aufzubrechen, denn Mitternacht ist längst vorbei und un- sere Freude hat ihren Gipfel erreicht. Der wahrhaft Gastfreie hebt die Tafel auf, wenn die Gäste sich am wohlsten fühlen. Die angenehme, ungetrübte Erinnerung wird Euch bald in dieses Haus zurückführen, während ihr es unlieber besuchen würdet, -- wenn ihr an Stunden der Abspannung gedenken müßtet, welche der Freude folgten." Alle Gäste stimmten Rhodopis bei und Jbykus nannte sie eine echte Schülerin des Pythagoras, die festlich freudige Erregung des Abends lobend.
Jeder bereitete sich zum Aufbruch. Auch der Syba- rit, welcher, um seine Rührung, die ihm höchst unbequem war, zu übertäuben, übermäßig viel getrunken hatte, erhob sich, von seinen herbeigerufenen Sclaven 83) unterstützt, aus seiner bequemen Stellung -- indem er von einem Bruch des Gastrechts faselte.
Als ihm Rhodopis beim Abschiede die Hand reichen wollte, rief er, vom Geiste des Weines übermannt: "Beim Herkules, Rhodopis, -- Du wirfst uns zur Thür hinaus, als wären wir lästige Gläubiger. Jch bin nicht daran gewöhnt, so lange ich noch stehen kann, von einem Gast- mahle zu weichen; noch weniger aber, mich gleich einem Parasiten fortweisen zu lassen!"
"Begreife doch, Du unmäßiger Sybarit" -- wollte Rhodopis lächelnd sich zu entschuldigen versuchen; Oino- philos aber, den in seiner Weinlaune diese Entgegnung der Greisin verdroß, lachte spöttisch auf und rief, der Thür entgegentaumelnd: "Unmäßiger Sybarit, sagst Du? Gut! Jch gebe Dir darauf zur Antwort: ,Unverschämte Sclavin!' -- Wahrhaftig, man merkt Dir immer noch an, was Du in Deiner Jugend gewesen bist. Lebe wohl, Sclavin des Jadmon und Xanthos, Freigelassene des
aufzubrechen, denn Mitternacht iſt längſt vorbei und un- ſere Freude hat ihren Gipfel erreicht. Der wahrhaft Gaſtfreie hebt die Tafel auf, wenn die Gäſte ſich am wohlſten fühlen. Die angenehme, ungetrübte Erinnerung wird Euch bald in dieſes Haus zurückführen, während ihr es unlieber beſuchen würdet, — wenn ihr an Stunden der Abſpannung gedenken müßtet, welche der Freude folgten.“ Alle Gäſte ſtimmten Rhodopis bei und Jbykus nannte ſie eine echte Schülerin des Pythagoras, die feſtlich freudige Erregung des Abends lobend.
Jeder bereitete ſich zum Aufbruch. Auch der Syba- rit, welcher, um ſeine Rührung, die ihm höchſt unbequem war, zu übertäuben, übermäßig viel getrunken hatte, erhob ſich, von ſeinen herbeigerufenen Sclaven 83) unterſtützt, aus ſeiner bequemen Stellung — indem er von einem Bruch des Gaſtrechts faſelte.
Als ihm Rhodopis beim Abſchiede die Hand reichen wollte, rief er, vom Geiſte des Weines übermannt: „Beim Herkules, Rhodopis, — Du wirfſt uns zur Thür hinaus, als wären wir läſtige Gläubiger. Jch bin nicht daran gewöhnt, ſo lange ich noch ſtehen kann, von einem Gaſt- mahle zu weichen; noch weniger aber, mich gleich einem Paraſiten fortweiſen zu laſſen!“
„Begreife doch, Du unmäßiger Sybarit“ — wollte Rhodopis lächelnd ſich zu entſchuldigen verſuchen; Oino- philos aber, den in ſeiner Weinlaune dieſe Entgegnung der Greiſin verdroß, lachte ſpöttiſch auf und rief, der Thür entgegentaumelnd: „Unmäßiger Sybarit, ſagſt Du? Gut! Jch gebe Dir darauf zur Antwort: ‚Unverſchämte Sclavin!‘ — Wahrhaftig, man merkt Dir immer noch an, was Du in Deiner Jugend geweſen biſt. Lebe wohl, Sclavin des Jadmon und Xanthos, Freigelaſſene des
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aufzubrechen, denn Mitternacht iſt längſt vorbei und un-
ſere Freude hat ihren Gipfel erreicht. Der wahrhaft
Gaſtfreie hebt die Tafel auf, wenn die Gäſte ſich am
wohlſten fühlen. Die angenehme, ungetrübte Erinnerung
wird Euch bald in dieſes Haus zurückführen, während ihr
es unlieber beſuchen würdet, — wenn ihr an Stunden der
Abſpannung gedenken müßtet, welche der Freude folgten.“
Alle Gäſte ſtimmten Rhodopis bei und Jbykus nannte ſie
eine echte Schülerin des Pythagoras, die feſtlich freudige
Erregung des Abends lobend.
Jeder bereitete ſich zum Aufbruch. Auch der Syba-
rit, welcher, um ſeine Rührung, die ihm höchſt unbequem
war, zu übertäuben, übermäßig viel getrunken hatte, erhob
ſich, von ſeinen herbeigerufenen Sclaven 83) unterſtützt, aus
ſeiner bequemen Stellung — indem er von einem Bruch
des Gaſtrechts faſelte.
Als ihm Rhodopis beim Abſchiede die Hand reichen
wollte, rief er, vom Geiſte des Weines übermannt: „Beim
Herkules, Rhodopis, — Du wirfſt uns zur Thür hinaus,
als wären wir läſtige Gläubiger. Jch bin nicht daran
gewöhnt, ſo lange ich noch ſtehen kann, von einem Gaſt-
mahle zu weichen; noch weniger aber, mich gleich einem
Paraſiten fortweiſen zu laſſen!“
„Begreife doch, Du unmäßiger Sybarit“ — wollte
Rhodopis lächelnd ſich zu entſchuldigen verſuchen; Oino-
philos aber, den in ſeiner Weinlaune dieſe Entgegnung
der Greiſin verdroß, lachte ſpöttiſch auf und rief, der
Thür entgegentaumelnd: „Unmäßiger Sybarit, ſagſt Du?
Gut! Jch gebe Dir darauf zur Antwort: ‚Unverſchämte
Sclavin!‘ — Wahrhaftig, man merkt Dir immer noch
an, was Du in Deiner Jugend geweſen biſt. Lebe wohl,
Sclavin des Jadmon und Xanthos, Freigelaſſene des
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Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 1. Stuttgart, 1864, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter01_1864/63>, abgerufen am 14.06.2024.
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