"Meine Frau starb im vorigen Sommer; die Kinder, ein Knabe von elf und ein Mädchen von zehn Jahren, blieben bei ihrer Muhme in Halikarnaß. Auch diese ver- fiel dem unerbittlichen Hades. Nun habe ich die Kleinen vor wenigen Tagen hierher bestellt; dieselben können aber nicht vor Ablauf dreier Wochen zu Naukratis eintreffen und würden schön abgereist sein, ehe sie ein Gegenbefehl erreichen möchte.
"Jn vierzehn Tagen muß ich Aegypten verlassen, und vermag darum die Kinder nicht selbst zu empfangen.
"Jch habe beschlossen, mich nach dem thrakischen Cher- sonnes zu begeben, wohin mein Oheim, wie Du weißt, von dem Stamme der Dolonker 91) berufen worden ist. Dorthin sollen auch die Kinder nachkommen. Korax, mein alter, treuer Sclave, wird in Naukratis bleiben, um die Klei- nen zu mir zu bringen.
"Willst Du zeigen, daß Du in der That meine Freundin bist, so empfange sie, pflege derselben, bis ein Schiff nach Thrakien segelt, und verbirg sie sorgfältig vor den Blicken der Spione des Thronerben Psamtik. Du weißt, daß mich dieser tödtlich haßt, und sich leicht durch die Kinder an dem Vater rächen könnte. -- Jch habe Dich um diese große Gunst gebeten, weil ich erstens Deine Güte kenne; zweitens aber, weil Dein Haus durch jenen Freibrief des Königs, welcher dasselbe zum Asyle macht, die Kinder vor allen Nachforschungen der Sicherheitsbe- hörde schützt, die ja in diesem formenreichen Lande gebie- tet, jeden Fremden, selbst Kinder, bei den Bezirksbeamten anzumelden.
"Du siehst, wie hoch ich Dich schätze, denn ich über- gebe Dir das Einzige, was mir das Leben noch lebens- werth macht. Selbst die Heimat ist mir nicht theuer, so
„Meine Frau ſtarb im vorigen Sommer; die Kinder, ein Knabe von elf und ein Mädchen von zehn Jahren, blieben bei ihrer Muhme in Halikarnaß. Auch dieſe ver- fiel dem unerbittlichen Hades. Nun habe ich die Kleinen vor wenigen Tagen hierher beſtellt; dieſelben können aber nicht vor Ablauf dreier Wochen zu Naukratis eintreffen und würden ſchön abgereist ſein, ehe ſie ein Gegenbefehl erreichen möchte.
„Jn vierzehn Tagen muß ich Aegypten verlaſſen, und vermag darum die Kinder nicht ſelbſt zu empfangen.
„Jch habe beſchloſſen, mich nach dem thrakiſchen Cher- ſonnes zu begeben, wohin mein Oheim, wie Du weißt, von dem Stamme der Dolonker 91) berufen worden iſt. Dorthin ſollen auch die Kinder nachkommen. Korax, mein alter, treuer Sclave, wird in Naukratis bleiben, um die Klei- nen zu mir zu bringen.
„Willſt Du zeigen, daß Du in der That meine Freundin biſt, ſo empfange ſie, pflege derſelben, bis ein Schiff nach Thrakien ſegelt, und verbirg ſie ſorgfältig vor den Blicken der Spione des Thronerben Pſamtik. Du weißt, daß mich dieſer tödtlich haßt, und ſich leicht durch die Kinder an dem Vater rächen könnte. — Jch habe Dich um dieſe große Gunſt gebeten, weil ich erſtens Deine Güte kenne; zweitens aber, weil Dein Haus durch jenen Freibrief des Königs, welcher daſſelbe zum Aſyle macht, die Kinder vor allen Nachforſchungen der Sicherheitsbe- hörde ſchützt, die ja in dieſem formenreichen Lande gebie- tet, jeden Fremden, ſelbſt Kinder, bei den Bezirksbeamten anzumelden.
„Du ſiehſt, wie hoch ich Dich ſchätze, denn ich über- gebe Dir das Einzige, was mir das Leben noch lebens- werth macht. Selbſt die Heimat iſt mir nicht theuer, ſo
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„Meine Frau ſtarb im vorigen Sommer; die Kinder,
ein Knabe von elf und ein Mädchen von zehn Jahren,
blieben bei ihrer Muhme in Halikarnaß. Auch dieſe ver-
fiel dem unerbittlichen Hades. Nun habe ich die Kleinen
vor wenigen Tagen hierher beſtellt; dieſelben können aber
nicht vor Ablauf dreier Wochen zu Naukratis eintreffen
und würden ſchön abgereist ſein, ehe ſie ein Gegenbefehl
erreichen möchte.
„Jn vierzehn Tagen muß ich Aegypten verlaſſen, und
vermag darum die Kinder nicht ſelbſt zu empfangen.
„Jch habe beſchloſſen, mich nach dem thrakiſchen Cher-
ſonnes zu begeben, wohin mein Oheim, wie Du weißt, von
dem Stamme der Dolonker 91) berufen worden iſt. Dorthin
ſollen auch die Kinder nachkommen. Korax, mein alter,
treuer Sclave, wird in Naukratis bleiben, um die Klei-
nen zu mir zu bringen.
„Willſt Du zeigen, daß Du in der That meine
Freundin biſt, ſo empfange ſie, pflege derſelben, bis ein
Schiff nach Thrakien ſegelt, und verbirg ſie ſorgfältig vor
den Blicken der Spione des Thronerben Pſamtik. Du
weißt, daß mich dieſer tödtlich haßt, und ſich leicht durch
die Kinder an dem Vater rächen könnte. — Jch habe
Dich um dieſe große Gunſt gebeten, weil ich erſtens Deine
Güte kenne; zweitens aber, weil Dein Haus durch jenen
Freibrief des Königs, welcher daſſelbe zum Aſyle macht,
die Kinder vor allen Nachforſchungen der Sicherheitsbe-
hörde ſchützt, die ja in dieſem formenreichen Lande gebie-
tet, jeden Fremden, ſelbſt Kinder, bei den Bezirksbeamten
anzumelden.
„Du ſiehſt, wie hoch ich Dich ſchätze, denn ich über-
gebe Dir das Einzige, was mir das Leben noch lebens-
werth macht. Selbſt die Heimat iſt mir nicht theuer, ſo
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Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 1. Stuttgart, 1864, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter01_1864/73>, abgerufen am 15.06.2024.
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