Ebeling, Johann Justus: Andächtige Betrachtungen aus dem Buche der Natur und Schrift. Bd. 3. Hildesheim, 1747.des Selbsterkenntnisses. Jst das Gesez, wer darauf blikt,Sieht sein Gemüthe abgedrükt. Drum kan es woll ein Spiegel heissen, Und wer sich dabei wird befleissen, Mit Achtsamkeit hinein zu sehn, Der sieht sein Bild darinnen stehn. Da können wir die schwarzen Flekken Der Sünde, klärlich gnug entdekken. Jhr Menschen! spiegelt euren Sin, Und die Gestalt der Seelen drin; So werdet ihr gerührt erkennen, Daß ihr sehr elend seid zu nennen. Beschaut ein jegliches Gebot, Das macht euch warlich blas und roth, Weil es euch solche Runzeln zeiget, Davon ein andrer Spiegel schweiget. Wie könnt ihr ohne innres Graun, Jn den Gesezzes Spiegel schaun? O! nein! ihr lernet nun gestehen, Jhr hättet nie den Greul gesehen, Als nunmehr, da ihr euch erkennt, Eur Tichten, Trachten böse nennt. Was seid ihr nun, betrogne Seelen! Könnt ihr der Flekken Menge zählen, Die bei des Spiegels Gegenschein, Jn dem Gewissen sichtbahr seyn? Jhr habt gemeint bei andrer Tadel, Jhr wärt mit einen wahren Adel, An eurer Seele ausgeziert, Doch diese Einbildung verliert Das Herz, das sich nur recht betrachet, Nicht besser, als die andern achtet. Wer diesen Spiegel fleißig nüzt, Woraus das wahre Bildnis blizt, Wenn K 2
des Selbſterkenntniſſes. Jſt das Geſez, wer darauf blikt,Sieht ſein Gemuͤthe abgedruͤkt. Drum kan es woll ein Spiegel heiſſen, Und wer ſich dabei wird befleiſſen, Mit Achtſamkeit hinein zu ſehn, Der ſieht ſein Bild darinnen ſtehn. Da koͤnnen wir die ſchwarzen Flekken Der Suͤnde, klaͤrlich gnug entdekken. Jhr Menſchen! ſpiegelt euren Sin, Und die Geſtalt der Seelen drin; So werdet ihr geruͤhrt erkennen, Daß ihr ſehr elend ſeid zu nennen. Beſchaut ein jegliches Gebot, Das macht euch warlich blas und roth, Weil es euch ſolche Runzeln zeiget, Davon ein andrer Spiegel ſchweiget. Wie koͤnnt ihr ohne innres Graun, Jn den Geſezzes Spiegel ſchaun? O! nein! ihr lernet nun geſtehen, Jhr haͤttet nie den Greul geſehen, Als nunmehr, da ihr euch erkennt, Eur Tichten, Trachten boͤſe nennt. Was ſeid ihr nun, betrogne Seelen! Koͤnnt ihr der Flekken Menge zaͤhlen, Die bei des Spiegels Gegenſchein, Jn dem Gewiſſen ſichtbahr ſeyn? Jhr habt gemeint bei andrer Tadel, Jhr waͤrt mit einen wahren Adel, An eurer Seele ausgeziert, Doch dieſe Einbildung verliert Das Herz, das ſich nur recht betrachet, Nicht beſſer, als die andern achtet. Wer dieſen Spiegel fleißig nuͤzt, Woraus das wahre Bildnis blizt, Wenn K 2
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des Selbſterkenntniſſes.
Jſt das Geſez, wer darauf blikt,
Sieht ſein Gemuͤthe abgedruͤkt.
Drum kan es woll ein Spiegel heiſſen,
Und wer ſich dabei wird befleiſſen,
Mit Achtſamkeit hinein zu ſehn,
Der ſieht ſein Bild darinnen ſtehn.
Da koͤnnen wir die ſchwarzen Flekken
Der Suͤnde, klaͤrlich gnug entdekken.
Jhr Menſchen! ſpiegelt euren Sin,
Und die Geſtalt der Seelen drin;
So werdet ihr geruͤhrt erkennen,
Daß ihr ſehr elend ſeid zu nennen.
Beſchaut ein jegliches Gebot,
Das macht euch warlich blas und roth,
Weil es euch ſolche Runzeln zeiget,
Davon ein andrer Spiegel ſchweiget.
Wie koͤnnt ihr ohne innres Graun,
Jn den Geſezzes Spiegel ſchaun?
O! nein! ihr lernet nun geſtehen,
Jhr haͤttet nie den Greul geſehen,
Als nunmehr, da ihr euch erkennt,
Eur Tichten, Trachten boͤſe nennt.
Was ſeid ihr nun, betrogne Seelen!
Koͤnnt ihr der Flekken Menge zaͤhlen,
Die bei des Spiegels Gegenſchein,
Jn dem Gewiſſen ſichtbahr ſeyn?
Jhr habt gemeint bei andrer Tadel,
Jhr waͤrt mit einen wahren Adel,
An eurer Seele ausgeziert,
Doch dieſe Einbildung verliert
Das Herz, das ſich nur recht betrachet,
Nicht beſſer, als die andern achtet.
Wer dieſen Spiegel fleißig nuͤzt,
Woraus das wahre Bildnis blizt,
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