Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ebeling, Johann Justus: Andächtige Betrachtungen aus dem Buche der Natur und Schrift. Bd. 1. Hildesheim, 1747.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Spiegelblume.
Da fand ich ein kleines Blümgen niedrig an der Er-
de stehn
Dessen Blättergen von Farbe, gelb wie gläntzend
Wachs aussehn,
Jch bewunderte den Schein der schichtweis gepaß-
ten Blätter
Die jemehr sie aufwerts gehn, immer gelber und
auch glätter,
Als wenn sie mit Fürnis wären, allenthalben über-
schmiert
Oder doch mit gelben Wachse überstrichen und poliert.
Wie mir deucht, so war es Safft, der oft aus den
Blättern schwizzet,
Oder wie ein Honigthau, auf der äusern Fläche
sizzet,
Jch frug einen Blumen Kenner, wie man dieses
güldne Vlies,
Das recht künstlich ist gewirket, mit dem rechten
Nahmen hies
Er sprach: eine Spiegelblum, wegen ihrer hellen
Glätte
Da bei jedem Blat es scheint, ob man kleine Spie-
gel hätte.
Als ich diese zarten Spiegel näher vor die Augen
nahm,
So schien es, als wenn der Schöpfer mir recht ins
Gesichte kam,
Der in dieser kleinen Blum, von der Sonnenstrahl
vergüldet
Als der Vater alles Lichts, wie im Spiegel abge-
bildet.
Jch erkannte seine Grösse, die der Kreaturen Pracht,
Uns zu Spiegeln seiner Güte, seiner Weisheit, sei-
ner Macht
Zur
C 2
Die Spiegelblume.
Da fand ich ein kleines Bluͤmgen niedrig an der Er-
de ſtehn
Deſſen Blaͤttergen von Farbe, gelb wie glaͤntzend
Wachs ausſehn,
Jch bewunderte den Schein der ſchichtweis gepaß-
ten Blaͤtter
Die jemehr ſie aufwerts gehn, immer gelber und
auch glaͤtter,
Als wenn ſie mit Fuͤrnis waͤren, allenthalben uͤber-
ſchmiert
Oder doch mit gelben Wachſe uͤberſtrichen und poliert.
Wie mir deucht, ſo war es Safft, der oft aus den
Blaͤttern ſchwizzet,
Oder wie ein Honigthau, auf der aͤuſern Flaͤche
ſizzet,
Jch frug einen Blumen Kenner, wie man dieſes
guͤldne Vlies,
Das recht kuͤnſtlich iſt gewirket, mit dem rechten
Nahmen hies
Er ſprach: eine Spiegelblum, wegen ihrer hellen
Glaͤtte
Da bei jedem Blat es ſcheint, ob man kleine Spie-
gel haͤtte.
Als ich dieſe zarten Spiegel naͤher vor die Augen
nahm,
So ſchien es, als wenn der Schoͤpfer mir recht ins
Geſichte kam,
Der in dieſer kleinen Blum, von der Sonnenſtrahl
verguͤldet
Als der Vater alles Lichts, wie im Spiegel abge-
bildet.
Jch erkannte ſeine Groͤſſe, die der Kreaturen Pracht,
Uns zu Spiegeln ſeiner Guͤte, ſeiner Weisheit, ſei-
ner Macht
Zur
C 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <lg type="poem">
          <pb facs="#f0051" n="35"/>
          <fw place="top" type="header">Die Spiegelblume.</fw><lb/>
          <l>Da fand ich ein kleines Blu&#x0364;mgen niedrig an der Er-</l><lb/>
          <l> <hi rendition="#et">de &#x017F;tehn</hi> </l><lb/>
          <l>De&#x017F;&#x017F;en Bla&#x0364;ttergen von Farbe, gelb wie gla&#x0364;ntzend</l><lb/>
          <l> <hi rendition="#et">Wachs aus&#x017F;ehn,</hi> </l><lb/>
          <l>Jch bewunderte den Schein der &#x017F;chichtweis gepaß-</l><lb/>
          <l> <hi rendition="#et">ten Bla&#x0364;tter</hi> </l><lb/>
          <l>Die jemehr &#x017F;ie aufwerts gehn, immer gelber und</l><lb/>
          <l> <hi rendition="#et">auch gla&#x0364;tter,</hi> </l><lb/>
          <l>Als wenn &#x017F;ie mit Fu&#x0364;rnis wa&#x0364;ren, allenthalben u&#x0364;ber-</l><lb/>
          <l> <hi rendition="#et">&#x017F;chmiert</hi> </l><lb/>
          <l>Oder doch mit gelben Wach&#x017F;e u&#x0364;ber&#x017F;trichen und poliert.</l><lb/>
