Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Dühring, Eugen: Der Weg zur höheren Berufsbildung der Frauen und die Lehrweise der Universitäten. 2. Aufl. Leipzig, 1885.

Bild:
<< vorherige Seite

suchungen des Besondern und Einzelnen die absoluten Wahr-
heiten liefern, unter denen man dann die Axiome schon von
selbst herausfinden wird. Was man Jurisprudenz nennt, und
was, nebenbei bemerkt, grade mein eigentliches Fachstudium ge-
wesen, ist eine beschränkte autoritäre Disciplin und keine Wissen-
schaft. Ueberhaupt meine ich hier die Gerechtigkeit in jenem
weiten Sinne, in welchem sie über allen Einrichtungen steht und
nicht blos, wie man das nennt, von der Geschichte, sondern, wie
ich es verstehe, auch vom Einzelnen in souveräner Weise geubt
wird. Die hiezu erforderliche Aufklärung und Einsicht hat nun
aber mit Juristerei, Politik und Geschichtsdarstellung im her-
kömmlichen Sinne nichts zu schaffen. Sie hat sich gegen die
Falschheiten dieser drei Dinge zu setzen und sich so zu dem
höchsten Standpunkt der Freiheit zu erheben.

Politik ist, wie schon das Alterthum zeigt, bisher wesentlich
eine Kunst der Andere unterwerfenden Selbstsucht gewesen, und
ihre Mittel, ob nun brutal oder geistig, waren jederzeit danach
und zwar in den Thaten wie in den Lehren. Ein antipolitischer
Standpunkt ist demgegenüber von nun an das einzig Gerechte.
Um mich jedoch bestimmter auszudrücken, erinnere ich daran,
dass jegliche Zuschreibung von Gewalt, d. h. jegliche Verwand-
lung einer blossen Macht in angebliches Recht, vom Standpunkt
unserer heutigen höhern Einsicht bereits verwerflich ist. Von
der Autokratie bis zur Demokratie giebt es eben nur Kratien,
d. h. Gewaltzuschreilbungen, und in diesem Sinne sind alle Herr-
schaften schon als solche unberechtigt. Die Zustände wollen
daher, wie ich es nennen möchte, im antikratischen Sinne studirt
und behandelt sein, mag es sich nun um Gegenwart und Zukunft
oder um die Kritik und das Verständniss abgelaufener Geschichte
handeln. Der Umstand, dass eine Anzahl dem Einzelnen gegen-
übersteht, macht diese, auch wenn sie die Gesammtheit wäre,
noch nicht zu etwas, was sich, blos weil es eine grössere Zahl
oder Mehrheit ist, seinem Willen aufdrängen und sich über ihm
als eine sogenannte Obrigkeit constituiren dürfte. Vielmehr ist
es die erste und oberste Lüge aller politischen Theorie, an die
Nothwendigkeit einer solchen Ueberordnung glauben machen zu
wollen. Das antikratische Princip ist nunmehr das Einzige,
welches diesem proton pseudos, dieser Urtäuschung, den Krieg
macht. Von diesem Princip hängen die vollkommene Freiheit
und Gerechtigkeit ab. Freilich ist es bei dieser kurzen Erwähnung

suchungen des Besondern und Einzelnen die absoluten Wahr-
heiten liefern, unter denen man dann die Axiome schon von
selbst herausfinden wird. Was man Jurisprudenz nennt, und
was, nebenbei bemerkt, grade mein eigentliches Fachstudium ge-
wesen, ist eine beschränkte autoritäre Disciplin und keine Wissen-
schaft. Ueberhaupt meine ich hier die Gerechtigkeit in jenem
weiten Sinne, in welchem sie über allen Einrichtungen steht und
nicht blos, wie man das nennt, von der Geschichte, sondern, wie
ich es verstehe, auch vom Einzelnen in souveräner Weise geubt
wird. Die hiezu erforderliche Aufklärung und Einsicht hat nun
aber mit Juristerei, Politik und Geschichtsdarstellung im her-
kömmlichen Sinne nichts zu schaffen. Sie hat sich gegen die
Falschheiten dieser drei Dinge zu setzen und sich so zu dem
höchsten Standpunkt der Freiheit zu erheben.

