Ebeling, Johann Justus: Andächtige Betrachtungen aus dem Buche der Natur und Schrift. Bd. 4. Hildesheim, 1747.von den beiden Betern im Tempel. Jch habe keinen je betrogen,Durch Wucher andre ausgesogen. Die Geilheit hat mich nicht beflekt, Mich nicht in andrer Bett verstekt. Jch bin kein Zöllner der nichts tauget, Und so, gleich wie ein Jgel sauget, Das er aufschwillt von andrer Blut, Auch an sich saugt der Fremden Gut. Dies alles hab ich nicht verbrochen: Jch faste zwier in der Wochen: Und durch die strenge Lebens Art, Wird mein Fleisch vor der Lust verwahrt Der Zehnte ist die Andachtsgabe, Die reich ich dar von allem Haabe. Das war sein murmelndes Gebet, Dadurch er sich, nicht GOtt erhöht: Er wil bei diesem heilgen Gleissen, Ein Frommer und Gerechter heissen. Es soll sein äusrer Tugendschein, Die Larve seines Hochmuths seyn: Und GOtt soll ihn mit Ehrenkronen, Vor seine Frömmigkeit belohnen. Der andre der ein Zölner war, Der dachte, daß vor GOtt, es klar, Was er als Bosheit ausgeübet, Da er so GOtt als Mensch betrübet. Er sah, daß er ein Bösewicht, Drum wolte er auch sein Gesicht, Aus inrer Schaam nicht aufwerts drehen, Noch nah zum Allerheilgen gehen. Er stand von fern, schlug an die Brust, Worin die Quelle böser Lust, Das ganz verdorbne Herze stekket, Wodurch sein ganzes Thun beflekket. Die M 3
von den beiden Betern im Tempel. Jch habe keinen je betrogen,Durch Wucher andre ausgeſogen. Die Geilheit hat mich nicht beflekt, Mich nicht in andrer Bett verſtekt. Jch bin kein Zoͤllner der nichts tauget, Und ſo, gleich wie ein Jgel ſauget, Das er aufſchwillt von andrer Blut, Auch an ſich ſaugt der Fremden Gut. Dies alles hab ich nicht verbrochen: Jch faſte zwier in der Wochen: Und durch die ſtrenge Lebens Art, Wird mein Fleiſch vor der Luſt verwahrt Der Zehnte iſt die Andachtsgabe, Die reich ich dar von allem Haabe. Das war ſein murmelndes Gebet, Dadurch er ſich, nicht GOtt erhoͤht: Er wil bei dieſem heilgen Gleiſſen, Ein Frommer und Gerechter heiſſen. Es ſoll ſein aͤuſrer Tugendſchein, Die Larve ſeines Hochmuths ſeyn: Und GOtt ſoll ihn mit Ehrenkronen, Vor ſeine Froͤmmigkeit belohnen. Der andre der ein Zoͤlner war, Der dachte, daß vor GOtt, es klar, Was er als Bosheit ausgeuͤbet, Da er ſo GOtt als Menſch betruͤbet. Er ſah, daß er ein Boͤſewicht, Drum wolte er auch ſein Geſicht, Aus inrer Schaam nicht aufwerts drehen, Noch nah zum Allerheilgen gehen. Er ſtand von fern, ſchlug an die Bruſt, Worin die Quelle boͤſer Luſt, Das ganz verdorbne Herze ſtekket, Wodurch ſein ganzes Thun beflekket. Die M 3
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von den beiden Betern im Tempel.
Jch habe keinen je betrogen,
Durch Wucher andre ausgeſogen.
Die Geilheit hat mich nicht beflekt,
Mich nicht in andrer Bett verſtekt.
Jch bin kein Zoͤllner der nichts tauget,
Und ſo, gleich wie ein Jgel ſauget,
Das er aufſchwillt von andrer Blut,
Auch an ſich ſaugt der Fremden Gut.
Dies alles hab ich nicht verbrochen:
Jch faſte zwier in der Wochen:
Und durch die ſtrenge Lebens Art,
Wird mein Fleiſch vor der Luſt verwahrt
Der Zehnte iſt die Andachtsgabe,
Die reich ich dar von allem Haabe.
Das war ſein murmelndes Gebet,
Dadurch er ſich, nicht GOtt erhoͤht:
Er wil bei dieſem heilgen Gleiſſen,
Ein Frommer und Gerechter heiſſen.
Es ſoll ſein aͤuſrer Tugendſchein,
Die Larve ſeines Hochmuths ſeyn:
Und GOtt ſoll ihn mit Ehrenkronen,
Vor ſeine Froͤmmigkeit belohnen.
Der andre der ein Zoͤlner war,
Der dachte, daß vor GOtt, es klar,
Was er als Bosheit ausgeuͤbet,
Da er ſo GOtt als Menſch betruͤbet.
Er ſah, daß er ein Boͤſewicht,
Drum wolte er auch ſein Geſicht,
Aus inrer Schaam nicht aufwerts drehen,
Noch nah zum Allerheilgen gehen.
Er ſtand von fern, ſchlug an die Bruſt,
Worin die Quelle boͤſer Luſt,
Das ganz verdorbne Herze ſtekket,
Wodurch ſein ganzes Thun beflekket.
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