein Beispiel: Die Bäume unserer
centraleuropäischen Wälder gliedern sich nach Grisebachs
physiognomischer Einteilung in die der Buchenform mit
breitem Laub, die der Weidenform mit schmalem Laub,
und die der Esche mit Fiederblättern. Es ist aber klar,
dass Ahorn und Eiche ein Recht hätten, als besondere
Formen neben der Buche zu stehen, und Aesculus und
Robinia wollen sich den Eschenformen nicht fügen. Was
kommt heraus? Hier ist das Gemeinsame nur, dass dieses
alles Bäume mit abfälligem Laube sind, und das bedeutet
eine biologische Einheit mit bestimmten klimatischen
Forderungen, dargestellt von im System verschiedenartig
gestellten Gewächsen; aber in der besonderen Form
hat jede Baumart ihr eigenes Recht.

Das Wesen der Gesamtform hat das natürliche
Pflanzensystem auch für seine Zwecke benutzt und gibt
darüber genaue Rechenschaft; die Pflanzengeographie
kann daher zunächst nichts weiter thun, als die systema-
tischen Gruppen fertig gebildet und wissenschaftlich be-
gründet zu übernehmen, deren biologische Eigenschaften
in Hinsicht auf Wuchsform und Alter zu vergleichen,
und dann diejenigen Pflanzen-Ordnungen, Gattungen, Arten
in ihrer Verbreitung durch die verschiedenen Länder zu

physiognomischen Systems.
landschaftlicher Vergleich mit den anderen, sogenann-
ten physiognomischen Hauptformen möglich ist, und
welchen Formen sollen wir den Rang eines besonderen
Typus zuerkennen?

Man sieht ganz leicht ein, dass beim weiteren Verfolg dieses
Prinzipes sozusagen ein neues Pflanzensystem entsteht, welches sich
von dem auf Verwandtschaft begründeten System der botanischen
Familien nur durch stete Vernachlässigung der von der Blüte her-
geleiteten Merkmale unterscheidet. Ist auch diese Vernachlässi-
gung für die pflanzengeographischen Zwecke durchaus angebracht,
so liegt doch darin noch keine Notwendigkeit, ein eigenes System
von „Formen“ aufzustellen.

Grisebach hat daher, um den Mängeln von Humboldts
etwas zu sparsam bemessenen physiognomischen Klassen-
formen abzuhelfen, deren Zahl ausserordentlich vermehrt.
Aber der weitere Ausbau eines in seiner Grundlage
schwachen Systems kann nur dazu dienen, diese Schwäche
zu offenbaren. Dafür ein Beispiel: Die Bäume unserer
centraleuropäischen Wälder gliedern sich nach Grisebachs
physiognomischer Einteilung in die der Buchenform mit
breitem Laub, die der Weidenform mit schmalem Laub,
und die der Esche mit Fiederblättern. Es ist aber klar,
dass Ahorn und Eiche ein Recht hätten, als besondere
Formen neben der Buche zu stehen, und Aesculus und
Robinia wollen sich den Eschenformen nicht fügen. Was
kommt heraus? Hier ist das Gemeinsame nur, dass dieses
alles Bäume mit abfälligem Laube sind, und das bedeutet
eine biologische Einheit mit bestimmten klimatischen
Forderungen, dargestellt von im System verschiedenartig
gestellten Gewächsen; aber in der besonderen Form
hat jede Baumart ihr eigenes Recht.

Das Wesen der Gesamtform hat das natürliche
Pflanzensystem auch für seine Zwecke benutzt und gibt
darüber genaue Rechenschaft; die Pflanzengeographie
kann daher zunächst nichts weiter thun, als die systema-
tischen Gruppen fertig gebildet und wissenschaftlich be-
gründet zu übernehmen, deren biologische Eigenschaften
in Hinsicht auf Wuchsform und Alter zu vergleichen,
und dann diejenigen Pflanzen-Ordnungen, Gattungen, Arten
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[219/0249] physiognomischen Systems. landschaftlicher Vergleich mit den anderen, sogenann- ten physiognomischen Hauptformen möglich ist, und welchen Formen sollen wir den Rang eines besonderen Typus zuerkennen? Man sieht ganz leicht ein, dass beim weiteren Verfolg dieses Prinzipes sozusagen ein neues Pflanzensystem entsteht, welches sich von dem auf Verwandtschaft begründeten System der botanischen Familien nur durch stete Vernachlässigung der von der Blüte her- geleiteten Merkmale unterscheidet. Ist auch diese Vernachlässi- gung für die pflanzengeographischen Zwecke durchaus angebracht, so liegt doch darin noch keine Notwendigkeit, ein eigenes System von „Formen“ aufzustellen. Grisebach hat daher, um den Mängeln von Humboldts etwas zu sparsam bemessenen physiognomischen Klassen- formen abzuhelfen, deren Zahl ausserordentlich vermehrt. Aber der weitere Ausbau eines in seiner Grundlage schwachen Systems kann nur dazu dienen, diese Schwäche zu offenbaren. Dafür ein Beispiel: Die Bäume unserer centraleuropäischen Wälder gliedern sich nach Grisebachs physiognomischer Einteilung in die der Buchenform mit breitem Laub, die der Weidenform mit schmalem Laub, und die der Esche mit Fiederblättern. Es ist aber klar, dass Ahorn und Eiche ein Recht hätten, als besondere Formen neben der Buche zu stehen, und Aesculus und Robinia wollen sich den Eschenformen nicht fügen. Was kommt heraus? Hier ist das Gemeinsame nur, dass dieses alles Bäume mit abfälligem Laube sind, und das bedeutet eine biologische Einheit mit bestimmten klimatischen Forderungen, dargestellt von im System verschiedenartig gestellten Gewächsen; aber in der besonderen Form hat jede Baumart ihr eigenes Recht. Das Wesen der Gesamtform hat das natürliche Pflanzensystem auch für seine Zwecke benutzt und gibt darüber genaue Rechenschaft; die Pflanzengeographie kann daher zunächst nichts weiter thun, als die systema- tischen Gruppen fertig gebildet und wissenschaftlich be- gründet zu übernehmen, deren biologische Eigenschaften in Hinsicht auf Wuchsform und Alter zu vergleichen, und dann diejenigen Pflanzen-Ordnungen, Gattungen, Arten in ihrer Verbreitung durch die verschiedenen Länder zu

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Zitationshilfe: Drude, Oscar: Handbuch der Pflanzengeographie. Stuttgart, 1890, S. 219. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/drude_pflanzengeographie_1890/249>, abgerufen am 22.11.2024.