Politik ist, wie schon das Alterthum zeigt, bisher wesentlich
eine Kunst der Andere unterwerfenden Selbstsucht gewesen, und
ihre Mittel, ob nun brutal oder geistig, waren jederzeit danach
und zwar in den Thaten wie in den Lehren. Ein antipolitischer
Standpunkt ist demgegenüber von nun an das einzig Gerechte.
Um mich jedoch bestimmter auszudrücken, erinnere ich daran,
dass jegliche Zuschreibung von Gewalt, d. h. jegliche Verwand-
lung einer blossen Macht in angebliches Recht, vom Standpunkt
unserer heutigen höhern Einsicht bereits verwerflich ist. Von
der Autokratie bis zur Demokratie giebt es eben nur Kratien,
d. h. Gewaltzuschreilbungen, und in diesem Sinne sind alle Herr-
schaften schon als solche unberechtigt. Die Zustände wollen
daher, wie ich es nennen möchte, im antikratischen Sinne studirt
und behandelt sein, mag es sich nun um Gegenwart und Zukunft
oder um die Kritik und das Verständniss abgelaufener Geschichte
handeln. Der Umstand, dass eine Anzahl dem Einzelnen gegen-
übersteht, macht diese, auch wenn sie die Gesammtheit wäre,
noch nicht zu etwas, was sich, blos weil es eine grössere Zahl
oder Mehrheit ist, seinem Willen aufdrängen und sich über ihm
als eine sogenannte Obrigkeit constituiren dürfte. Vielmehr ist
es die erste und oberste Lüge aller politischen Theorie, an die
Nothwendigkeit einer solchen Ueberordnung glauben machen zu
wollen. Das antikratische Princip ist nunmehr das Einzige,
welches diesem proton pseudos, dieser Urtäuschung, den Krieg
macht. Von diesem Princip hängen die vollkommene Freiheit
und Gerechtigkeit ab. Freilich ist es bei dieser kurzen Erwähnung

