Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 1. Stuttgart, 1864.

Bild:
<< vorherige Seite
Elftes Kapitel.


Drei Tage vor der zur Abreise der Nitetis bestimm-
ten Zeit hatte Rhodopis eine große Anzahl von Gästen,
unter denen sich Krösus und Gyges befanden, nach Nau-
kratis geladen.

Während des Gastmahls sollten sich, von der Nacht
und der Sclavin beschützt, die beiden Liebenden im Gar-
ten treffen. Als Melitta sich überzeugt hatte, daß die
Tischgespräche im besten Gange waren, öffnete sie die
Pforte, ließ den Königssohn in den Garten treten und
führte ihm das liebende Mädchen entgegen. Dann ent-
fernte sie sich, um die Beiden durch Händeklatschen vor
jedem unberufenen Lauscher zu warnen.

"Nur noch drei Tage lang werde ich Dich in meiner
Nähe wissen," flüsterte Sappho. "Weißt Du, manchmal
kommt mir's vor, als hätt' ich Dich gestern zum Ersten-
male gesehen; gewöhnlich meine ich aber, daß Du mir
schon eine Ewigkeit gehörtest und ich Dich lieb gehabt
hätte, so lang ich lebe!"

"Grade dasselbe empfinde auch ich," gab er, sie küs-
send, zur Antwort.

"Wäre die Trennungszeit nur erst vorüber!"

Elftes Kapitel.


Drei Tage vor der zur Abreiſe der Nitetis beſtimm-
ten Zeit hatte Rhodopis eine große Anzahl von Gäſten,
unter denen ſich Kröſus und Gyges befanden, nach Nau-
kratis geladen.

Während des Gaſtmahls ſollten ſich, von der Nacht
und der Sclavin beſchützt, die beiden Liebenden im Gar-
ten treffen. Als Melitta ſich überzeugt hatte, daß die
Tiſchgeſpräche im beſten Gange waren, öffnete ſie die
Pforte, ließ den Königsſohn in den Garten treten und
führte ihm das liebende Mädchen entgegen. Dann ent-
fernte ſie ſich, um die Beiden durch Händeklatſchen vor
jedem unberufenen Lauſcher zu warnen.

„Nur noch drei Tage lang werde ich Dich in meiner
Nähe wiſſen,“ flüſterte Sappho. „Weißt Du, manchmal
kommt mir’s vor, als hätt’ ich Dich geſtern zum Erſten-
male geſehen; gewöhnlich meine ich aber, daß Du mir
ſchon eine Ewigkeit gehörteſt und ich Dich lieb gehabt
hätte, ſo lang ich lebe!“

„Grade daſſelbe empfinde auch ich,“ gab er, ſie küſ-
ſend, zur Antwort.

„Wäre die Trennungszeit nur erſt vorüber!“

<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0177" n="[159]"/>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#g">Elftes Kapitel.</hi> </hi> </head><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <p><hi rendition="#in">D</hi>rei Tage vor der zur Abrei&#x017F;e der Nitetis be&#x017F;timm-<lb/>
ten Zeit hatte Rhodopis eine große Anzahl von Gä&#x017F;ten,<lb/>
unter denen &#x017F;ich Krö&#x017F;us und Gyges befanden, nach Nau-<lb/>
kratis geladen.</p><lb/>
        <p>Während des Ga&#x017F;tmahls &#x017F;ollten &#x017F;ich, von der Nacht<lb/>
und der Sclavin be&#x017F;chützt, die beiden Liebenden im Gar-<lb/>
ten treffen. Als Melitta &#x017F;ich überzeugt hatte, daß die<lb/>
Ti&#x017F;chge&#x017F;präche im be&#x017F;ten Gange waren, öffnete &#x017F;ie die<lb/>
Pforte, ließ den Königs&#x017F;ohn in den Garten treten und<lb/>
führte ihm das liebende Mädchen entgegen. Dann ent-<lb/>
fernte &#x017F;ie &#x017F;ich, um die Beiden durch Händeklat&#x017F;chen vor<lb/>
jedem unberufenen Lau&#x017F;cher zu warnen.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Nur noch drei Tage lang werde ich Dich in meiner<lb/>
Nähe wi&#x017F;&#x017F;en,&#x201C; flü&#x017F;terte Sappho. &#x201E;Weißt Du, manchmal<lb/>
kommt mir&#x2019;s vor, als hätt&#x2019; ich Dich ge&#x017F;tern zum Er&#x017F;ten-<lb/>
male ge&#x017F;ehen; gewöhnlich meine ich aber, daß Du mir<lb/>
&#x017F;chon eine Ewigkeit gehörte&#x017F;t und ich Dich lieb gehabt<lb/>
hätte, &#x017F;o lang ich lebe!&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Grade da&#x017F;&#x017F;elbe empfinde auch ich,&#x201C; gab er, &#x017F;ie kü&#x017F;-<lb/>
&#x017F;end, zur Antwort.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Wäre die Trennungszeit nur er&#x017F;t vorüber!&#x201C;</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[[159]/0177] Elftes Kapitel. Drei Tage vor der zur Abreiſe der Nitetis beſtimm- ten Zeit hatte Rhodopis eine große Anzahl von Gäſten, unter denen ſich Kröſus und Gyges befanden, nach Nau- kratis geladen. Während des Gaſtmahls ſollten ſich, von der Nacht und der Sclavin beſchützt, die beiden Liebenden im Gar- ten treffen. Als Melitta ſich überzeugt hatte, daß die Tiſchgeſpräche im beſten Gange waren, öffnete ſie die Pforte, ließ den Königsſohn in den Garten treten und führte ihm das liebende Mädchen entgegen. Dann ent- fernte ſie ſich, um die Beiden durch Händeklatſchen vor jedem unberufenen Lauſcher zu warnen. „Nur noch drei Tage lang werde ich Dich in meiner Nähe wiſſen,“ flüſterte Sappho. „Weißt Du, manchmal kommt mir’s vor, als hätt’ ich Dich geſtern zum Erſten- male geſehen; gewöhnlich meine ich aber, daß Du mir ſchon eine Ewigkeit gehörteſt und ich Dich lieb gehabt hätte, ſo lang ich lebe!“ „Grade daſſelbe empfinde auch ich,“ gab er, ſie küſ- ſend, zur Antwort. „Wäre die Trennungszeit nur erſt vorüber!“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter01_1864
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter01_1864/177
Zitationshilfe: Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 1. Stuttgart, 1864, S. [159]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter01_1864/177>, abgerufen am 09.11.2024.