          <l>Wie mir deucht, &#x017F;o war es Safft, der oft aus den</l><lb/>
          <l> <hi rendition="#et">Bla&#x0364;ttern &#x017F;chwizzet,</hi> </l><lb/>
          <l>Oder wie ein Honigthau, auf der a&#x0364;u&#x017F;ern Fla&#x0364;che</l><lb/>
          <l> <hi rendition="#et">&#x017F;izzet,</hi> </l><lb/>
          <l>Jch frug einen Blumen Kenner, wie man die&#x017F;es</l><lb/>
          <l> <hi rendition="#et">gu&#x0364;ldne Vlies,</hi> </l><lb/>
          <l>Das recht ku&#x0364;n&#x017F;tlich i&#x017F;t gewirket, mit dem rechten</l><lb/>
          <l> <hi rendition="#et">Nahmen hies</hi> </l><lb/>
          <l>Er &#x017F;prach: eine Spiegelblum, wegen ihrer hellen</l><lb/>
          <l> <hi rendition="#et">Gla&#x0364;tte</hi> </l><lb/>
          <l>Da bei jedem Blat es &#x017F;cheint, ob man kleine Spie-</l><lb/>
          <l> <hi rendition="#et">gel ha&#x0364;tte.</hi> </l><lb/>
          <l>Als ich die&#x017F;e zarten Spiegel na&#x0364;her vor die Augen</l><lb/>
          <l> <hi rendition="#et">nahm,</hi> </l><lb/>
          <l>So &#x017F;chien es, als wenn der Scho&#x0364;pfer mir recht ins</l><lb/>
          <l> <hi rendition="#et">Ge&#x017F;ichte kam,</hi> </l><lb/>
          <l>Der in die&#x017F;er kleinen Blum, von der Sonnen&#x017F;trahl</l><lb/>
          <l> <hi rendition="#et">vergu&#x0364;ldet</hi> </l><lb/>
          <l>Als der Vater alles Lichts, wie im Spiegel abge-</l><lb/>
          <l> <hi rendition="#et">bildet.</hi> </l><lb/>
          <l>Jch erkannte &#x017F;eine Gro&#x0364;&#x017F;&#x017F;e, die der Kreaturen Pracht,</l><lb/>
          <l>Uns zu Spiegeln &#x017F;einer Gu&#x0364;te, &#x017F;einer Weisheit, &#x017F;ei-</l><lb/>
          <l> <hi rendition="#et">ner Macht</hi> </l><lb/>
          <fw place="bottom" type="sig">C 2</fw>
          <fw place="bottom" type="catch">Zur</fw><lb/>
        </lg>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[35/0051] Die Spiegelblume. Da fand ich ein kleines Bluͤmgen niedrig an der Er- de ſtehn Deſſen Blaͤttergen von Farbe, gelb wie glaͤntzend Wachs ausſehn, Jch bewunderte den Schein der ſchichtweis gepaß- ten Blaͤtter Die jemehr ſie aufwerts gehn, immer gelber und auch glaͤtter, Als wenn ſie mit Fuͤrnis waͤren, allenthalben uͤber- ſchmiert Oder doch mit gelben Wachſe uͤberſtrichen und poliert. Wie mir deucht, ſo war es Safft, der oft aus den Blaͤttern ſchwizzet, Oder wie ein Honigthau, auf der aͤuſern Flaͤche ſizzet, Jch frug einen Blumen Kenner, wie man dieſes guͤldne Vlies, Das recht kuͤnſtlich iſt gewirket, mit dem rechten Nahmen hies Er ſprach: eine Spiegelblum, wegen ihrer hellen Glaͤtte Da bei jedem Blat es ſcheint, ob man kleine Spie- gel haͤtte. Als ich dieſe zarten Spiegel naͤher vor die Augen nahm, So ſchien es, als wenn der Schoͤpfer mir recht ins Geſichte kam, Der in dieſer kleinen Blum, von der Sonnenſtrahl verguͤldet Als der Vater alles Lichts, wie im Spiegel abge- bildet. Jch erkannte ſeine Groͤſſe, die der Kreaturen Pracht, Uns zu Spiegeln ſeiner Guͤte, ſeiner Weisheit, ſei- ner Macht Zur C 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ebeling_betrachtungen01_1747
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ebeling_betrachtungen01_1747/51
Zitationshilfe: Ebeling, Johann Justus: Andächtige Betrachtungen aus dem Buche der Natur und Schrift. Bd. 1. Hildesheim, 1747, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebeling_betrachtungen01_1747/51>, abgerufen am 21.11.2024.