Jetzt erfaßte Bartja die rechte, Soppho die linke Hand der Greisin, und zwei flehende Augenpaare schauten in ihr Angesicht. -- Da rief sie, sich hoch aufrichtend, gleich einer Seherin: "Möge Eros, der euch zusammen- führte, möge Zeus und Apollon euch schirmen! Wie zwei Rosen an einem Stengel sehe ich euch, liebend und glück- lich, im Lenze des Lebens prangen; was Sommer, Herbst und Winter euch bringen werden, das liegt tief verborgen im Schooße der Götter. Mögen die Schatten Deiner ver- storbenen Eltern, meine Sappho, freundlich lächeln, wenn diese neue Botschaft von Dir zu ihnen dringt in die Häuser der Unterwelt!"
Drei Tage später wogte am Landungsplatze bei Sais wiederum ein dichtes Menschengedränge. Das Volk hatte sich versammelt, um der in die Fremde ziehenden Tochter des Königs ein letztes Lebewohl zuzurufen. Jn dieser Stunde zeigte es sich, daß die Aegypter, trotz aller Aufreizungen der Priester, mit inniger Liebe an ihrem Königshause hingen.
Als Amasis und Ladike Nitetis zum Letztenmale wei- nend umarmten, als sich Tachot, im Angesicht aller Saiten, auf der großen Stromtreppe der Schwester schluchzend um den Hals warf, als sich endlich der die scheidende Königs- braut tragende Kahn mit schwellenden Segeln vom Lande entfernte, da blieben wenige Augen thränenleer.
Nur die Priester sahen ernst und kalt, wie immer, dem ergreifenden Schauspiele zu.
Als endlich auch die Schiffe der die Aegypterin ent- führenden Fremden vom Südwinde erfaßt wurden, klangen ihnen viele Flüche und Verwünschungen nach; die zurück-
Jetzt erfaßte Bartja die rechte, Soppho die linke Hand der Greiſin, und zwei flehende Augenpaare ſchauten in ihr Angeſicht. — Da rief ſie, ſich hoch aufrichtend, gleich einer Seherin: „Möge Eros, der euch zuſammen- führte, möge Zeus und Apollon euch ſchirmen! Wie zwei Roſen an einem Stengel ſehe ich euch, liebend und glück- lich, im Lenze des Lebens prangen; was Sommer, Herbſt und Winter euch bringen werden, das liegt tief verborgen im Schooße der Götter. Mögen die Schatten Deiner ver- ſtorbenen Eltern, meine Sappho, freundlich lächeln, wenn dieſe neue Botſchaft von Dir zu ihnen dringt in die Häuſer der Unterwelt!“
Drei Tage ſpäter wogte am Landungsplatze bei Sais wiederum ein dichtes Menſchengedränge. Das Volk hatte ſich verſammelt, um der in die Fremde ziehenden Tochter des Königs ein letztes Lebewohl zuzurufen. Jn dieſer Stunde zeigte es ſich, daß die Aegypter, trotz aller Aufreizungen der Prieſter, mit inniger Liebe an ihrem Königshauſe hingen.
Als Amaſis und Ladike Nitetis zum Letztenmale wei- nend umarmten, als ſich Tachot, im Angeſicht aller Saiten, auf der großen Stromtreppe der Schweſter ſchluchzend um den Hals warf, als ſich endlich der die ſcheidende Königs- braut tragende Kahn mit ſchwellenden Segeln vom Lande entfernte, da blieben wenige Augen thränenleer.
Nur die Prieſter ſahen ernſt und kalt, wie immer, dem ergreifenden Schauſpiele zu.
Als endlich auch die Schiffe der die Aegypterin ent- führenden Fremden vom Südwinde erfaßt wurden, klangen ihnen viele Flüche und Verwünſchungen nach; die zurück-
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Jetzt erfaßte Bartja die rechte, Soppho die linke
Hand der Greiſin, und zwei flehende Augenpaare ſchauten
in ihr Angeſicht. — Da rief ſie, ſich hoch aufrichtend,
gleich einer Seherin: „Möge Eros, der euch zuſammen-
führte, möge Zeus und Apollon euch ſchirmen! Wie zwei
Roſen an einem Stengel ſehe ich euch, liebend und glück-
lich, im Lenze des Lebens prangen; was Sommer, Herbſt
und Winter euch bringen werden, das liegt tief verborgen
im Schooße der Götter. Mögen die Schatten Deiner ver-
ſtorbenen Eltern, meine Sappho, freundlich lächeln, wenn
dieſe neue Botſchaft von Dir zu ihnen dringt in die
Häuſer der Unterwelt!“
Drei Tage ſpäter wogte am Landungsplatze bei
Sais wiederum ein dichtes Menſchengedränge. Das Volk
hatte ſich verſammelt, um der in die Fremde ziehenden
Tochter des Königs ein letztes Lebewohl zuzurufen. Jn
dieſer Stunde zeigte es ſich, daß die Aegypter, trotz aller
Aufreizungen der Prieſter, mit inniger Liebe an ihrem
Königshauſe hingen.
Als Amaſis und Ladike Nitetis zum Letztenmale wei-
nend umarmten, als ſich Tachot, im Angeſicht aller Saiten,
auf der großen Stromtreppe der Schweſter ſchluchzend um
den Hals warf, als ſich endlich der die ſcheidende Königs-
braut tragende Kahn mit ſchwellenden Segeln vom Lande
entfernte, da blieben wenige Augen thränenleer.
Nur die Prieſter ſahen ernſt und kalt, wie immer,
dem ergreifenden Schauſpiele zu.
Als endlich auch die Schiffe der die Aegypterin ent-
führenden Fremden vom Südwinde erfaßt wurden, klangen
ihnen viele Flüche und Verwünſchungen nach; die zurück-
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Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 1. Stuttgart, 1864, S. 176. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter01_1864/194>, abgerufen am 14.06.2024.
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