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0112" n="103"/>
suchungen des Besondern und Einzelnen die absoluten Wahr-<lb/>
heiten liefern, unter denen man dann die Axiome schon von<lb/>
selbst herausfinden wird. Was man Jurisprudenz nennt, und<lb/>
was, nebenbei bemerkt, grade mein eigentliches Fachstudium ge-<lb/>
wesen, ist eine beschränkte autoritäre Disciplin und keine Wissen-<lb/>
schaft. Ueberhaupt meine ich hier die Gerechtigkeit in jenem<lb/>
weiten Sinne, in welchem sie über allen Einrichtungen steht und<lb/>
nicht blos, wie man das nennt, von der Geschichte, sondern, wie<lb/>
ich es verstehe, auch vom Einzelnen in souveräner Weise geubt<lb/>
wird. Die hiezu erforderliche Aufklärung und Einsicht hat nun<lb/>
aber mit Juristerei, Politik und Geschichtsdarstellung im her-<lb/>
kömmlichen Sinne nichts zu schaffen. Sie hat sich gegen die<lb/>
Falschheiten dieser drei Dinge zu setzen und sich so zu dem<lb/>
höchsten Standpunkt der Freiheit zu erheben.</p><lb/>
        <p>Politik ist, wie schon das Alterthum zeigt, bisher wesentlich<lb/>
eine Kunst der Andere unterwerfenden Selbstsucht gewesen, und<lb/>
ihre Mittel, ob nun brutal oder geistig, waren jederzeit danach<lb/>
und zwar in den Thaten wie in den Lehren. Ein antipolitischer<lb/>
Standpunkt ist demgegenüber von nun an das einzig Gerechte.<lb/>
Um mich jedoch bestimmter auszudrücken, erinnere ich daran,<lb/>
dass jegliche Zuschreibung von Gewalt, d. h. jegliche Verwand-<lb/>
lung einer blossen Macht in angebliches Recht, vom Standpunkt<lb/>
unserer heutigen höhern Einsicht bereits verwerflich ist. Von<lb/>
der Autokratie bis zur Demokratie giebt es eben nur Kratien,<lb/>
d. h. Gewaltzuschreilbungen, und in diesem Sinne sind alle Herr-<lb/>
schaften schon als solche unberechtigt. Die Zustände wollen<lb/>
daher, wie ich es nennen möchte, im antikratischen Sinne studirt<lb/>
und behandelt sein, mag es sich nun um Gegenwart und Zukunft<lb/>
oder um die Kritik und das Verständniss abgelaufener Geschichte<lb/>
handeln. Der Umstand, dass eine Anzahl dem Einzelnen gegen-<lb/>
übersteht, macht diese, auch wenn sie die Gesammtheit wäre,<lb/>
noch nicht zu etwas, was sich, blos weil es eine grössere Zahl<lb/>
oder Mehrheit ist, seinem Willen aufdrängen und sich über ihm<lb/>
als eine sogenannte Obrigkeit constituiren dürfte. Vielmehr ist<lb/>
es die erste und oberste Lüge aller politischen Theorie, an die<lb/>
Nothwendigkeit einer solchen Ueberordnung glauben machen zu<lb/>
wollen. Das antikratische Princip ist nunmehr das Einzige,<lb/>
welches diesem proton pseudos, dieser Urtäuschung, den Krieg<lb/>
macht. Von diesem Princip hängen die vollkommene Freiheit<lb/>
und Gerechtigkeit ab. Freilich ist es bei dieser kurzen Erwähnung<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[103/0112] suchungen des Besondern und Einzelnen die absoluten Wahr- heiten liefern, unter denen man dann die Axiome schon von selbst herausfinden wird. Was man Jurisprudenz nennt, und was, nebenbei bemerkt, grade mein eigentliches Fachstudium ge- wesen, ist eine beschränkte autoritäre Disciplin und keine Wissen- schaft. Ueberhaupt meine ich hier die Gerechtigkeit in jenem weiten Sinne, in welchem sie über allen Einrichtungen steht und nicht blos, wie man das nennt, von der Geschichte, sondern, wie ich es verstehe, auch vom Einzelnen in souveräner Weise geubt wird. Die hiezu erforderliche Aufklärung und Einsicht hat nun aber mit Juristerei, Politik und Geschichtsdarstellung im her- kömmlichen Sinne nichts zu schaffen. Sie hat sich gegen die Falschheiten dieser drei Dinge zu setzen und sich so zu dem höchsten Standpunkt der Freiheit zu erheben. Politik ist, wie schon das Alterthum zeigt, bisher wesentlich eine Kunst der Andere unterwerfenden Selbstsucht gewesen, und ihre Mittel, ob nun brutal oder geistig, waren jederzeit danach und zwar in den Thaten wie in den Lehren. Ein antipolitischer Standpunkt ist demgegenüber von nun an das einzig Gerechte. Um mich jedoch bestimmter auszudrücken, erinnere ich daran, dass jegliche Zuschreibung von Gewalt, d. h. jegliche Verwand- lung einer blossen Macht in angebliches Recht, vom Standpunkt unserer heutigen höhern Einsicht bereits verwerflich ist. Von der Autokratie bis zur Demokratie giebt es eben nur Kratien, d. h. Gewaltzuschreilbungen, und in diesem Sinne sind alle Herr- schaften schon als solche unberechtigt. Die Zustände wollen daher, wie ich es nennen möchte, im antikratischen Sinne studirt und behandelt sein, mag es sich nun um Gegenwart und Zukunft oder um die Kritik und das Verständniss abgelaufener Geschichte handeln. Der Umstand, dass eine Anzahl dem Einzelnen gegen- übersteht, macht diese, auch wenn sie die Gesammtheit wäre, noch nicht zu etwas, was sich, blos weil es eine grössere Zahl oder Mehrheit ist, seinem Willen aufdrängen und sich über ihm als eine sogenannte Obrigkeit constituiren dürfte. Vielmehr ist es die erste und oberste Lüge aller politischen Theorie, an die Nothwendigkeit einer solchen Ueberordnung glauben machen zu wollen. Das antikratische Princip ist nunmehr das Einzige, welches diesem proton pseudos, dieser Urtäuschung, den Krieg macht. Von diesem Princip hängen die vollkommene Freiheit und Gerechtigkeit ab. Freilich ist es bei dieser kurzen Erwähnung

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Projekt: Texte zur Frauenfrage um 1900 Gießen/Kassel: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-06-13T16:46:57Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Thomas Gloning, Melanie Henß, Hannah Glaum: Bearbeitung der digitalen Edition. (2013-06-13T16:46:57Z)
Internet Archive: Bereitstellung der Bilddigitalisate. (2013-06-13T16:46:57Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Bogensignaturen: nicht übernommen
  • Druckfehler: ignoriert
  • fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet
  • i/j nach Lautwert: Lautwert transkribiert
  • I/J nach Lautwert: Lautwert transkribiert
  • Kolumnentitel: nicht übernommen
  • Kustoden: nicht übernommen
  • langes s (ſ): als s transkribiert



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/duehring_berufsbildung_1885
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/duehring_berufsbildung_1885/112
Zitationshilfe: Dühring, Eugen: Der Weg zur höheren Berufsbildung der Frauen und die Lehrweise der Universitäten. 2. Aufl. Leipzig, 1885, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/duehring_berufsbildung_1885/112>, abgerufen am 29.04.2024.